Die Welt des Präsidenten steht auf dem Kopf. Nicht er ist der Radikale, vor dem sich die Nation fürchten muss, sondern sein Herausforderer, der Demokrat und Ex-Vizepräsident Joe Biden. Der sei eine Marionette der Linken, die es schaffe, was weder Karl Marx noch Malcom X vermochten: den Sozialismus nach Amerika zu bringen, Gott abzuschaffen und die schönen weißen Vororte der Städte dem Mob zu überlassen.
Wer ihm zuhört, muss denken, die Vereinigten Staaten stünden kurz vor einer Revolution. Wie im Januar 2017, zu Beginn seiner Präsidentschaft, gibt es auch jetzt nur einen, der das Land vor dem Untergang retten kann: Donald Trump. Es war eine verrückte Show, die der Präsident die vergangenen vier Tage lang auf dem Wahl-Parteitag der Republikaner inszeniert hat.
Ohne Abstand und Masken
Die rund 1500 handverlesenen Gäste auf dem Südrasen des Weißen Hauses feierten – inmitten einer außer Kontrolle geratenen Pandemie ohne sozialen Abstand, Masken oder anderen Vorsichtsmaßnahmen – einen Narzissten. Der zuckt angesichts von fast sechs Millionen Infizierten und 180.000 Toten nur mit der Schulter und stellt lapidar fest: Es ist, wie es ist.
Trump allein stand einer effektiven Strategie gegen das Coronavirus im Weg. Mehr als ein Dutzend Mal pries er den chinesischen Machthaber Xi Jingpin für sein vorbildliches Krisenmanagement. Doch statt selbst die Zeit zu nutzen, das eigene Gesundheitssystem für die Abwehr des tödlichen Erregers fit zu machen, spielte er die Gefahr immer wieder herunter.
Er legte seine Top-Wissenschaftler an die Leine, lehnte es selbst über Monate ab, Maske zu tragen, drängte auf die vorzeitige Öffnung der Wirtschaft. Er empfahl nicht nur wirkungslose Medikamente gegen die Pandemie, sondern riet auch ernsthaft, darüber nachzudenken, Covid-19-Patienten haushaltsübliche Desinfektionsmittel zu injizieren.
Trumps Lügenwelt hat in dem tödlichen Virus seinen Meister gefunden. Nach Stand der Dinge werden Ende November mehr Amerikaner der Pandemie zum Opfer gefallen sein als US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Der Präsident kann versuchen, die Fakten zu entstellen. Am Ende trägt er allein die Verantwortung dafür, dass ein Land, im dem vier Prozent der Weltbevölkerung lebt, 22 Prozent der bestätigten Corona-Toten aufweist.
Partei des Personenkults
Der Präsident hat die stolzen Republikaner – einst Partei der Ideen – in eine Partei verwandelt, die dem Personenkult huldigt. Absurderweise beschuldigt Trump seinen Herausforderer, kein Programm für die Wahl am 3. November zu haben. Dabei haben die Demokraten um jedes Wort ihrer fast 100 Seiten starken Plattform gerungen. Während die Republikaner die Verabschiedung eines Wahlprogramms kurzfristig abbliesen.
Deren Programm heißt Donald Trump – der bis heute keinen Plan hat, wie er die Pandemie unter Kontrolle und die Wirtschaft wieder auf die Beine bekommen kann. So zu tun als ob, mag in der Vergangenheit funktioniert haben. Angesichts der Realitäten im Alltag der Amerikaner überzeugt es jetzt aber nicht so richtig. Propaganda funktioniert nur, wenn sie auf einen Funken Wahrheit beruht.
Zu diesem Kapitel gehört auch seine Inszenierung als „Law-and-Order“-Kandidat, quasi als der Beschützer der Hausfrauen in den Vororten. Es reicht eben nicht, jeden nichtweißen Amerikaner auf die Bühne zu stellen, den Trump finden kann, um zu beschwören, dass er wirklich kein Rassist ist. Wer die vergangenen vier Jahre nicht auf einem anderen Stern gelebt hat, weiß es besser: vom Einreise-Bann für Muslime über Flüchtlingskinder in Käfigen bis hin zu einem Präsidenten, der unter den rechtsextremen Fackelträgern in Charlottesville ehrenwerte Gestalten ausmachte.
Die Rede Trumps am Ende des Parteitags mag einfach nur als ein Beispiel seiner verkorksten Weltsicht abgehakt werden. So langweilig, wie er sie vor der stattlichen Kulisse des Weißen Hauses vorgetragen hat, die für diesen Anlass eigentlich tabu sein sollte, lieferte der Präsident das beste Argument, warum er auf keinen Fall im Weißen Haus bleiben darf.