Zwei Daten verbinden Bremen mit Helmut Kohl geradezu schicksalhaft: der sogenannte Putsch-Parteitag im September 1989 und der legendäre Neujahrsempfang der Landes-CDU am 21. Januar 2000. Beide stehen gleichermaßen für existenzielle Krisen Kohls, aber auch für seine Fähigkeit, sie durchzustehen.
Der 1989er Parteitag der CDU in Bremen weist einige Kuriositäten auf. Da ist zunächst der Umstand, dass der „Putschversuch“ von einigen Partei-Granden gegen den ungeliebten großen Vorsitzenden zwar immer in einem Atemzug mit diesem Convent genannt wird – das Drama aber schon vorbei war, als er eröffnet wurde. Er blieb sozusagen Bühne für ein Schurkenstück, in dem die Schurken gar nicht mehr auftauchten – die hatte König Kohl nämlich schon abgeräumt, entmutigt, demoralisiert, bevor sich der Vorhang hob.
Kurios ist – aus heutiger Sicht – auch die Vorgeschichte, der Anlass für den Umsturzversuch. Der damalige Generalsekretär Heiner Geißler sah die Partei auf dem absteigenden Ast, weil sie schon bei der Bundestagswahl 1987 4,5 Prozentpunkte eingebüßt und nur noch 44,3 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte. Der heutige Traumwert war aber bis dato das schlechteste Ergebnis seit 1949 gewesen.
Es folgten Wahlniederlagen in Hamburg, in Rheinland-Pfalz, in Bremen sowie die Barschel-Affäre in Schleswig-Holstein. Geißler war überzeugt: „Der kann es nicht, der schafft es nicht.“ Er hielt Kohl mit der Doppelrolle als Regierungs- und Parteichef schlicht für überfordert.
Aber auch Kohl ist mit seinem „General“ unzufrieden. Geißler ist ihm zu selbstherrlich, im November 1988 verwarnt er ihn und droht, ihn auf dem Bremer Parteitag nicht mehr als Generalsekretär vorzuschlagen. Vor allem befürchtet Kohl, dass Geißler die Partei nach links rücken will. Ein Indiz dafür sieht er in Geißlers Sprüchen von einer „multikulturellen Gesellschaft“ oder dessen lockerer Haltung zur Oder-Neiße-Linie. Hier verstand Kohl mit Rücksicht auf die Vertriebenen-Verbände und die Schwesterpartei CSU keinen Spaß. Das zahlte sich aus: CSU-Chef Theo Waigel blieb Kohl gegenüber völlig loyal.
Im Gegensatz zu Norbert Blüm, Rita Süssmuth oder Lothar Späth. Der baden-württembergische Ministerpräsident wurde von Geißler angestiftet, in Bremen gegen Kohl für das Amt des Parteichefs anzutreten. Wolfgang Schäuble, ebenfalls aus Baden-Württemberg und damals Chef der Unionsfraktion im Bundestag, forderte jedoch einen klaren Schnitt: Entweder müsse Geißler den Kanzler stürzen oder selber gehen.
Geißler wurde dann gegangen – von Kohl. Drei Wochen vor dem Bremer Parteitag eröffnete er dem Generalsekretär, dass er ihn nicht zur Wiederwahl vorschlagen werde. Die Parteisatzung gab ihm ausdrücklich das Recht dazu, denn sie betont das Vertrauensverhältnis zwischen Parteivorsitzendem und Generalsekretär. Trotzdem rumorte es an der Parteispitze: Kohls drei Stellvertreter Blüm, Süssmuth und Späth beklagten sich, dass er sich nicht mit ihnen beraten habe. Auch dies erscheint im Rückblick reichlich kurios.
Kohl-Party im Park-Hotel
Aber es gab weitere namhafte CDU-Politiker, denen die ganze Richtung unter Kohl nicht passte: Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht zählte ebenso dazu wie Kurt Biedenkopf und wohl auch – eher im Hintergrund – Richard von Weizsäcker. Doch der Aufstand der Delegierten aus den Landesverbänden, auf den Geißler gehofft hatte, blieb in Bremen aus. Warum? Kohl hatte ihnen eine attraktive Alternative für den Posten des Generalsekretärs zu bieten: den jungen, als liberal geltenden Hamburger Bundestagsabgeordneten Volker Rühe.
Doch noch am Vorabend des Parteitages herrschte Hochspannung. Bremens CDU-Chef Bernd Neumann, als Gastgeber Kohl treu ergeben, forderte dessen Gegner auf, sich endlich offen zu bekennen. Die Putschisten zogen aber die Köpfe ein, Späth kandidierte nicht gegen Kohl.
Gut zehn Jahre später sprang Neumann Kohl in einer weiteren Krise bedenkenlos bei und riskierte dabei auch seinen eigenen Ruf. Im Januar 2000, auf dem Höhepunkt der CDU-Spenden- und Schwarzgeldaffäre, lud er den Alt-Kanzler demonstrativ zum Neujahrsempfang der Landespartei ins vornehme Park-Hotel ein. Kurz zuvor hatte die Parteispitze Kohl den Ehrenvorsitz entzogen und man debattierte, ob man nicht sogar rechtliche Schritte gegen ihn einleiten solle.
Doch die Bremer Christdemokraten stehen treu zu Kohl. Um die 4000 Menschen drängen sich in den Hallen des Hotels, um ihn zu feiern. Hartmut Perschau, damals Finanzsenator der Bremer Großen Koalition, erinnert an Kohls Verdienst um das Sanierungsprogramm: „Er hat mit uns gefochten, um die Existenz unseres Bundeslandes zu sichern.“ Kohl revanchiert sich: „Ich habe großen Respekt für die großartigen Leistungen in Bremen.“ Und setzt gefühlig drauf: „Ich will Ihnen sagen, wie‘s mir ums Herz ist: Das hat mir gutgetan.“
In anderen Bundesländern sind die CDU-Vorsitzenden weniger angetan. Christian Wulff, Peter Müller, JU-Chefin Hildegard Müller und natürlich Heiner Geißler mokieren sich über Bernd Neumanns „Inszenierung von Bremen“, nennen es gar parteischädigend. Der Bremer habe „die Grenzen dessen überschritten, was man sich bieten lassen muss.“ Der keilt zurück, spricht von „politischen Geißlerfahrern“ und warnt davor, gegen Kohl juristisch vorzugehen.
Kohl zeigt sich drei Jahre später noch einmal für diese Loyalität erkenntlich: Während des Bürgerschaftswahlkampfes im April 2003 unterstützt er die bremische CDU mit einem Auftritt in der Messehalle 7. Die ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als plötzlich ein Störer hervorstürmt und Kohl ein Glas Wein über den Kopf gießt. Kohl bleibt cool: „Immer noch besser als Eier oder Stinkbomben – aber leider kein Pfälzer Wein.“