Berlin. Wenn an diesem Dienstag in Berlin hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Militär sowie Angehörige sexueller Minderheiten zum Workshop „Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr“ zusammenkommen, ist das genau eine Woche nach Veröffentlichung des neuen Wehrberichts über Missstände in der Bundeswehr. Darin wird beklagt, dass Mobbing und sexuelle Belästigung an der Tagesordnung seien. Am Tag, als der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) das vortrug, hatte die Staatsanwaltschaft im schwäbischen Hechingen gerade ein Bündel Strafanzeigen von der Bundeswehr entgegengenommen: In der nahen Ausbildungskaserne für Sanitäter in Pfullendorf sei es zu sexuellen Übergriffen, Gewalt und Demütigung gekommen. Auch Vorgesetzte seien darin verwickelt. Der Wehrbeauftragte wusste das, erwähnte aber nichts – er habe die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten wollen, sagte er dem WESER-KURIER.
Dass die Öffentlichkeit nun davon weiß, liegt offensichtlich allein daran, dass der „Spiegel“ den Skandal enthüllte. Erst danach bestätigte ihn auch das Ministerium. Obwohl sie bereits seit dem Herbst davon wusste, verurteilte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Misshandlungen erst am Freitagabend als „widerwärtig“. Selbst der Verteidigungsausschuss und sogar die Obleute, die im ständigen Kontakt mit dem Ministerium sind, erfuhren erst nach dem „Spiegel“-Bericht davon: Generalinspekteur Volker Wieker informierte sie schriftlich – obwohl er da bereits Entlassungen und disziplinarische Schritte gegen die Täter eingeleitet hatte.
Wegen dieses Umgangs mit dem Skandal steht seit dem Wochenende auch von der Leyen in der Kritik: Nicht nur die Opposition, auch der Koalitionspartner SPD beklagt die verspätete Unterrichtung. Tatsächlich war das Ministerium den Vorwürfen frühzeitig nachgegangen, wie der Wehrbeauftragte Bartels bestätigte. Der Staatsanwalt ermittelt jetzt wegen Verdachts auf Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Gewaltdarstellung und Nötigung. Inzwischen wurde die Entlassung von sieben Soldaten eingeleitet. Sieben weitere Soldaten werden versetzt.