Samtweich fließt der Inhalt aus der schlanken schwarzen Flasche. Feine Zungen erkennen Nuancen von Nüssen, Mandeln und die fruchtige Süße: Typisch für die Galega-Olive. Mádlin Inácio Philogene fängt den naturbelassenen Geschmack des portugiesischen Sommers ein und bringt ihn seit zwei Jahren nach Bremen. Gerade einmal 200 Liter feinsten, sortenreinen Olivenöls beträgt die Ausbeute des Erntejahrgangs 2022. Dafür kennt sie jeden ihrer Olivenbäume persönlich. Zur Ölproduzentin wurde die junge Bremerin aus Liebe zum Land ihrer Vorfahren. Und mit dem festen Ziel, Gutes zu tun.
„Lagarto“ heißt ihr Öl, und die goldene Eidechse – entworfen von einer Cousine – ist ihr Markenzeichen. Niemand weiß, warum die Bewohnerinnen und Bewohner von Póvoa de Cervães „Lagartos" – also Eidechsen – genannt werden. „Vielleicht, weil Echsen die Sonne lieben“, vermutet die 32-Jährige. Der 190-Seelen-Flecken liegt im Landesinneren in der portugiesischen Provinz Mangualde. Fotos zeigen sanfte Hügel und üppiges Grün, eine urtümliche Landschaft, so zauberhaft und wild-romantisch, dass sie als Kulisse für die Fantasy-Serie Game of Thrones herhalten durfte, erzählt Mádlin Inácio Philogene.

Mádlin Inácio Philogene.
Im milden mediterranen Klima und im Schutz der Berge gedeihen Orangen, Kaki, Mais und Pinien. Die fruchtbaren Felder sind traditionell umrahmt von Olivenbäumen. Jahrhundertelang ernteten und verarbeiteten die Lagartos alles, was sie brauchten, und noch mehr. Das Problem: Es gibt nicht mehr viele von ihnen. „Im Dorf leben kaum noch junge Leute. Viele Felder liegen brach, die Bäume werden nicht mehr abgeerntet", erklärt sie. „Das zerriss mich. Irgendwann fragte ich meinen Großvater, was er davon hielte, wenn ich mich um die Olivenbäume kümmere. Seine Antwort: Worauf wartest du?“
Die Großeltern Joaquim und Darcilia sind die familiäre Brücke zwischen Póvoa de Cervães und Bremen. In den 1960er-Jahren war der Großvater als Gastarbeiter in die Hansestadt gekommen, um im Hafen zu arbeiten. „Er musste“, weiß die Enkelin, die mit ihrer Familie in Walle lebt. Jahrelang war er unter einfachsten Bedingungen in einer Bremer Kaserne untergebracht, bis er in eine eigene Wohnung umziehen, Frau und später auch die drei Kinder zu sich holen konnte. Nach vierzig Jahren harter Arbeit zog es die Großeltern, mittlerweile beide in ihren Achtzigern, wieder zurück in die alte Heimat.
Seit jeher stellte die Familie ihr eigenes Olivenöl her. Doch wo fängt man an, wenn man es vermarkten möchte? „Ich habe erst einmal herumgoogelt“, gesteht die Mutter zweier kleiner Söhne, die hauptberuflich für eine Bremer Krankenversicherung arbeitet. Mut machte ihr eine Beraterin des Bremer Vereins „Frauen in Arbeit und Wirtschaft". „Hätte sie gesagt, dass ich es keine gute Idee ist – ich hätte es gelassen“, sagt Inácio Philogene. Dann folgte ein guter Tipp dem nächsten. „Bremen ist super vernetzt, und es gibt hier unheimlich tolle Leute“, schwärmt sie.
Zu bestehen war zunächst die Prüfung der Lebensmittelüberwachung und eines Speziallabors. Das Ergebnis: Die Eidechsen produzieren Öl der höchsten Güteklasse Nativ Extra. Als Glücksfall habe sich die Entdeckung der „Hanse Kitchen“ erwiesen. Über die Angebote des Bremer Netzwerks für Start Ups im Lebensmittelbereich habe sie viel Unterstützung erhalten und Kontakte knüpfen können. Die Flaschen ihres ersten Jahrgangs 2021 wurden direkt in die Sortimente des Geschäftes von Made in Bremen in der Stadtwaage und in die „Bremer Box“ aufgenommen – sie kamen gut an und wurden nachbestellt.
Olivenbäume sind hart im Nehmen und können uralt werden. Ihre Früchte indes sind Sensibelchen. Sie mögen nicht vom Baum geschüttelt werden, man muss sie einzeln per Hand abpflücken, erklärt Inácio Philogene. Geerntet wurde der neue Jahrgang mit Hilfe einiger Familienmitglieder an einem Novembertag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Noch am selben Abend wurden die sortierten Früchte zur Ölmühle in der Gegend gebracht, wo sie vor ihren Augen zu Öl kaltgepresst wurden. Die Ersten, die in Bremen davon probieren durften, waren die Gäste der Genussmesse „Fisch und Feines“, erzählt Inácio Philogene. „Ich stand in einer ruhigen Ecke im Eingangsbereich. Mich kannte ja noch niemand. Aber was mich sehr freute: Viele Leute, die beim Hereinkommen meinen Stand sahen und das Öl kosteten, kehrten nach ihrem Rundgang gezielt zurück und kauften. Sie sagten: Weil es so gut schmeckt!“
Noch ist ihr winzig kleines Unternehmen ein Zuschussgeschäft. Da sind die Fahrten nach Portugal und wieder zurück, der Lohn des Ölmüllers, die Kosten für die Laboranalysen und die Deklarationsprüfung, die Investition in die Website www.lagarto-shop.de und in die eigene portable Abfüllanlage: Alles komplett finanziert aus den eigenen Ersparnissen. Wichtig war ihr auch die nachhaltige Verpackung, betont sie: Lagarto-Öl wird in speziellen Recyclingflaschen abgefüllt, die im Laufe der vergangenen beiden Jahre deutlich teurer geworden sind. Der Aufwand macht den Preis von 23,50 Euro für den halben Liter erklärbar. Konzerne können ganz anders kalkulieren. „Olivenölproduktion kann auch ein schmutziges Geschäft sein“, weiß die Bremerin. „Wir ernten und verarbeiten schonend für Baum, Boden und Vögel.“
Mádlin Inácio Philogene sagt: „Ich habe mich entschlossen, ein soziales Unternehmen zu sein.“ Ein Euro jeder Flasche wird an die Bremer Tafel gespendet. Ihr größter Wunsch: Dass das Öl irgendwann zum Gewinn für das Dorf der Lagartos werden könnte. „Früher sah man dort immer Menschen auf der Straße. Heute sitzt niemand mehr vor den Häusern“, erzählt sie. „Mein Traum wäre es, dort ein Café zu unterhalten, in dem sich die älteren Leute treffen könnten."