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Schadststoff-Tests an Affen Leiden für den sauberen Diesel

Im Auftrag der Automobilindustrie wurden Tests an Affen durchgeführt - ein ethisch nicht zu rechtfertigender Vorgang. Politiker fordern nun Aufklärung.
29.01.2018, 22:44 Uhr
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Von Frank-Thomas Wenzel

Eine Welle der Empörung schwappt durch Deutschland. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ durch ihren Sprecher Steffen Seibert erklären: „Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen.“ Es geht darum, dass Wissenschaftler und Mediziner im Auftrag der Automobilindustrie Versuche gemacht haben, mit denen sie die Harmlosigkeit von Stickstoffdioxid (NO₂) nachweisen wollten. Politiker verschiedener Parteien fordern einmal mehr vorbehaltlose Aufklärung.

Das Unwissen indes verwundert, denn hinter den höchst fragwürdigen Studien steckt die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), die 2007 von Volkswagen, Daimler, BMW und Bosch gegründet und im Sommer vergangenen Jahres aufgelöst wurde. Die Lobbyorganisation war in der Branche bekannt und genoss einen fragwürdigen Ruf. Die EUGT sei vom Tag ihrer Gründung an dafür zuständig gewesen, Abgasgrenzwerte und Schadstoffvorschriften infrage zu stellen und deren Legitimität zu untergraben, sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

Fragwürdige Grenzwerte

Bislang ist bekannt, dass die EUGT das Lovelace Respiratory Research Institute in den USA damit beauftragte, zehn Affen vier Stunden lang in einem geschlossenen Raum den Abgasen eines VW Beetle auszusetzen – es handelte sich um ein Fahrzeug mit manipulierter Motorsteuerung. Der Test sollte nachweisen, wie sauber die neuen Dieselmotoren von Volkswagen sind. Das geschah schon 2014. Gut ein Jahr später, im September 2015, flog der Abgasskandal auf, bei dem es im Kern darum geht, dass die Dieselmotoren im realen Betrieb NO₂ weit über der zulässigen Menge in die Luft blasen. Die Motorsteuerung ist aber so manipuliert, dass unter Laborbedingungen die Grenzwerte eingehalten werden.

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Schon 2013 heuerte die EUGT Mediziner der Universitätsklinik Aachen an, um Versuche mit niedrig-konzentriertem NO₂ zu machen. 25 junge, gesunde Menschen mussten ein Luftgemisch mit verschiedenen Konzentrationen drei Stunden lang einatmen. Dabei wurden auch erhöhte NO₂-Anteile getestet, die in der Atemluft beispielsweise in Städten vorkommen. In der Studie heißt es, es seien bei den Probanden keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen festzustellen gewesen. Man könne aber nicht ausschließen, dass es andere Resultate gebe, wenn Menschen dauerhaft diese NO₂-Konzentrationen einatmen müssten. Institutsleiter Thomas Kraus von der Universität Aachen sagte am Montag der Deutschen Presse-Agentur, man habe sich in dieser Studie mit dem Stickstoffdioxid-Grenzwert am Arbeitsplatz befasst. Weil der Grenzwert herabgesetzt worden sei und es keine Studien dazu gegeben habe, seien die 25 Menschen Belastungen ausgesetzt worden, die unterhalb der Belastungen am Arbeitsplatz lägen. Die Ethikkommission habe die 2016 veröffentlichte Studie als vertretbar bewertet.

Experten sind überrascht

Der Hintergrund: Die Autobranche hat die verschiedenen Grenzwerte für NO₂-Belastungen am Arbeitsplatz und in der Außenluft immer wieder als Argument gegen die Vorschriften ins Feld geführt, die in der gesamten EU gelten – 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sind im Freien erlaubt, zahlreiche Messstellen in großen deutschen Städten zeigen erheblich höhere Werte an. „Ein Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft am Neckartor in Stuttgart – aber erlaubte 950 Mikrogramm in der benachbarten Fabrik – das ist nicht unbedingt plausibel“, sagte etwa Matthias Wissmann, scheidender Präsident der Autolobby VDA im September 2017 in einem Interview mit dieser Zeitung. Die 950 Mikrogramm sind tatsächlich in der Industrie zulässig.

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„Ich kann mir keinen Reim darauf machen, was die Autoindustrie mit diesen Studien bezwecken wollte“, sagt Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. Er fügt hinzu: „Noch viel weniger kann ich aber nachvollziehen, dass Wissenschaftler bereit waren, solch dubiose Untersuchungen durchzuführen.“ Es sei „dummes Zeug“, Gesetze nicht zu akzeptieren und dagegen dann mit fragwürdigen Versuchen vorzugehen. Die Autobauer hätten schlicht und einfach die Pflicht, die Vorgaben einzuhalten. Mit dem jetzt bekannt gewordenen Fehlverhalten schade die Autobranche sich selbst. „Es wird weiteres Vertrauen bei den Kunden zerstört. Dabei wäre es in Anbetracht der Innovationen, die anstehen – wie dem autonomen Fahren – extrem wichtig, Vertrauen aufzubauen.“ Resch fordert indes von der Politik, die „Menschenversuche mit Millionen von Probanden“ so schnell wie möglich zu beenden. Er meint damit, die massiven Verstöße gegen den Grenzwert von 40 Mikrogramm in zahlreichen Städten – auch Berlin, Köln und Frankfurt gehören dazu.

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