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Kommentar über den Lübcke-Prozess Politische Attentate passieren nicht einfach so

Politische Attentate passieren nicht einfach so, sondern sind Folge eines gesellschaftlichen Klimas, das ihnen den Boden bereitet, schreibt Dietrich Eickmeier.
21.06.2020, 06:00 Uhr
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Von Dietrich Eickmeier

Es ist ein Prozess mit besonderer Dimension. Der Mord an Walter Lübcke vor gut einem Jahr hat die Republik schockiert. Und er steht unter besonderer Beobachtung, denn es geht um die Frage, wie und ob es den Richtern des Frankfurter Oberlandesgerichts gelingt, den Fall juristisch besser aufzuklären als es den Kollegen im Münchner NSU-Prozess gelungen ist.

Es geht um den Vorwurf, mit dem Kasseler Regierungspräsidenten sei zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik ein politischer Beamter aus rechtsextremen und rassistischen Gründen getötet worden, weil er sich für eine liberale Flüchtlingspolitik einsetzte.

Geständnis widerrufen

Seit Dienstag steht Walter Lübckes mutmaßlicher Mörder vor Gericht. Dieser hat zunächst ein ausführliches Geständnis abgelegt, das er viel später auf Anraten seiner Anwälte widerrief. Und wie schon wiederholt in der Vergangenheit bei rechtsextremen Straftaten brachten die Ermittlungen zur Aufklärung des Attentats Versäumnisse der Sicherheitsbehörden ans Licht. So hatte der Verfassungsschutz den seit seiner Jugend als rechten Gewalttäter bekannten Stephan Ernst fälschlich als „abgekühlt“ eingestuft und nicht länger beobachtet. Sein mitangeklagter mutmaßlicher Helfer, ein überzeugter Rechtsextremist, konnte sich vor Gericht sogar einen Waffenschein erstreiten.

Es geht in diesem Prozess vor allem aber auch darum, ob es dem Gericht gelingt, mit einem Urteil in nicht allzu weiter Ferne diejenigen in diesem Land zu ermutigen, die sich in Städten und Gemeinden und in vielen Organisationen für andere Menschen auf vielfältige Weise engagieren. Es geht also in diesem so wichtigen Staatsschutzverfahren gerade auch um demokratische Verantwortung. Es sei beschämend, „dass wir Walter Lübcke nicht schützen konnten“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach der Ermordung des CDU-Politikers.

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Und er rief zum gesellschaftlichen Widerstand gegen Hass und Hetze auf: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Kommunalpolitikerinnen und -politiker in unserem Land zu Fußabtretern der Frustrierten werden.“ Der Bundespräsident redete Klartext. Seine Einschätzung lautete: „Deutschland ein massives Problem mit Hass und Gewalt.“

In der Tat: Politische Attentate passieren nicht einfach so, sondern sind Folge eines gesellschaftlichen Klimas, das ihnen den Boden bereitet. Lübcke musste sterben, weil sich seit dem Beginn der Flüchtlingskrise in unserer Gesellschaft Hass und Aggression ausbreiteten, befördert durch die Echokammern des Internets, fälschlicherweise soziale Medien genannt.

Viele Attentate auf Lokalpolitiker seit 2015

So wurden seit 2015 mehrere Attentate auf Kommunalpolitiker verübt. Henriette Reker, die heutige Oberbürgermeisterin von Köln, und Andreas Hollstein, der Bürgermeister von Altena, haben überlebt. Walter Lübcke hingegen hatte keine Chance. Viele Lokalpolitiker fühlen sich wie Freiwild.

Manche haben inzwischen aufgegeben, weil sie Hass, Morddrohungen oder körperliche Angriffe nicht länger ertragen wollten. Auch, weil sie sich von den Sicherheitsbehörden allein gelassen fühlten. Knapp zwei Drittel der Bürgermeister sind laut einer Umfrage der Zeitschrift „Kommunal“ in ihrem Amt bereits beleidigt, beschimpft, bedroht oder angegriffen worden.

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Doch es gibt hoffnungsvolle Zeichen. Der Bundespräsident ist vorangegangen und verleiht seiner Überzeugung, dass Staat und Gesellschaft gemeinsam den Schutz vor Hass und Gewalt übernehmen müssen, Ausdruck, indem er sich immer wieder mit bedrohten und angegriffenen Bürgermeistern trifft. Dieses Zeichen der Solidarität und Ermutigung schafft zudem Öffentlichkeit – Voraussetzung für mehr Unterstützung beim Kampf gegen rechte Gewalt.

Auch die staatlichen Behörden sind endlich aufmerksamer geworden. Der Bundestag hat gerade härtere Strafen für Hass im Netz beschlossen. Es gibt inzwischen auch Zentralstellen zur Verfolgung von Hasskriminalität, zudem Razzien gegen Internet-Hetzer. Und bei so manchem Staatsanwalt ist inzwischen die Erkenntnis gereift, dass seine Arbeit nicht Lappalien gilt, sondern der Bewahrung der Demokratie vor einem Klima der Angst.

Dieser Prozess hat also viel Aufmerksamkeit verdient, das bedeutet: möglichst viel Öffentlichkeit. Doch er wird leider in einem Saal geführt, in den, auch wegen der Corona-Beschränkungen, viel zu wenige Leute passen. Der Umzug zum Beispiel in eine Messehalle wäre seiner Bedeutung wegen angemessener gewesen.

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