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Tanz auf dem Vulkan: EX-INSOLVENZVERWALTER WELLENSIEK UND FRIEDRICH LÜRSSEN ÜBER VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT DES SCHIFFBAUS IM NORDEN Das Erbe des Vulkan

Konrad Elmshäuser hat gerade beim Bremer Staatsarchiv angefangen, als der Vulkan in den Konkurs rutscht. Ihm und den anderen Historikern ist sofort klar, dass in den umfangreichen Archiven der Werft 200 Jahre Schiffbaugeschichte an Weser und Lesum dokumentiert sind.
21.05.2016, 00:00 Uhr
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Konrad Elmshäuser hat gerade beim Bremer Staatsarchiv angefangen, als der Vulkan in den Konkurs rutscht. Ihm und den anderen Historikern ist sofort klar, dass in den umfangreichen Archiven der Werft 200 Jahre Schiffbaugeschichte an Weser und Lesum dokumentiert sind. Es ist für den Professor und heutigen Leiter des Staatsarchivs die aufregendste Schatzbergung seines Lebens.

„Als wir dorthin kamen, herrschte ein gruseliges Stimmungsbild", erinnert sich Elmshäuser. „Die Fahrstühle in der Vulkanzentrale funktionierten nicht mehr. Man musste Strom sparen, Leute rannten ungehindert herum, suchten nach Devotionalien. Das Riesenmodell des Tankers C.O. Stillman hatten schon Leute aus dem Haus verschwinden lassen.“ Nach Absprache mit dem Senat gibt Insolvenzverwalter Jobst Wellensiek das Archiv für die Mannschaft aus dem Staatsarchiv frei. 60 Schiffsmodelle sollen geborgen werden. Eine überschaubare Arbeit für die Spedition im Vergleich zu dem, was die Historiker im Keller erwartet. Elmshäuser: „Es galt, 5000 laufende Meter Schriftgut zu bewerten – hochgestapelt in endlosen Gängen. Wir haben allein 30000 Fotos gesichert.“

Ehrenamtliche Helfer vom Germanischen Lloyd trennen beim Sortieren Wichtiges von Unwichtigem. An Marineschiffbauunterlagen kommen sie nicht heran. Die hat die Lürssen-Werft mit diesem Teil des Vulkan übernommen. Aber Mitschnitte von Führungskräftetreffen dokumentieren den Niedergang ab 1994. Elmshäuser: „Der Vulkan ist der größte Firmenbestand, den wir im Bremer Staatsarchiv haben. Bei uns lagert genug Material für eine ganze Reihe von Doktorarbeiten.“ Tatsächlich gibt es kaum Forschung zum Untergang des größten deutschen Werftenverbunds seiner Zeit.

Per Hendrik Heerma kommt als junger Jurist mit seinem Mentor Wolfgang van Betteray das erste Mal beruflich nach Bremerhaven. Van Betteray soll sich 1996 als Konkursverwalter um die Vulkanfirmen in der Seestadt kümmern. Ein Amtsrichter hat es so gewollt. „Anfangs gab es Verwunderung, dass für die Bremerhavener Werften ein anderer Insolvenzverwalter bestellt wurde. Tatsächlich hat sich das später als Glücksfall erwiesen“, sagt Heerma heute.

Die Lloyd-Werft und die Schichau-Seebeckwerft (SSW) überlebten, weil lokale Politik gemacht werden konnte, meint Heerma. Das Management der Lloyd-Werft um Werner Lüken, Rüdiger Pallentin und Carsten Haake übernahm selbst Anteile. „Management by out“ nennt das der Hamburger Anwalt. Das Land beteiligte sich, es ging weiter.

Als Heerma 2004 mit van Betteray in Bremerhaven ist, bekommt der Stolz Amerikas Schlagseite und sinkt ins Hafenbecken: Das Kreuzfahrtschiff „Pride of America“, das wenige Wochen vor der Ablieferung für die nächste Insolvenz sorgt. Wieder überlebt die Werft - weil van Betteray das Management weitermachen lässt, wie Heerma sagt. Er lernt bei den Verhandlungen Tan Sri Lim Kok Thay kennen. Heute ist der malaysische Milliardär mit seiner Genting Group der neue Besitzer der Lloyd-Werft. „Wäre Herrn van Betteray damals die Sanierung nicht geglückt, dann hätte es heute die Chance für einen Neuanfang an der Spitze eines Werftenverbundes unter dem Dach der Genting Group nicht gegeben."

Die andere große Werft des Vulkan-Verbundes, die SSW, ist derweil untergegangen. 2009 kommt Per Hendrik Heerma als Insolvenzverwalter wieder und hat für 420 Mitarbeiter keinen einzigen Auftrag. 2015 wickelt der inzwischen 45-jährige Spezialist auch noch Weserwind ab, den Hersteller von Windradfundamenten, der während einer kurzen Boomzeit auch noch auf der SSW-Werftbrache hatte bauen lassen.

Wolfgang Kiesel hätte sich vor dem Vulkan-Konkurs auch nicht träumen lassen, dass er mal vor einem Fachpublikum an Bord eines Hal-Över-Ausflugsdampfers die Geschichte vom Ende der Werft erzählen würde. „Ich hatte als Journalist viele Jahre meines Berufslebens über die Werft berichtet, war auf zig Probefahrten dabei. Mir brach mit dem Ende ein Tätigkeitsfeld weg“, so der Schifffahrtsexperte aus Bremen-Nord. Kiesel schrieb daraufhin das Buch „Aufstieg und Fall“ über 200 Jahren Werftgeschichte. „Die Crux war, dass man hier nicht einsah, dass die Zeit des Zusammenschusterns von großen Stahlplatten zu Containerschiffen unwiederbringlich vorbei war.“

Auf der kleinen Seefahrt entlang der gelben Hallen, auf denen nun fast überall Lürssen zu lesen ist, zeigt Kiesel, wo das Unternehmen Ambau in den vergangenen Jahren Türme für Windkraftanlagen hergestellt hat, er erzählt von von früheren Vulkanfirmen wie Kocks Krane, die sich heute wieder gut im Markt behaupten. Oder er berichtet von Atlas Elektronik, einem Joint-Venture von Thyssen Krupp und Airbus. Er erzählt von den Ein-Schiff-Reedereien der Zahnärzte und Steuerberater, die einer betuchten Klientel viel Geld einbrachten, bis auch dieses System zusammenbrach. „Die Politik hat es geschafft, mich einmal echt zu verblüffen: Als man die Werftenhilfe auf Schiffbauhilfe für Reeder umstellte und die fortan ihre Schiffe mit deutschen Steuersubventionen in Fernost bauen ließen.“ Man ahnt den Anteil verfehlter Politik am Ende des deutschen Großschiffbaus.

Der kurze Moment des Begreifens und der Betroffenheit an Bord ist vorbei beim Blick auf die Superyacht an der ehemaligen Vulkan-Pier: Lürssen liefert gerade 150 Meter Luxus ab, jeder Baumeter bringt Millionen Umsatz für die Region. Die Vulkan-Depression darf vorbei sein. Kiesel sagt es so: „Lürssen sucht praktisch in allen Bereichen nach neuen qualifizierten Mitarbeitern – auch Bootbauern.“

Das gilt auch für die Lloyd-Werftengruppe, die der neue Eigner Genting in den vergangenen Monaten mit schwindelerregender Geschwindigkeit zusammengekauft hat. Hunderte will man einstellen, vor allem Ingenieure werden gesucht - plötzlich wird im norddeutschen Schiffbau wieder groß gedacht, ganz groß. An den früheren Vulkan-Standorten in Bremerhaven, Wismar und Stralsund sollen Kreuzfahrtschiffe entstehen, die zu den größten und luxuriösesten weltweit gehören. Die Politiker kommen wieder, es gibt Feierstunden. Und 20 Jahre nach dem Untergang des Bremer Vulkan, so darf und will man glauben, hat dort eines wieder Hochkonjunktur: Schiffe.

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