Europa muss sich irgendwie lohnen. So zumindest könnte man den Ansatz einiger Staats- und Regierungschefs interpretieren, mit dem sie zum informellen Gipfeltreffen am Freitag in Brüssel reisten. Mehr Geld in den EU-Haushalt einzahlen? Die Niederlande und auch Österreich schütteln energisch mit dem Kopf – keinen Cent mehr. In Osteuropa wollen die Regierungschefs auf keinen Euro verzichten, den sie aus diversen Strukturfonds erhalten. Aus Europa soll möglichst viel herausspringen – frei nach dem Motto: wenig einzahlen und üppig empfangen. Die deutsche Bereitschaft, mehr für das Gemeinschaftsbudget aufzubringen, ist zwar löblich. Aber sie reicht nicht aus.
Haushaltskommissar Günther Oettinger geht von einer Finanzierungslücke in Höhe von zwölf bis 14 Milliarden Euro pro Jahr aus, nachdem Großbritannien als zweitgrößter Nettozahler der EU weggefallen ist. Die Beiträge des Vereinigten Königreichs waren bislang zwar deutlich unter dieser Marge – aber die Gemeinschaft hat eben auch neue Aufgaben übernommen, die finanziert werden wollen. Die Verteidigungsunion kann erst langfristig Einsparungen bringen, weil Anschaffungen von mehreren Mitgliedstaaten zusammen günstiger zu bekommen sind. Aber der verstärkte Grenzschutz, der Kampf gegen illegale Migration und gegen Terror dürften ihrerseits kräftig zu Buche schlagen.
Verzichten will dennoch niemand auf die bisherigen Zuwendungen aus Brüssel: Selbst beim bislang größten Ausgabeposten, der Förderung der Landwirtschaft in der EU, soll nicht gekürzt werden – obschon das System seit Jahren Probleme aufweist. Es bevorteilt die Großbauern und verdrängt die Kleinen, die Unterstützung benötigen. Es ruft Überproduktionen hervor, die am Ende den Preis für die Erzeugnisse noch weiter nach unten drücken und neue Subventionen unabdingbar machen. Nein, natürlich kann auch bei Strukturfonds, die schwache Regionen in der EU fördern, nicht gespart werden. Hinzukommen wichtige und notwendige Investitionen wie Beiträge für humanitäre Hilfe sowie die Pflege der europäischen Nachbarschaft, die später einmal zur EU gehören könnte.
Wer mehr einzahlt bekommt am Ende auch mehr heraus
Natürlich ist es wenig sinnvoll, bei Forschungs- und Innovationsprogrammen zu sparen. Aber die EU kann nicht ständig neue Aufgaben auf sich nehmen, ohne gleichzeitig Abstriche zu machen. Oettingers Ankündigung, nach dem Wegfall des „Britenrabatts“ auch gleich alle anderen Vergünstigungen zu streichen, die sich in der Folge andere Mitgliedstaaten ausgehandelt haben, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch selbst dabei dürfte es Widerstand geben. Dabei sollte eigentlich allen klar sein: Wer mehr einzahlt, bekommt am Ende auch mehr heraus – denn nach wie vor fließen 95 Prozent des EU-Haushalts zurück in die Mitgliedstaaten.
Dennoch sollte dies nicht ohne Bedingungen geschehen: Die Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Oettinger, Gelder aus Brüssel an Grundprinzipien der EU zu knüpfen, stieß in Osteuropa auf offene Empörung. Die Union soll zwar Geld geben, aber sich nicht in die innerstaatlichen Angelegenheiten einmischen. Und ob Warschau Flüchtlinge aufnehmen will oder nicht, entscheidet die Regierung selbst – auch wenn in Brüssel Mehrheitsbeschlüsse getroffen wurden.
Rechtsstaatlichkeit und Solidarität sind zwei Grundprinzipien der Europäischen Union, die zunehmend mit Füßen getreten werden. Dieses Europa droht zu einem Menü à la carte zu verkommen, wenn die Staats- und Regierungschefs nicht beginnen, an einem Strang zu ziehen. Dazu gehört die Bereitschaft, in die Gemeinschaft zu investieren, ohne nur den eigenen Vorteil vor Augen zu haben. Dazu gehört der Wille, einander zu unterstützen – und sei es um der simplen Erkenntnis wegen, dass Herausforderungen wie die illegale Migration, der Terror, ja selbst die Auswirkungen der Globalisierung im Staatenverbund deutlich leichter zu meistern sind denn als Einzelkämpfer.
Wenn Polen mit einer „Krise mit weit reichenden Folgen für die Union“ droht, sollten Mehrheitsbeschlüsse zur Regel werden, zeigt dies, wie weit die Gemeinschaft auseinandergedriftet ist. Dabei will Oettinger den nächsten Haushaltsrahmen 2019 auf den Weg bringen. Schon jetzt schütteln die Staats- und Regierungschefs mit dem Kopf: Unrealistisch sei das, hieß es. Sie dürften recht behalten – denn es liegt an ihnen, sich zu bewegen. Stattdessen stampfen einige mit den Füßen auf den Boden. Auf diese Weise kann Europa nicht vorankommen.