Viele Menschen verbringen wöchentlich 40 Stunden auf der Arbeit. Nebenbei wuppen sie Haushalt und Hobbys. Private Kontakte gehören außerdem gepflegt – der Partner, die Familie. Und dann wären da noch die Freunde. Die sind Studien zufolge besonders wichtig, denn sie machen uns glücklicher. Sie sorgen sogar dafür, dass wir länger leben und im Alter geistig fit bleiben. Problematisch wird es nur, wenn im Alltag nicht genug Zeit bleibt, um Freundschaften zu pflegen. Eine Lösung scheint zu sein, Freunde am Arbeitsplatz zu suchen. Mit den Kollegen verbringt man ja eh fast am meisten Zeit. Aber ob das ratsam ist?
Ja, ist es: Auch wenn es Schwierigkeiten gibt, überwiegen in der Regel die Vorteile. Davon ist die Bremerin Maren Haarbach überzeugt. Seit etwa 12 Jahren führt sie als selbstständige Arbeits- und Organisationspsychologin Coachings und Seminare unter anderem für Firmen und Führungskräfte durch. Inzwischen ist sie im Bereich Organisationsentwicklung zusätzlich fest angestellt. „Wirkliche Freundschaften auf der Arbeit können sehr positiv sein, weil man mehr Lust hat, zur Arbeit zu gehen. Man hat mehr Freude und ist dadurch kreativer.“ Vor allem wegen der Corona-Pandemie hätten sich viele Menschen zu Hause isoliert – wenn sie Freunde auf der Arbeit haben, gehen sie jedoch gerne in die Firma. Daher sei es auch im Interesse des Unternehmens, dass das Miteinander unter den Angestellten gestärkt wird.
Wann die Freundschaft unter Kollegen schwierig wird
Probleme tauchen allerdings auf, wenn man sich nicht alles sagen kann. Oder wenn eine Person mehr gibt als die andere und die Beziehung somit nicht auf Augenhöhe führt. Wenn es dann eine Störung gibt – und etwa eine Person etwas tut, das die andere nicht gut findet – ist es schwierig, ehrlich zueinander zu sein. „Privat könnte ich sagen, ich finde das echt doof, was du gemacht hast; lass mir mal zwei Wochen Luft“, sagt Haarbach. Auf der Arbeit sei es nicht möglich, sich aus dem Weg zu gehen. Stattdessen versuche man oftmals, die Probleme zu ignorieren. Das könne explosiv werden.
Für diese Schwierigkeit gibt es laut Haarbach eine Lösung: Die Führungskraft sollte bereits aufmerksam geworden sein, sobald eine Freundschaft intensiver geworden ist. Spätestens wenn es Konflikte gibt, sollte sie einschreiten. Die Kollegen können andere Arbeitsaufgaben bekommen oder mal von zu Hause arbeiten. „Wir haben eine moderne Arbeitswelt.“ Und ebendiese berge weiteres Konfliktpotenzial: Einerseits verschwimmen die Grenzen durch Homeoffice und ständige Erreichbarkeit. Zudem ziehen heutzutage viele Menschen wegen des Jobs in eine neue Stadt. Dann ist es wahrscheinlicher, dass sich die Sozialkontakte auf der Arbeit weiterentwickeln. „Das ist nur dann gesund, wenn wir auch klare Grenzen zwischen Beruf und Freundschaft ziehen. Das heißt, ich rede nicht nur über die Firma. Das nervt mich auf Dauer und auch meine anderen Freunde, die vielleicht dabei sind.“ Ebenso gehören nur Erzählungen über Privates nicht auf die Arbeit.
Deutlich komplizierter werde die Situation laut Haarbach, wenn Vorgesetzte und Mitarbeiter miteinander befreundet sind. Das sieht der Psychotherapeut Wolfgang Krüger ähnlich. „Freundschaft verträgt keine Machtposition“, sagt er. Vielmehr entstünden Konflikte, wenn eine Führungskraft schwierige Entscheidungen treffen muss. „Jede Machtposition verunmöglicht im Grunde eine Freundschaft.“
Befreundete Führungskraft kann kaum unparteiisch sein
Ulrike Fasbender, Professorin für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart, sieht bei Job-Freundschaften über Hierarchien hinweg ebenfalls einen verschärften Rollenkonflikt. „Von einer Führungskraft erwartet man Unparteilichkeit. Das ist bei Freunden kaum möglich. Man kennt die Person als Ganzes, es kann einen sogenannten Überstrahlungseffekt geben“, so Fasbender gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Das bedeutet: Wenn jemand etwa eine gute Mutter oder ein guter Tennisspieler ist, überstrahlen diese Eigenschaften die Leistungen auf der Arbeit. Fasbender sieht für Kollegen mit einer ähnlichen Position wiederum etliche Vorteile, wenn sie befreundet sind.
„Wir sind zufriedener und haben mehr Freude an der Arbeit. Wir fühlen uns wohler, denn es tut uns einfach gut, Menschen um uns zu haben, die wir gern haben. Gleichzeitig erleben wir weniger negative Gefühle wie schlechte Stimmung, Angst oder Unwohlsein.“ Je intensiver die Freundschaft am Arbeitsplatz wahrgenommen werde, desto höher sei die Zufriedenheit. Gegenüber anderen Kollegen, die keine engen Freunde sind, verhält man sich jedoch womöglich unfreundlich oder grenzt sie sogar aus, wenn auch meist unbewusst. Die Freundschaft kann außerdem Konflikte auslösen, da die Rolle des Freundes sich nun mal von der Rolle des Kollegen unterscheidet. Häufen sich die Konflikte, bestehe Gesprächs- und Änderungsbedarf. „Man kann etwa die Intensität reduzieren“, sagt Ulrike Fasbender. Denn enge Freundschaften lösten eher Konflikte aus, lockere nicht.
Kollegen sind für viele Menschen potenzielle Freunde. Das geht aus einer Forsa-Umfrage im Auftrag von Xing hervor. Jeder dritte Arbeitnehmer (33 Prozent) verbringt demnach mindestens einmal pro Monat seine Freizeit mit Kollegen. Jeder zweite Arbeitnehmer (50 Prozent) hat am Arbeitsplatz sogar schon einen oder mehrere Freunde fürs Leben gefunden. Damit die Freundschaft und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz jedoch lange halten können, sind schließlich oftmals Verfeinerungen nötig. Denn bei Freundschaft unter Kollegen bleibt laut Expertenmeinungen festzuhalten: Es ist ein komplexes Thema.