George Orwells dystopischer Roman 1984 wird nun bald 75 Jahre alt. Angesichts der immer weiter voranschreitenden Technisierung fragt man sich, wie weit die im Buch dargestellten technischen Überwachungsmöglichkeiten heute bereits erreicht oder sogar übertroffen werden. Tatsächlich sind die Möglichkeiten der Überwachung heutzutage an vielen Stellen gegeben. So etwa bei der Videoüberwachung privater Grundstücke und öffentlicher Bereiche. Allerdings gelten hier strenge Regeln. Wer zum Beispiel das Grundstück seines Nachbarn mitüberwacht, muss mit Unterlassungsansprüchen rechnen und Unternehmen oder Behörden müssen sich in Bezug auf die Möglichkeiten von Videoüberwachungen an die strengen Datenschutzgesetze halten.
Gleichwohl bröckelt dieser Schutz im Alltag schon sehr – man muss nur einmal darauf achten, wie häufig man zum Beispiel in Cafés und Restaurants von einer Videokamera in den Blick genommen wird. Noch intensiver werden die Überwachungsmöglichkeiten, wenn es um die Nutzung digitaler Inhalte und Dienste geht. Noch bis vor Kurzem war es üblich, dass Anbieter von Webseiten beinahe das ganze Nutzerverhalten auf der jeweiligen Webseite verfolgten, um den Erfolg der eigenen Seite zu messen und zielgerichtet Werbung ausspielen zu können. Insbesondere große Werbenetzwerke waren dabei sogar in der Lage, einzelne Nutzer Website- und geräteübergreifend zu verfolgen. Diese Möglichkeiten existieren zwar immer noch. Allerdings haben gesetzliche Verschärfungen dazu geführt, dass dies mittlerweile nur mit der ausdrücklichen Einwilligung der Nutzer erlaubt ist.
Diese wird in der Regel über ein sogenanntes Cookie Banner eingeholt, wobei den Nutzern mittlerweile die Erteilung der Einwilligung genauso leicht gemacht werden muss, wie deren Verweigerung. Zwar versuchen immer noch einige Websiteanbieter, die Ablehnung der Einwilligung über eine komplizierte Auswahlstruktur zu erschweren oder die Möglichkeit der Ablehnung optisch in den Hintergrund treten zu lassen. An dieser Stelle sind Datenschutzaufsichtsbehörden aber besonders streng und werden meist sofort tätig, sobald sich auch nur ein Nutzer beschwert. Gleichwohl sind auch hier immer noch viele Lücken in der Praxis zu erkennen – und das nicht nur auf klassischen Websites, sondern auch bei vielen Sendern auf mit dem Internet verbundenen Smart TVs.
Die Überwachungsmöglichkeiten gehen aber noch weiter. Anbieter sozialer Netzwerke oder Messenger Dienste wie Meta (Facebook) sind in der Vergangenheit immer wieder mit Datenschutzverstößen aufgefallen und auch Betriebssystemhersteller sowie Anbieter von Cloud Services konnten eine Menge Daten über uns verarbeiten und sammeln.
Und an dieser Stelle wird es aktuell besonders spannend. Denn vor ein paar Tagen hat Microsoft ein neues Konzept für PCs vorgestellt. Unter dem Namen „Copilot Plus PC“ kündigte der Microsoft-Chef Nadella einen neuen Laptop an, der neben einem normalen Computerprozessor (CPU) und einem Grafikprozesser (GPU) auch eine neuartige, sogenannte Neural Processing Unit (NPU), enthalten soll. Hiermit wird dem Laptop ermöglicht, Nutzerdaten lokal von einer Künstlichen Intelligenz auswerten zu lassen. Und an dieser Stelle wird fühlt man sich schnell an Orwell'sche Überwachungsmöglichkeiten erinnert. Denn der PC soll in regelmäßigen Abständen Screenshots des Bildschirms anfertigen, um diese der KI zur lokalen Auswertung zu überlassen und den Nutzer und sein Verhalten besser kennenzulernen.
Vornehmlich soll dies laut Microsoft ausschließlich lokal erfolgen und dazu dienen, den Nutzer bestmöglich zu unterstützen. Außerdem soll sich diese Funktion auch ausschalten lassen. Tatsächlich wird aber deutlich, wie tief das Microsoft Betriebssystem an dieser Stelle einen Einblick in das Nutzungsverhalten und die Privatsphäre des Nutzers nehmen könnte. Ob die Daten dabei wirklich lokal auf dem PC verbleiben oder so nah am Rande der KI-Cloud verarbeitet werden, dass einzelne Daten oder Auswertungsergebnisse doch abfließen, bleibt abzuwarten und wird letztlich neben weiteren regulatorischen Herausforderungen auch eine Frage des Vertrauens in das Unternehmen sein, das in der Vergangenheit mehrfach erschüttert wurde.
Ob und bis zu welchem Punkt Nutzer an dieser Stelle den Anbietern entsprechender Dienste wirklich vertrauen wollen, bleibt letztlich auch eine persönliche Entscheidung. Klar ist allerdings, dass die Daten, die auf dem Spiel stehen, immer detaillierter werden. Und die zu Beginn dargestellten alltäglichen Überwachungsmöglichkeiten zeigen schon heute, dass immer wieder Lücken im Hinblick auf den Datenschutz entstehen und die Orwell'schen Überwachungsdystopien vielleicht gar nicht mehr so weit von uns entfernt sind.