Die Lösung liegt oft nicht im Außen, sondern im Innen. Davon ist Ragnhild Struss überzeugt. Die Expertin für Coaching thematisiert als Autorin und Podcasterin häufig die Zufriedenheit mit der Arbeit. Beziehungsweise die Unzufriedenheit – denn dabei handelt es sich um ein Massenphänomen. Wenn bei Angestellten das nagende Gefühl der Unzufriedenheit hochkommt, rät Struss jedoch davon ab, sich einem ersten Fluchtimpuls hinzugeben und die Kündigung einzureichen. Denn ihrer Meinung nach sollte erst Job Crafting betrieben werden.
Job Crafting ist eine Methode aus der Arbeits- und Organisationspsychologie und bedeutet auf Deutsch „Arbeit gestalten“. Als Urheber des Konzepts gelten Amy Wrzesniewski und Jane Dutton von der Yale School of Management. Im Jahr 2001 machten sie mit einer These auf sich aufmerksam: „Es geht weniger darum, Menschen zur Arbeit zu motivieren, sondern darum, wie man Menschen unterstützen kann, aktiv zu werden und ihre eigene Arbeit motivierend zu gestalten.“
Arbeitnehmer können selbst die Zügel in die Hand nehmen
Beim Job Crafting legen Arbeitnehmer eine passive Haltung ab und werden zu Akteuren – die sich nicht an starre Stellenbeschreibungen klammern. Laut Ragnhild Struss sollten sie sich überlegen: Was für Fähigkeiten und Wünsche habe ich, und wie kann ich sie in die Arbeit einbringen? Die Unzufriedenheit mit der Arbeit entstehe meist dadurch, dass der Job nicht zur Person passe und andersherum. Aber oftmals seien wir selbst in der Lage, etwas zu verändern. Und sind dabei weniger stark vom Umfeld abhängig als gedacht, so Struss.
Sie empfiehlt, in verschiedenen Schritten vorzugehen. Zuerst sollte es ins Beschreiben und Analysieren gehen: Wie und was arbeitet man? Wie sieht die eigene Persönlichkeit aus? Dabei hülfen Fragen wie „Wann war ich besonders glücklich und womit habe ich mich damals beschäftigt?“ In einem nächsten Schritt sollten wir uns unseren Traumjob vorstellen – und dabei möglichst kreativ und groß denken. Es gehe darum, die eigenen Bedürfnisse herauszufinden. Und diese letztendlich auch zu erfüllen. Ihrer Erfahrung nach reiche es dabei oftmals schon, bloß einen Teil des Bedürfnisses abzudecken.
Trotz der Möglichkeiten, die Job Crafting biete, empfiehlt Struss gleichfalls das Motto: „Liebe es. Verändere es. Oder verlasse es.“ „Es gibt Fälle, in denen es dringend notwendig ist, das Gestalten dann aufzugeben und stattdessen zu gehen.“ Das liege dann daran, dass die eigenen Werte nicht mit den Unternehmenswerten vereinbar seien.
Unzufriedenheit entsteht durch mehrere Umstände
„Unzufriedenheit im Job entsteht selten durch eine einzige Ursache“, sagt Suzana von Divnic. Die gebürtige Bremerin arbeitet als Systemischer Coach und Autorin. In ihrem Buch „Nagel sucht Lösung – Coaching-Ratgeber für Führungskräfte“ zeigt sie, wie wichtig es ist, das Thema Jobzufriedenheit ganzheitlich zu denken. „Wenn ich eine Wunschtüte mit dem Etikett Zufriedenheit füllen dürfte, würden darin Wertschätzung, Anerkennung, ein angemessenes Einkommen, gute Führung, klare Kommunikation und tragfähige Beziehungen im Team liegen.“ Leider lasse sich in der Realität häufig anderes beobachten: Überbelastung oder Unterforderung, fehlende Entwicklungsperspektiven, steigende Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Gehältern. „Viele sind davon betroffen“, sagt von Divnic.
Sie plädiert für Veränderung – und zwar solche, die aufbaut statt abbaut. Denn ihre Klienten sprechen häufig von einem Mangel an Wertschätzung. Wichtig sei daher, sich Klarheit über die eigenen Handlungsspielräume zu schaffen: Was kann ich beeinflussen? Ein Umdenken von einem „Ich muss“ in das „Ich möchte“ sei ratsam.
„Für mich ist Job Crafting keine Modeerscheinung oder der nächste Hype, sondern ein zutiefst menschlicher Impuls“, sagt Suzana von Divnic. Die Methode biete spannende Ansätze, um Aufgaben, Beziehungen und Perspektiven aktiv mitzugestalten – „vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen.“ Die Unternehmenskultur und Führung müssten Offenheit und Vertrauen zulassen. Wenn beides gegeben sei, profitierten Mitarbeitende wie das Unternehmen von der Win-win-Situation.
Spielräume hängen von Unternehmenskultur und Führungskraft ab
Die Spielräume für Gestaltung hängen laut Suzana von Divnic stark vom Kontext ab. Bei Selbstständigen ist sie im größeren Rahmen möglich. Auch in innovativen, urbanen Unternehmenskulturen gilt es als „normales Werteverständnis“, Job Crafting bewusst zu leben. „Anders sieht es in klassischen, hierarchisch geprägten Unternehmen aus. Hier hängt vieles von der Führung ab: Wie offen ist sie? Wie sehr wird Veränderung zugelassen oder sogar gefördert?“
In manchen Bereichen, etwa im Qualitätsmanagement, der Luftfahrt oder im Gesundheitswesen, sei der Gestaltungsraum aus guten Gründen begrenzt. Hier stehen Sicherheit, Regelkonformität und Verantwortung an erster Stelle. Aber von Divnic ist sich sicher: „Selbst im Kleinen lassen sich oft Veränderungen anstoßen.“ Sie nennt ein Beispiel: In einem Meeting den Mut aufbringen, eine Idee zu äußern, um vorsichtig abzuklopfen, wie die Reaktion ist. Oder man konzentriert sich darauf, die eigenen Stärken bewusster wahrnehmen, um gezielt Aufgaben zu übernehmen, die einem liegen.
Auch die Trainerin und Coach Lea Krien des Bremer Beraterbüros „k.brio training“ findet das Konzept Job Crafting spannend. Es sei ein guter Ansatz, um mehr Zufriedenheit und Erfüllung bei den Mitarbeitenden zu schaffen. Jedoch: „Es gibt nicht den einen universellen Weg.“ Je nach Beruf und Position müsse es ausbalanciert werden. So gelinge es, dass Mitarbeiter mehr Raum für Selbstbestimmung bekommen. „Diese Möglichkeit zur Mitgestaltung hat einen großen Einfluss darauf, wie zufrieden sich Mitarbeitende in ihrer Arbeit fühlen.“
Wertschätzung und Führungsverhalten sind ausschlaggebend für Jobzufriedenheit
Jedoch helfe es nicht immer, wenn die Aufgaben spannend sind – auch das Umfeld müsse stimmen. Mangelnde Wertschätzung und schlechtes Führungsverhalten seien die häufigsten Gründe für Unzufriedenheit, wie Studien belegten. „Doch die Frage geht tiefer: Wie oft erleben wir uns als Teil eines Systems, das uns steuert, anstatt als aktiver Gestalter unserer Umgebung?“, fragt Krien.
Wenn der Gestaltungsspielraum für die Aufgaben klein ist, empfiehlt sie, sich auf zwei Dinge zu konzentrieren, die jeder Einzelne beeinflussen kann: Ein einfacher, aber wirkungsvoller Ansatz sei, an den Beziehungen am Arbeitsplatz zu arbeiten. Zum anderen könnten Arbeitnehmende die eigene Wahrnehmung und Einstellung neu bewerten – um so doch Sinn in der Arbeit zu finden. „Genau das tun wir bei k.brio. Wir beraten, begleiten und befähigen Menschen und Organisationen auf dem Weg zur Zukunft der Arbeit, immer mit einem klaren Fokus auf die Menschen im Unternehmen.“
Wie Ragnhild Struss in ihrem Podcast „Von innen nach außen“ festhält: Beim Job Crafting geht es vor allem darum, sich mit den Möglichkeiten des aktuellen Jobs auseinanderzusetzen und nicht nur ans Kündigen zu denken. Denn: „Man hat in psychologischen Meta-Studien herausgefunden, dass die Jobzufriedenheit über das Leben relativ konstant bleibt, wenn man sich nicht die richtigen Fragen stellt.“