Freiberg. Die Bundestagswahl verloren, die Stimmung am Boden, es rumort gewaltig: In der sächsischen CDU formiert sich offener Widerstand gegen die Berliner und Dresdner Führung der Union. Die CDU in der erzgebirgischen Universitätsstadt Freiberg fordert laut und deutlich den Rücktritt von Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Außerdem, so der örtliche Vorsitzende und Baubürgermeister Holger Reuter, solle die sächsische CDU ernsthaft über Bündnisse mit der AfD nachdenken: „Wenn sich die AfD stabilisiert und zu einer Politik kommt, die dem Bürger auch wirklich Wege zeigt, wie es besser werden kann, dann halte ich persönlich auch eine Koalition mit der AfD für möglich“, sagte er dem MDR.
Reuter und andere Christdemokraten haben vor Wochen bereits Forderungen aufgeschrieben, was sich alles in der CDU ändern müsse. In den „Freiberger Thesen“, wie der Katalog überschrieben ist, fordern Christdemokraten nicht nur Merkels Rücktritt, sondern auch den von CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Inhaltlich mahnen die Erzgebirger Dinge an wie einen sofortigen Aufnahmestopp von Flüchtlingen und sofortige Abschiebungen, ein Ende aller Sanktionen gegen Russland, keine Verschärfungen im Umweltrecht, Braunkohle als Brückentechnologie und eine sächsische CDU, die wieder den „Charakter einer Volkspartei“ haben soll.
Ähnliche Forderungen wurden auch in der vergangenen Woche erhoben, als sich in Dresden Christdemokraten aus ganz Sachsen getroffen hatten, um über die Folgen der Bundestagswahl zu sprechen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich hatte überraschend seinen Rücktritt angekündigt und Generalsekretär Michael Kretschmer als Nachfolger vorgeschlagen. Tillich will nicht mehr, ihm fehlen Kraft und Zuversicht für eine Kandidatur bei der Landtagswahl 2019.
Seitdem rumpelt es gewaltig in der Partei, die seit 27 Jahren in Sachsen regiert. Auch auf dem Dresdner Treffen hatten einige Christdemokraten Merkels Rückzug gefordert. Ob das allerdings schon eine weitverbreitete Stimmung in der sächsischen CDU widergibt, ist schwer einzuschätzen. In Dresdner Regierungskreisen will man das aber gar nicht mehr ausschließen. Jörg Woidniok, Chef der Freiberger CDU-Kreistagsfraktion, meinte kürzlich dazu: „Merkel hat die Partei in die Krise geführt. Sie hat die Partei in dieses desaströse Wahlergebnis geführt. Ich halte es für eine Frage des Anstandes und der Ehre für eine Parteivorsitzende, nach so einem Wahlergebnis die Konsequenz zu ziehen und zurückzutreten von ihrem Amt." Die CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann meinte im Chemnitzer "Wochenendspiegel": „Die Freiberger Thesen drücken aus, was die Mehrheit der Mitglieder der Partei denkt und fühlt. Da kann es in der Parteiführung kein Weiter so wie bisher geben.“
Etliche Christdemokraten wollen ihren sächsischen CDU-Landesverband anders ausrichten, nämlich deutlich gegen die Parteiführung und die Bundesregierung in Berlin. Der Landtagsabgeordnete Steve J. Ittershagen fordert, die sächsische CDU solle „insbesondere im Hinblick auf die Berliner Politik mit einer klaren und bundesweit vernehmbaren Stimme sächsische und deutsche Interessen vertreten".