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Psychische Erkrankungen Wege aus der Krise

Der Bildungsträger Fokus hat das Ziel, Menschen mit psychosozialen Problemen oder psychischen Erkrankungen den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen. Wie die Mitarbeiter Betroffene unterstützen.
20.01.2023, 05:00 Uhr
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Wege aus der Krise
Von Ulrike Troue

Unsicherheiten im Umgang miteinander spüren Menschen mit psychischen Erkrankungen ebenso wie ihre Familie, Freunde, Kollegen oder auch Arbeitgeber. Und durch die Pandemie haben psycho-soziale Probleme und die entsprechenden Krankheiten zugenommen. Damit Betroffene wieder Teil der Gesellschaft werden können, ist manchmal nur ein kleiner Schritt aufeinander zu nötig. Auf diesen Zwischenschritt ist Fokus, das Zentrum für Bildung und Teilhabe der Initiative zur sozialen Rehabilitation, spezialisiert.

"Wir wollen Menschen nicht langfristig an uns binden, uns ist wichtig, dass sie selbstwirksam werden", sagt Monika Möhlenkamp. Das Coaching von Fokus wird demnach auf die individuellen Bedürfnisse, Schwächen und Stärken der Teilnehmer ausgerichtet. Gemeinsam mit Jörn Petersen leitet Möhlenkamp die vom Europäischen Sozialfonds und Land Bremen geförderte Einrichtung in Walle.

"Wir arbeiten von Anfang an partizipativ und inklusiv", sagt Möhlenkamp. Das bedeutet: Fachkräfte und Ex-In-Genesungsbegleiter ergänzen das Angebot. "Das sind Menschen, die eigene Erfahrungen mit psychischer Erkrankung gemacht haben und nun im Hilfesystem mitarbeiten." Das sei ein ganz wichtiger Faktor", sagt Möhlenkamp, "weil sie ganz anders Brücken schlagen können." Von den derzeit 14 Angestellten und 15 Honorarkräften verfügt den Angaben zufolge ungefähr die Hälfte des Fokus-Teams über persönliche Erfahrung mit einer psychischen Krise.

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Ute de Vries sagt, dass ihr Verständnis ihr den Zugang zu Menschen mit psychischen Problemen oder Diagnosen erleichtere. Die Möglichkeit, jemanden direkt ansprechen und Fragen stellen zu können, der eine Krise bewältigt habe, eröffne ferner Fachkräften wie Arbeitgebern einen anderen Zugang für den Umgang mit psychisch beeinträchtigten Menschen, sagt Möhlenkamp.

Seit August 2022 arbeitet de Vries in der Beratungsstelle "Arbeit im Fokus". Dass sie aufgrund ihrer eigenen Krise, die sie mittlerweile bewältigt hat, jetzt andere Betroffene dabei unterstützen kann, sich in ihrem beruflichen Umfeld zurecht zu finden, empfindet sie als "sehr wertvolle Aufgabe". "Ich möchte ihnen Mut machen, dass ein selbstbestimmtes Leben sowie mehr Teilhabe an der Gesellschaft auch mit einer psychischen Erkrankung möglich ist", sagt de Vries. Das Hauptproblem sei die Verunsicherung. "Da ist es wichtig, Sicherheit zu finden."

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Dabei spielt aus Jörn Petersens Sicht auch das Thema Verletzlichkeit, etwa durch Stigmatisierung, eine Rolle. Gerade in Bezug auf Arbeit hätten viele einen hohen Leistungsanspruch im Kopf, sagt der Diplom-Sozialpädagoge, der im Bereich ambulante Psychiatrie arbeitet. "Manchmal liegt der Schlüssel darin, den Leistungsdruck loszulassen", sagt er. Das gelinge beispielsweise durch Teilzeit- oder Minijobs oder auch eine andere Ausbildung. Manchen Betroffenen könne auch ehrenamtliche Tätigkeit wieder gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Wichtig sei, dass die Menschen wieder ins Handeln kommen, sagt Petersen.

Die Arbeit des Zentrums für Bildung und Teilhabe basiert auf sechs Schwerpunkten. Auf der einen Seite macht es Menschen mit psychischen Erkrankungen kostenfrei Bildungsangebote, bietet ihnen Projekte zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie begleitende individuelle Beratung an.

Ein zentraler Bereich ist Ex-In als einjährige Qualifizierungsmaßnahme zu Genesungsbegleitenden und deren Eingliederung ins Fokus-Team. Diese arbeiten mit Fachkräften zusammen in der Beratungsstelle "Arbeit im Fokus", um Menschen neue Wege in Arbeit zu bahnen. Zu deren Adressaten zählt Möhlenkamp ebenso Menschen aus anderen Kulturen und Langzeitarbeitslose. In zweieinhalb Jahren gab es den Angaben zufolge 800 Beratungen mit 160 verschiedenen Menschen. 20 Prozent seien nur einmal vorstellig geworden, sagt Möhlenkamp. Manche bräuchten fünf Termine, einzelne bis zu einem halben Jahr Begleitung. Dass es fast ein Drittel der Klienten in irgendeiner Form auf den Arbeitsmarkt geschafft habe, wertet sie als Erfolg.

Für Mitarbeitende im psycho-sozialen Bereich hat Fokus eine einjährige Basisfortbildung konzipiert. Damit Unternehmen inklusiv handeln und mehr Sicherheit im Umgang mit psychisch beeinträchtigten Menschen bekommen, können sie Seminare besuchen, in denen sie durch Fallbeispiele und Rollenspiele aufgeklärt und in denen Vorurteile aufgelöst werden. Unter Start-ups gibt es Möhlenkamp zufolge die neue Strömung, Inklusion als ethischen Wert zu betrachten und von Anfang an mitzudenken. Betroffene, Angehörige, Fachkräfte und Interessierte können zudem beim Empowerment-College Kurse rund um die seelische Gesundheit belegen. Das sechste Fokus-Standbein sind weitere Teilhabeangebote wie die sogenannte Wörterwerkstatt.

Nähere Informationen über Fokus, das Zentrum für Bildung und Teilhabe des Vereins Initiative zur Sozialen Rehabilitation, gibt es im Internet unter https://fokus-fortbildung.de.

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