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Identitätskrise Die SPD: unbekannt verzogen

Die SPD steckt in der Krise: Sinkende Umfragewerte und miserable Wahlergebnisse beuteln die Genossen. Das liegt nicht allein an der Ampel und am Kanzler, sondern am Verlust des Profils, meint Silke Hellwig.
15.10.2024, 05:00 Uhr
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Die SPD: unbekannt verzogen
Von Silke Hellwig

Sozialdemokraten bundesweit machen sich Sorgen um die politische Zukunft ihrer Partei. Die Umfragewerte sind unerfreulich, das Kleinreden zieht in diesem Jahr nicht: Die Genossinnen und Genossen müssen tatsächliche miserable Ergebnisse bei den Landtagswahlen sowie bei der Europawahl verdauen. Allein an der Stimmenzahl in Brandenburg konnte sie sich etwas aufrichten.

Die Ampelregierung sei maßgeblich für das aktuelle Ansehen der SPD bei den Wählerinnen und Wählern verantwortlich, heißt es allgemein. Die vielen politischen Zerwürfnisse lähmten die Regierung und verärgerten die Bevölkerung. Der Bundeskanzler halte sich zurück, statt auf den Tisch zu hauen. Er habe das Kabinett nicht im Griff.

Abgesehen davon, dass ein Kanzler kein Geschäftsführer ist und Bundesminister keine Abteilungsleiter sind, ist Scholz nicht das einzige, nicht einmal das größte Problem der SPD. Entscheidender ist die Frage, wofür die SPD eigentlich steht, nach ihren Jahren in der Großen Koalition, in der aktuellen „Aufbruchkoalition“. Sich irgendwo links zu verorten, reicht nicht, wenn linke Politik nicht ausreichend erkennbar wird und in Konkurrenz zu den Vorstellungen anderer linker Parteien steht. Bei der Europawahl wanderten mehr Wähler von der SPD zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als von allen anderen Parteien.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig forderte vor einigen Tagen beim TV-Talk mit Sandra Maischberger, dass Olaf Scholz klarer Position beziehen möge – ein bemerkenswerter Vorgang in dieser Partei: „Damit die SPD wiederholt die Bundestagswahl gewinnt, muss sich auch etwas verändern. Und deswegen, glaube ich, ist jetzt die Zeit gekommen, dass Olaf Scholz stärker vorangeht und ganz klar zu den großen gesellschaftlichen Themen sagt, wie er sich das vorstellt.“

Tatsächlich bleibt nebulös, wofür die SPD steht und einsteht, sofern es sich nicht um den letztlich schwammigen Begriff der sozialen Gerechtigkeit handelt. Aber selbst in diesem Feld sind die Sozialdemokraten in den vergangenen elf Jahren – seitdem sie Teil der Bundesregierung sind – nicht allzu weit gekommen. Gängige Begründung: Die Koalitionspartner bremsten. In Bremen regiert die SPD bekanntlich seit dem Zweiten Weltkrieg, auch hier ist die ­Bilanz nicht gerade bestechend, obwohl SPD und Grüne etliche Jahre Zeit hatten und inzwischen auch noch von den (originalen) Linken im Linkssein unterstützt werden.

Die „Zeit“ betitelt eine Analyse des just verabschiedeten SPD-Strategiepapiers für die Bundestagswahl 2025 mit: „Die SPD will wieder SPD sein.“ Gemeint ist die Hinwendung zu den Wählerinnen und Wählern, die irgendwann auf der Strecke geblieben sind: Geringverdiener, Rentner und Arbeiter. Das allerdings nehmen sich die Sozialdemokraten seit etlichen Jahren vor (mangels Alternative), ebenso wie die Wiedereinführung der Vermögens- und eine höhere Erbschaftssteuer. Den Kernerfolg, den sie im Bund und in Bremen wie eine Monstranz vor sich her tragen, ist der erhöhte Mindestlohn. Deshalb darf er auch im Strategiepapier nicht fehlen; er soll auf 15 Euro steigen.

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Ansonsten ist die Bilanz bescheiden: Es fehlt an Wohnungen und an Kitaplätzen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Bildungschancen weiterhin vom Einkommen der Eltern abhängen. In der Integration von Flüchtlingen sind keine Fortschritte zu erkennen. Die gesellschaftliche Spaltung ist nicht aufgehalten, geschweige denn umgekehrt worden.

Die WDR-Sendung „Monitor“ fragte nach der Landtagswahl in Hessen vor einem Jahr (SPD-Ergebnis: 15,1 Prozent) „Absturz der Kanzlerpartei: Wozu noch SPD?“. Der Moderator fasste zusammen: „Die Kompetenzwerte im Keller, selbst bei den eigenen Themen. Das Profil bestenfalls unscharf.“

Seither ist wenig passiert, auch das Strategiepapier ist kein großer Wurf. Bemerkenswerterweise klammert es das Thema Migrationspolitik weitgehend aus, obwohl eben dieses Thema die Bevölkerung umtreibt. Die SPD bleibt eine Antwort schuldig, vermutlich aus reiner Sorge, dass sie etlichen Bürgern nicht gefallen könnte. Man kann keine politische Heimat ­finden, wenn man nicht weiß, wo sie sich befindet.

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