Wo bleibt der Impfstoff? Einen Tag vor dem durchgreifenden Lockdown in Deutschland wächst der Druck auf die EU-Behörden. Während in Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Israel und Kanada Menschen mit dem Vakzin des deutsch-amerikanischen Biontech-Pfizer-Konzerns versorgt werden, müssen die EU-Bürger Geduld aufbringen. Vermutlich erst am 29. Dezember will die Europäische Arzneimittel-Behörde (EMA) in Amsterdam ihr Prüfungsergebnis bekannt geben. Mitte Januar soll die Empfehlung für das Vakzin aus dem Haus des US-Herstellers Moderna und noch später die übrigen folgen. Das Unverständnis über die langen Prüfungen wächst.
„Wir müssen uns ganz sicher sein“, sagt EMA-Vizechef Noël Wathion. Die Behörde wolle die Kriterien Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit garantieren. Voraussetzung dafür seien umfassende Prüfungen der drei klinischen Testphasen, die von Experten der national zuständigen Behörden (in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) ausgewertet werden. Wie sinnvoll dies sei, so war in Brüssel am Montag zu hören, zeigen die ersten Erfahrungen in Großbritannien: Dort hatte die Arzneimittelaufsicht MHRA Ende vergangener Woche eine Warnmeldung veröffentlicht, weil es zu schweren Nebenwirkungen bei Allergikern gekommen war. Plötzlich war die Unsicherheit wieder da: Wurde zu schnell auf der Grundlage ungenauer Daten geimpft?
Tatsächlich haben die britischen Experten zwar dem Präparat aus dem Haus Biontech/Pfizer auf der Grundlage der EU-Regeln eine Notfallzulassung erteilt. Die hat aber gegenüber der bedingten und generellen Marktzulassung, die die EMA für die 27 EU-Mitgliedstaaten gerade vorbereitet, einige Nachteile. So wurde nur eine Charge mit 600 000 Dosen genehmigt. Als Grundlage nahmen die Experten der MHRA auch deutlich weniger Daten der vorangegangenen Versuchsreihen.
Die EMA forderte für ihr Verfahren mehrfach gründlichere Daten von dem Hersteller nach. „Wir mögen nicht so schnell sein, aber wir haben auch ein anderes rechtliches Instrument gewählt“, bekräftigt Wathion. Als Grund verweisen die EU-Experten darauf, dass sie von Biontech/Pfizer die Altersstruktur der Versuchspersonen aufgeschlüsselt bekommen wollen. Die britische Charge ist nur für Menschen ab 16 zugelassen. Langzeitwirkungen sind nur wenig ausgetestet worden.
Gute Gründe
Trotzdem sehen sich EU-Kommission und EMA Vorwürfen ausgesetzt. So kursieren Berichte, die Zulassung der Impfstoffe für die EU-Bürger lägen bei der EMA in den Händen eines französischen und schwedischen Berichterstatters, die die Genehmigung gezielt verschleppen würden. „Blanker Unsinn“, hieß es in Brüssel. „Wenn die EMA einen Stoff noch nicht zugelassen hat, gibt es gute Gründe“, betont auch der CDU-Gesundheitspolitiker und Europaabgeordnete Peter Liese, der selbst Arzt ist.
„Die Menschen sollen sich sicher sein, dass ein Präparat, das die Europäische Arzneibehörde zulässt, sicher ist.“ Es gebe keinen Grund für die Befürchtung, es würden Vakzine bereits genutzt, die für die EU vorgesehen seien. Und noch eine Mär würden die europäischen Fachleute gerne aus der Welt schaffen: Auch wer heute geimpft werde, müsse an Weihnachten und Silvester die Auflagen befolgen. Erstens sei für den Schutz ein zweiter Piks notwendig – und selbst danach dauere es noch einige Zeit, bis das Präparat wirke. In Brüssel rechnet man damit, dass es bis März dauert, ehe die Infektionszahlen auf breiter Front zurückgehen.