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Interview mit Chefärztin "Palliativmedizin ist ein wärmender, schützender Mantel"

Bremen gilt als Vorbild bei der Palliativversorgung: Chefärztin Katja Fischer erklärt, wie Patienten stationär und zu Hause unterstützt werden – und was der Unterschied zur Betreuung im Hospiz ist.
16.03.2025, 08:04 Uhr
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Von Sabine Doll

Frau Fischer, worum geht es bei einer palliativen Versorgung?

Katja Fischer: Die Palliativmedizin ist ein Behandlungskonzept, das Menschen, die an den Folgen des Voranschreitens ihrer unheilbaren Erkrankung leiden, eine Verbesserung der Lebensqualität ermöglicht. Darum kümmern sich in der Regel alle, die bereits an der Begleitung und Betreuung beteiligt sind. Haus- und Fachärzte etwa, der Pflegedienst und andere Therapeuten. Wenn dies nicht ausreicht, kommt die spezialisierte Palliativversorgung ins Spiel – genau dies leistet unsere Klinik für Palliativmedizin in Bremen.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Leidet etwa ein Krebspatient unter Schmerzen, die von den behandelnden Ärzten nicht ausreichend gelindert werden können, wird die Palliativmedizin hinzugezogen. Die Spezialisten haben zusätzliche Kompetenzen sowie Erfahrungen und können die Situation meistens verbessern. Schmerzen kann man bei Krebs eigentlich sehr gut behandeln. Nicht immer komplett, aber so, dass die Patienten dies als deutliche Linderung erleben.

Es gibt Menschen, die vor einer palliativen Betreuung zurückscheuen. Was könnten die Gründe dafür sein?

Manche Menschen denken womöglich, wenn das Wort „palliativ“ fällt, dass sie bald sterben müssen. Dass sie aufgegeben werden. Palliativmedizin heißt aber ja nicht aufgeben – sondern maximal lindern und möglich machen, was noch realisierbar ist. „Palliativ“ leitet sich vom lateinischen „Pallium“ ab, was so viel bedeutet wie „Mantel“ – ein wärmender, schützender Mantel. Man umgibt die Patienten mit Dingen und Therapien, die ihnen guttun. Das können Behandlungen, Medikamente, chirurgische Eingriffe, Gespräche und ganz praktische Hilfestellungen sein.

Palliativstation und Hospiz werden häufig verwechselt – was ist der Unterschied?

Hospize kann man sich als einen Lebensort – einen letzten Ort – vorstellen, an den man sich begibt, wenn man weiß: Ich lebe nicht mehr lange, ich werde sterben, ich will keine Schmerzen erleiden und gut betreut sein. Man geht ins Hospiz, um für die letzten Wochen und vielleicht letzten Monate des Lebens noch möglichst gut zu leben und dann gut zu sterben. Hospize sind eher wie ein Pflegeheim am Lebensende.

In die Palliativstation geht man, wenn man aufgrund einer schweren, lebenslimitierenden Erkrankung stark leidet. Aber man möchte wieder fit werden und man möchte, dass dieses Leiden gelindert wird. Dafür gibt es Diagnostik wie Röntgen, Schmerztherapie, spezielle Wundversorgung und andere Therapien. Meistens kann die Situation stabilisiert werden und die Patienten können wieder nach Hause. Die Palliativstation ist eine hoch spezialisierte Krankenhausstation.

Nicht jeder Palliativ-Patient kann wieder stabilisiert werden.

Wenn die Krankheit weiter fortschreitet und sich nicht mehr aufhalten lässt, kann man auf der Palliativstation auch sterben, natürlich mit optimaler Symptomkontrolle. Das ist eigentlich das, was man sich wünscht – nicht leiden müssen beim Sterben.

Wie beginnt eine stationäre Palliativversorgung?

Am Aufnahmegespräch nehmen immer Palliativärzte, die Palliativpflege und der Sozialdienst teil, denn viele Beschwerden und Schwierigkeiten betreffen auch den sozialen Bereich. Es geht um Fragen wie: Woran leiden Sie und woran leiden Sie am meisten? Was müsste sich bessern, damit Ihre Lebensqualität wieder gut wird? Dann wird ein palliativer Behandlungsplan erstellt: um etwa die Schmerzen zu lindern, damit der Appetit wieder zunimmt, man besser schlafen kann. Es geht vielleicht auch um Sorgen, Ängste und Wünsche, was das Sterben betrifft.

Dafür braucht es ein Team mit Spezialisten, wer gehört auf der Palliativstation im LdW dazu?

Das sind zum einen die Palliativärzte und Palliativpflegekräfte, alle mit spezifischen Weiterbildungen. Darüber hinaus gibt es zwei Sozialdienstmitarbeiter, eine Psychologin, eine Musik- sowie Physiotherapeuten. Wir arbeiten außerdem eng mit der Seelsorgerin zusammen, die ebenfalls eine spezifische Weiterbildung hat. Und es gibt eine Atemtherapeutin, die hinzugezogen werden kann sowie ehrenamtliche Mitarbeitende, die ihre Begleitung anbieten.

Wie erleben Sie Patienten, wenn die Symptome wie Schmerzen gelindert sind?

Schmerzen kann man in der Regel schnell durch Infusionen oder auch Schmerzpumpen lindern. Meistens sind die Patienten schon nach wenigen Tagen entspannt und fühlen sich besser. Dann kommen häufig die Wünsche nach: Ich mache noch mal einen Plan, ich möchte jetzt doch noch mal nach Hause oder eine Reise machen. Die Lebensgeister kehren zurück, wenn man körperlich und psychisch nicht mehr so stark leidet.

Was ist ein häufiges Thema bei den Patienten?

Neben den körperlichen Beschwerden leiden viele vor allem auch daran, dass ihre Angehörigen belastet sind, weil man krank ist, weil die Lebenszeit begrenzt ist. Dazu gehören auch finanzielle Sorgen, wenn etwa der Versorger oder die Versorgerin ausfällt. Wir haben ja häufig auch jüngere Patienten mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern. Hier können wir die Familien mit psychologischer, aber auch praktischer Unterstützung durch den Sozialdienst begleiten.

Wie funktioniert eine Palliativbetreuung zu Hause?

Wir betreuen nicht nur die Palliativstation und beraten Patienten auf anderen Stationen, sondern leisten auch die ärztliche palliativmedizinische Versorgung außerdem in drei der vier Hospize sowie zu Hause und in Pflegeheimen. Der ambulante Palliativdienst wird in Kooperation mit dem Pflegedienst-Anbieter Bremer Hände geleistet, von dort kommen die hoch qualifizierten Pflegekräfte. Für Patienten, die etwa von der Station nach Hause gehen, heißt das: Sie werden durch das gleiche Ärzteteam versorgt. Auch mit den Kliniken, die nicht zur Gesundheit Nord gehören, sind wir eng verbunden. Alle Patienten mit Tumordiagnosen, die in Bremer Kliniken behandelt werden, können an die Palliativstation im LdW überwiesen werden.

Bremen gilt als Vorbild bei der Palliativversorgung, woran macht sich das fest?

Der Grund ist das enge Palliativnetz mit der ambulanten und stationären Versorgung in einer ausgezeichneten Qualität. Es gibt regelmäßigen Austausch und Qualitätszirkel. Zu diesem Netzwerk gehören auch der ambulante Palliativdienst für Kinder, die ambulanten Hospizdienste und unser Förderverein. Das macht Bremen zu einer Vorzeige- und Pionierregion. Dennoch fehlt auch etwas.

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Was fehlt?

Die Wartezeiten sowohl auf der Palliativstation als auch beim ambulanten Dienst sind lang. Hinzukommt: Mit Palliativversorgung verbindet man vor allem die Betreuung von Krebspatienten, sie ist aber auch für andere lebensverkürzende Erkrankungen wie neurologische Diagnosen oder Herz- und Lungenleiden da. Das ist nicht immer Blick, obwohl bei diesen Patienten der Palliativdienst zugeschaltet werden könnte. Unterm Strich heißt das: Die Kapazitäten müssen ausgebaut werden.

Und woher kommt das spezialisierte Personal?

Palliativärzte – und -pflegekräfte sind heiß begehrt, daher muss man selbst ausbilden. Am LdW sind wir Weiterbildungsstätte zur Zusatzbezeichnung Palliativmedizin. Ich bin an der Uni Hamburg Lehrbeauftragte, sodass Medizinstudenten mit dem Wahlfach Palliativmedizin zu uns kommen. Zudem betreuen wir regelmäßig Praktikanten, zum Beispiel von der Hochschule Bremen. Und es gibt einen Basiskurs für Pflegefachleute, die hier eine Weiterbildung zur Palliativ Care absolvieren können.

Was kann in Bremen weiter verbessert werden?

Künftig wollen wir auch Kurse für niedergelassene Ärzte anbieten und unser Wissen weitergeben. Denn: Nur die Patienten, die hochkomplex sind, kommen zu uns auf die Station oder werden vom ambulanten Palliativdienst versorgt. Schwerkranke brauchen in erster Linie eine gute Basisversorgung durch Ärzte, die sich sicher fühlen in der Palliativmedizin. Ansonsten kommt es immer wieder zu Notfallzuweisungen ins Krankenhaus, die die Notfallsysteme belasten. Palliativkurse machen also doppelt Sinn.

Wohin wendet man sich, wenn man eine Palliativversorgung wünscht?

Der Hausarzt oder der behandelnde Arzt ist immer die erste Anlaufstelle. Sie können die ambulante spezialisierte Palliativversorgung per Formular verordnen. In dem Fall kommen wir dazu, steigen in die Versorgung ein oder beraten, wie Medikamente oder andere Therapien etwa angepasst werden können, um zum Beispiel Schmerzen zu lindern. Auch auf die Palliativstation oder ins Hospiz wird man vom Arzt zugewiesen.

Das Gespräch führte Sabine Doll.

Zur Person

Dr. Katja Fischer

ist seit September 2021 Chefärztin der Klinik für Palliativmedizin am Klinikum Links der Weser. Sie studierte in Zürich und hat in Bern promoviert. Sie war lange Zeit im Kompetenzzentrum Palliative Care im Universitätsspital in Zürich tätig, bevor sie mit ihrer Familie aus der Schweiz nach Bremen wechselte.

Zur Sache

Umzug der Palliativstation

Die Palliativstation am Klinikum Links der Weser (LdW) verfügt aktuell über zwölf Plätze. Wie berichtet, soll sie Ende 2028 an das Klinikum Bremen-Mitte umziehen. Bei den zwölf Plätzen soll es laut der Gesundheit Nord bleiben. Hintergrund der Umzugspläne ist die geplante Schließung des LdW.

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