Das Bundeskabinett hat am Mittwoch gleich drei Gesetzentwürfe zur Gesundheitspolitik beschlossen. Alle drei sind umstritten, sie werden im Bundestag wohl noch heftig debattiert werden. Den meisten Zündstoff enthält fraglos Jens Spahns „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“. Der CDU-Politiker, der überraschend nicht als Verteidigungs-, sondern doch wie gewohnt als Gesundheitsminister am Kabinettstisch Platz nahm, will Online-Apotheken aus anderen EU-Staaten damit Preisnachlässe für deutsche Kunden bei verschreibungspflichtigen Medikamenten verwehren – obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) ihnen das in einem Urteil vor zweieinhalb Jahren ausdrücklich zugestanden hatte. Entsprechend hat auch das Justizministerium Bedenken gegen Spahns Gesetz geltend gemacht.
Spahn wollte die Rabatte der Online-Anbieter zunächst nur begrenzen, beugte sich dann aber der heimischen Apothekerlobby. Gleichzeitig versucht er, den Widerstand aus Brüssel mit einem Trick zu umgehen. Die Vorgabe, dass verschreibungspflichtige Arznei hierzulande nur zu einem einheitlich festgelegten Preis verkauft werden darf, soll nun vom Arzneimittelrecht ins Sozialgesetzbuch wandern. Hier erhofft sich das Gesundheitsministerium mehr Handlungsfreiheit.
Nach Informationen des „Handelsblattes“ war die EU-Kommission von Spahns Vorhaben jedoch so alarmiert, dass sie noch während der Erarbeitung des Gesetzentwurfes Einspruch erhob und ihre Bedenken schriftlich zu Protokoll gab. Ein „System von Fixpreisen“ laufe dem freien Warenverkehr zuwider, warnten die Brüsseler auch öffentlich. Wenn es die Bundesregierung nicht beseitige, drohe Deutschland eine Klage vor dem EuGH.
Spahn verteidigt sein Vorgehen mit dem Solidaritätsprinzip. Dieses werde durch Rabatte von Online-Apotheken unterwandert, da die Preisnachlässe nur einzelnen Kunden und nicht der Solidargemeinschaft im Ganzen zugutekämen, argumentiert er. Doch Justizministerium und Koalitionspartner bleiben skeptisch. „Spahn geht das volle Risiko“, sagte der Fraktionsvize und Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach. Wenn Spahn das Gesetz so unbedingt haben wolle, liege das in seiner Verantwortung, werden Kreise des Justizministeriums zitiert.
Unabhängig davon enthält Spahns Gesetz noch weiteres Entgegenkommen für die Apotheker, gegen das die EU-Wettbewerbshüter nichts haben können. Für Notdienste und neue Dienstleistungen, etwa bei Prävention oder Arzneimittelsicherheit, sollen sie 215 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Gleichzeitig sollen sie, zunächst über regionale Modellvorhaben, künftig auch Erwachsene gegen Grippe impfen dürfen.
Auch gegen das zweite Gesetzespaket, das Spahn vorlegte, gibt es Bedenken – und zwar vom Deutschen Ethikrat. Gleichwohl will der Gesundheitsminister wegen der niedrigen Impfquoten nun Ernst machen mit einer allgemeinen Masern-Impfpflicht. Sie soll ab März 2020 gelten und wäre auch mit Sanktionen belegt. Ungeimpfte Kinder würden dann in Kitas und Horten abgewiesen. Ärzte, Pflegekräfte, Lehrer und Betreuer ohne Masernschutz dürften nicht mehr beschäftigt werden. Das Gleiche gelte für Tagesmütter sowie für Küchen- oder Putzkräfte in Gemeinschaftseinrichtungen. Für Schulkinder ohne Impfschutz, die ja nicht von ihrer Schulpflicht entbunden werden können, müssten Eltern künftig bis zu 2500 Euro Buße zahlen.
In Asylunterkünften soll die Impfpflicht ebenfalls durchgesetzt werden. Sie soll auch dann gelten, wenn nicht allein gegen Masern geimpft wird, sondern nur mit Kombinationsimpfstoffen, in denen auch der Schutz vor Mumps und Röteln mitenthalten ist. Impfen dürfen alle Ärzte, gleich welcher Fachrichtung. Zudem soll es wieder Reihenimpfungen an Schulen gegen Tetanus, Diphterie oder Keuchhusten geben, allerdings freiwillig.
Spahns MDK-Reformgesetz schließlich ärgert vor allem die gesetzlichen Krankenversicherer. Es sieht vor, die Medizinischen Dienste von den Kassen zu lösen und sie zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts umzuwandeln. Damit will Spahn der Dauerkritik an der fehlenden Unabhängigkeit von MDK-Gutachtern begegnen, die unter anderem für Rechnungskontrollen der Kliniken, Qualitätskontrollen der Pflegeheime und für die Einstufung von Pflegebedürftigen zuständig sind. In den Gremien dieser Prüfdienste, die von den Kassen finanziert werden, sollen künftig zudem auch Ärzte, Patienten, Pflegebedürftige und Pflegende vertreten sein. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sieht in der Organisationsreform einen „Angriff auf die Selbstverwaltung“. Mit dem gleichen Gesetz will der Minister auch gegen die hohe Zahl von Falschabrechnungen durch Krankenhäuser vorgehen. Schwarze Schafe sollen künftig deutlich öfter geprüft werden, die korrekten Abrechner seltener. Außerdem sollen Falschabrechner bei häufigen Unregelmäßigkeiten auch finanzielle Aufschläge aufgebrummt bekommen. Bisher haben Kliniken bei aufgeflogener Falschabrechnung den Kassen nur den Differenzbetrag zu erstatten.
Die Versicherer hätten gerne noch schärfere Sanktionen und fordern bei wiederholter Falschabrechnung auch eine strafrechtliche Verfolgung. Bei Kontrollen durch die gesetzlichen Krankenkassen hatte sich jede zweite der geprüften Klinikabrechnungen als fehlerhaft erwiesen. Die Schäden liegen im Milliardenbereich.