Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet ist in einer unangenehmen Situation. Entrüstet weist er derzeit alle Fragen nach dem CDU-Vorsitz zurück, das spiele nun wirklich keine Rolle. Aber nach der medizinischen Krise wird irgendwann die Bewältigung der ökonomischen Krise in den Fokus rücken – und es wird über den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur zu entscheiden sein. Da liegt die Chance des Wirtschaftsmannes Friedrich Merz, sich als der große Retter in Szene zu setzen. Laschet wird sein Auftritt in der ARD-Fernsehsendung „Anne Will“ am Sonntag nicht geholfen haben. Hibbelig und nicht immer argumentativ überzeugend, versuchte er seinen Lockerungskurs zu verteidigen – und er verteilte Spitzen gegen Kanzlerin Angela Merkel.
Das Verhalten der Länder – in NRW dürfen auch wieder größere Möbelhäuser öffnen – sei nicht „forsch“, wie von der Kanzlerin kritisiert, „sondern angemessen“, sagte Laschet. Ständig würden sich die Gradmesser des Bundes für Lockerungen ändern, erst ging es um die Verdopplungszeiten bei den Infektionszahlen, dann um den Reproduktionsfaktor – wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt – jetzt gebe das Robert-Koch-Institut als Devise aus, es dürfe nur noch wenige hundert Neuinfizierungen pro Tag geben.
Nun gehört zur Dynamik der Krise, dass sich auch in der Wissenschaft Einschätzungen ändern. Es gibt keine Blaupausen, wie sich welche Lockerungen oder der Wiederbeginn des Schulbetriebs auswirken werden. Immer wieder verwies Laschet auf Bilder im März aus Bergamo, wo Militärfahrzeuge Leichen abtransportierten. Nun aber bessert sich die Lage überall etwas, und jeder Ministerpräsident bekommt reihenweise Post von besorgten Unternehmern, die um ihre Existenz fürchten. Das macht die Lage gerade für Merkel immer diffiziler, sie hat vorsorglich mitgeteilt, dass erst am 6. Mai über weitere Lockerungen entschieden werden soll. Fachpolitiker wie der Mediziner Karl Lauterbach (SPD) reden sich den Mund fusselig, es nicht zu übertreiben, das Virus sei heimtückischer als gedacht und vieles noch unklar.
Nun ist die Debatte in einer gefährlichen Phase. Bisher gab es große Unterstützung für den Merkel-Kurs, getragen von fast allen Parteien. Jetzt werden die Zweifler immer lauter, die Bevölkerung ist verwirrt über unterschiedliche Einschätzungen und Lockerungsübungen der Länder. Einige Regierungspolitiker warnen vor dem drohenden Stimmungsumschwung und ziehen schon Parallelen zur Flüchtlingskrise. In den sozialen Netzwerken kehrt nach Wochen konstruktiver Debatten die Polarisierung aus der Zeit davor zurück.
Widersprüche bei Öffnungen
Wenn es eines Beispiels bedarf, dann reicht eine Aussage des Charité-Virologen Christian Drosten im britischen „Guardian“, ihm würden einige nach dem Leben trachten. Er sieht die Entwicklung mit großer Sorge. Er warnt vor einer erneuten, schleichenden Ausbreitung des Virus an vielen Stellen im Land, die dann in einigen Monaten eine erneute Eindämmung viel schwieriger und teurer machen könnte. Hinzu kommen die Widersprüche bei den Öffnungen. Erste Gerichte kippen die 800-Quadratmeter-Regel für Ladenöffnungen. Noch schwieriger zu verstehen dürfte eine Entscheidung für Bundesligaspiele ohne Zuschauer sein.
Laschet, aber auch der sonst so behutsam vorgehende bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unterstützen Geisterspiele, der Fußball hat eine starke Lobby. Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt (CDU) betonte, eine Sondergenehmigung für die Bundesliga werde seines Erachtens vor Gerichten keinen Bestand haben. Die Öffnungsbefürworter stellen die virologischen Ratschläge in Zweifel und rechnen andere Kosten dagegen. „Es ist unverantwortlich, gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche und psychologische Schäden des Lockdowns für Kinder, für Arbeitslose, für Kurzarbeiter auszublenden und zu negieren“, sagte Laschet.
Diese Gruppe beruft sich nun auch auf den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU), der dem „Tagesspiegel“ gesagt hatte: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.“ Wenn es überhaupt einen absoluten Wert im Grundgesetz gebe, „dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“ Schäuble hat aber zugleich den Regierungskurs der Vorsicht explizit unterstützt, da keiner den goldenen Weg kenne. Die Gefahr des Kippens wird größer. Kanzleramtschef Helge Braun betonte in einer 22-seitigen Corona-Zwischenbilanz mahnend: „Die eigenen Interessen zurückzustellen, Risikogruppen zu schützen, das Gesundheitssystem zu entlasten, ist das Gebot der Stunde.“