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Atomkraft Hoffen auf die vierte Generation

Während in Deutschland in zwei Jahren Schluss mit Atomenergie ist, halten andere Länder an dieser Art der Stromerzeugung fest und investieren kräftig in Forschung und Entwicklung: auch aus Klimaschutz-Gründen
11.12.2020, 10:05 Uhr
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Von Ralf Nestler

Nur noch zwei Jahre, dann ist voraussichtlich Schluss mit der Atomkraft in Deutschland. Andere Länder halten an dieser Art der Stromproduktion fest, unter anderem weil sie wetterunabhängig und klimafreundlich ist. Dafür nehmen sie auch die Risiken in Kauf. Zum Beispiel der designierte Klimabeauftragte der US-Regierung, John Kerry, war gegen diese Technologie, sieht sie nun allerdings als Teil der Lösung für das Klimaproblem und befürwortet moderne Reaktorkonzepte. Länder, die bisher ohne Kernenergie auskamen, planen sogar einen Einstieg, etwa Polen.

Atomkraft wird also weiter genutzt, was die Forschung anspornt. Neben Verbesserungen an aktuellen Typen arbeiten die Wissenschaftler an Kernreaktoren der vierten Generation. Sie sollen Kernbrennstoff besser ausnutzen und teilweise auch Material aus alten Brennstäben verwerten. Aus dem hochgefährlichen Abfall, für den aufwendige Endlager zu schaffen sind, könnte ein Rohstoff werden und die Abfallmenge beträchtlich abnehmen. Die Reaktoren sollen sicher und wirtschaftlich sein und ungeeignet, um waffenfähige Spaltprodukte zu gewinnen. Das klingt zu gut, um wahr zu sein und ist es auch, zumindest noch. Die Entwicklungen sind unterschiedlich weit fortgeschritten. Manche werden bereits gebaut, andere Konzepte wie der Dual Fluid Reaktor einer Berliner Forschergruppe gibt es bislang nur auf dem Papier und in Computersimulationen.

Kernschmelze ausgeschlossen

Sehr weit ist China, wo in Shidaowan in der Provinz Shandong das Demonstrationskraftwerk HTR-PM mit zwei Hochtemperatur-Reaktoren entsteht, die später um weitere Einheiten erweitert werden sollen. Grundsätzlich haben Hochtemperaturreaktoren einen höheren Wirkungsgrad als gewöhnliche Druckwasserreaktoren, sind aber teurer. Eine Idee ist, nicht allein auf die Stromausbeute zu schauen, sondern auch auf die chemischen Prozesse, die mit den Kernaustrittstemperaturen von bis über 900 Grad Celsius möglich sind, etwa die Herstellung von Wasserstoff als Energieträger.

Es handelt sich um Kugelhaufenreaktoren. Jeder wird mit einer Viertelmillion billardkugelgroßer Brennstoffeinheiten befüllt, die während des Betriebs mehrfach unten herausgenommen und oben wieder eingefüllt werden. Sollte die Kühlung ausfallen, erhitzen sich die Kugeln und die Kettenreaktion bricht ab. Eine Kernschmelze ist physikalisch ausgeschlossen, wie Thomas Schulenberg vom Karlsruher Institut für Technologie in seinem kürzlich erschienen Buch „Die vierte Generation der Kernreaktoren“ erläutert. Wie bei vielen Großprojekten gab es auch beim HTR-PM etliche Verzögerungen. Ein Termin für den Start ist noch nicht bekannt. Er gilt trotzdem als mutmaßlich erster funktionsfähiger Reaktor der vierten Generation.

Bill Gates investiert auch

An zwei anderen Konzepten arbeitet das von Bill Gates gegründete Unternehmen „Terra Power“. Die Ziele: Kernkraft billiger machen und bereits angefallenen Atommüll aufbrauchen. Dazu setzen die Ingenieure auf Laufwellen- und Flüssigsalzreaktoren. Beides sind Brutreaktoren, die kein eigens angereichertes Uran benötigen und ihren Brennstoff gewissermaßen selbst herstellen und anschließend verbrauchen.

Im Laufwellenreaktor erfolgt die Kernspaltung nicht überall gleichzeitig, sondern nur in bestimmten Zonen, die durch die Anlage „laufen“. Gekühlt wird mit flüssigem Natrium. Der Vorteil: Es gibt keine Korrosionsprobleme. Der Nachteil: Bei einem Leck kommt das Metall mit Luftsauerstoff in Kontakt und brennt. Das gilt allerdings als beherrschbar, denn die Tropfen fallen zu Boden und gehen dort einfach aus. Terra Power wollte mit der staatlichen China National Nuclear Corp südlich von Peking ein solches Kraftwerk bauen. Doch die Kooperation scheiterte vor zwei Jahren infolge der restriktiven China-Politik der USA.

Verzicht auf feste Brennstoffe

Das Konzept der Flüssigsalzreaktoren hingegen verzichtet auf feste Brennstoffe, sondern sieht vor, diese in einer Salzschmelze zu lösen und im Kreis zu führen. Daran angeschlossen ist ein zweiter Kreislauf mit Kühlmittel, der die Wärme der Stromgewinnung zuführt. Das Sicherheitsversprechen ist groß: Ausgelegt als schneller Reaktor, würde im Falle eines Lecks im Kreislauf der Salzschmelze sogleich die Leistung abnehmen. Eine Kernschmelze wäre nicht möglich. Doch es gibt bisher kaum Erfahrungen mit der Technik, sodass noch viel Entwicklungsarbeit nötig ist, um die Zuverlässigkeit und die Wirtschaftlichkeit bewerten zu können. Ein Testreaktor von Terra Power und Partnern soll Ende des Jahrzehnts laufen.

An einem noch kühneren Vorhaben wird am Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik gearbeitet. Die Forscher haben den „Dual Fluid Reaktor“ (DFR) entworfen, der dem Flüssigsalzreaktor ähnelt, aber Verbesserungen vorsieht. Die Abtrennung der Spaltprodukte und auch die Zufuhr neuer Brennstoffe sollen mit weniger aufwendigen Verfahren gelingen, etwa einfacher Destillation. Und: „Alle jetzigen stark strahlenden Abfälle können im Reaktor verbrannt werden, man benötigt kein Endlager mehr“, sagt Götz Ruprecht und rechnet vor, dass der DFR obendrein besonders effizient sei. Bei einem Kohlekraftwerk gewinne man rund 30-mal so viel Energie wie man zuvor in sämtliche Prozessschritte gesteckt habe, bei Wasserkraft liege der Faktor bei 35, bei Druckwasserreaktoren um die 100 und beim Reaktorkonzept der Berliner zwischen 2000 und 5000.

Ruprecht und seine Kollegen haben viele Berechnungen gemacht und Patente angemeldet, aber noch nichts gebaut. Glaubt man dem Kerntechniker, könnte es mit ausreichender Finanzierung schnell gehen. „Mit zehn Milliarden Euro könnte man in zehn Jahren einen Prototypen mit 1,5 Gigawatt elektrischer Leistung bauen, der könnte eine Stadt wie Berlin versorgen.“ 40 Millionen Euro sammeln sie gerade von Investoren ein.

Info

Zur Sache

In einem finnischen Atomkraftwerk hat es einen schwerwiegenden Störfall gegeben. Dieser habe zu einer automatischen Schnellabschaltung im Block 2 des Kernkraftwerks Olkiluoto geführt, teilte die Strahlenschutzbehörde Säteilyturvakeskus am Donnerstag mit. Die Situation sei stabil, die Anlage sicher. Strahlung sei in die Umgebung nicht ausgetreten. Olkiluoto ist eine Insel vor der Westküste Finnlands. Sie liegt rund 250 Kilometer nordwestlich von Helsinki.

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