Grüne Hügel, Steilklippen, uralte Mythen und lebendige Pubs: So stellen sich viele Menschen Irland vor. Doch als kulinarisches Ziel wird die Insel selten genannt. Dabei hat sie in dieser Hinsicht einiges zu bieten. Das zeigt sich besonders in Irlands größter Küstengrafschaft, dem County Cork. In der Stadt Cork und der Umgebung trifft internationale Küche auf lokale Produkte, Pioniergeist auf Nachhaltigkeit.
Cork bedeutet sumpfiges Land und wurde von Wikingern auf einer Insel im Fluss Lee gegründet. Dort befindet sich heute das von Gassen, kleinen Straßen und Brücken geprägte Zentrum. „Unter uns fließt der Fluss. Hier sind früher Schiffe in die Stadt hineingefahren“, erzählt Stadtführerin Angela Newman. Teile der Flussarme wurden über die Jahrhunderte unterirdisch verlegt, um Platz für Gebäude zu schaffen und das Zentrum vor Überschwemmungen zu schützen. Viele Wege folgen diesen verborgenen Wasserläufen – deshalb nennt man Cork auch Venedig des Nordens. „Irland galt lange als Armenhaus Europas“, sagt die Stadtführerin. Armut und Auswanderung, unter anderem wegen der Hungersnöte, prägten auch Cork. „Ich brauche einen Freiwilligen“, ruft Newman etwas später und winkt mit einer Perücke. In einem theatralischen Schauprozess verurteilt sie eine Freiwillige zur Strafarbeit in Australien – wegen Brotdiebstahls. „Das war eine Reise ohne Rückfahrschein“, sagt die Stadtführerin über die im 18. und 19. Jahrhundert üblichen Deportationen.
Früher ging es nur ums Sattwerden
Damals ging es auf den Tellern nur ums Sattwerden, doch mit wachsendem Wohlstand änderte sich das. Reisen, Migration und Medien inspirierten die Küche. „Und die Iren merkten, was sie für tolle Lebensmittel vor der Haustür hatten“, sagt Newman. So entstand ein Stil, der heimische Zutaten mit internationalen Einflüssen kombiniert.

Im English Market in Cork können Gäste am Stand von Over the Pigs Back die Käsevielfalt der Region probieren.
Beispiele finden sich auf dem English Market im Herzen der Stadt. Die viktorianische Markthalle von 1788 gilt als einer der ältesten überdachten Lebensmittelmärkte Europas. In den schmalen Gängen werden irische Blutwurst und geräucherter heimischer Lachs ebenso wie internationale Weine, Gewürze, fangfrischer Fisch und Obst aus der Region angeboten. Vieles wirkt importiert, stammt aber aus irischen Manufakturen – etwa der Büffelmozzarella aus West-Cork. Besonders beim Käse hat sich viel getan. Wo früher Cheddar dominierte, entstehen heute in kleinen Hofkäsereien mit regionaler Milch und traditionellen Verfahren Brie, Camembert oder Sorten à la Gouda. Diese Vielfalt lässt sich zum Beispiel am Stand On The Pigs Back probieren.
Kleine innovative Produzenten
Die gesamte Region ist reich an Kleinstproduzenten, die oft an ungewöhnlichen Orten zu finden sind. So wie die Rebel City Distillery im historischen Viertel der Docklands, nur 15 Gehminuten vom Zentrum entfernt. Die Destillerie befindet sich in einem mehr als 100 Jahre alten Gebäude der 1984 geschlossenen Fabrik für Traktoren von Ford. Wer den Eingang nicht kennt, irrt zunächst zwischen alten Fabrikgebäuden umher. Endlich gefunden, wird man jedoch herzlich von Bhagya Barrett empfangen. Die indische IT-Projektmanagerin gründete die Destillerie gemeinsam mit ihrem Mann Robert, einem Biochemiker. „Wir wollten unsere Kulturen vereinen und haben einen irischen Gin mit indischen Aromen entwickelt“, erzählt Barrett beim Verkosten an der exotisch-bunt gestalteten Bar. Heraus kam ein Gin mit den Aromen von Koriander, Kardamom, Pampelmuse und Zimt. Danach zeigt sie die kupferne Brennblase für den Gin. Sie stammt aus Oberkirch in Baden-Württemberg.

In Cork finden sich wie hier am Corn Market viele kleine Geschäfte von Produzenten und Restaurants.
Wenige Schritte von der Destille entfernt befindet sich ein Food-Hotspot der Einheimischen: der Marina Market. In einer ehemaligen Lagerhalle reihen sich 35 Essensstände aneinander, die unter anderem Streetfood aus Korea, dem Libanon, Venezuela und Brasilien anbieten, aber auch Burger, Sushi und irische Klassiker. Gegessen wird an Stehtischen, auf Liegestühlen oder selbst gebauten Möbeln. Zwischen den Holzbalken nisten Stare, die auf Stuhllehnen landen. Während der Corona-Pandemie als temporärer Ort zum Einkaufen und Essen gegründet, sollte der Marina Market nach Ende der Beschränkungen wieder schließen. Doch die Einwohner Corks wehrten sich – mit Erfolg.
Ein weiterer kulinarischer Hotspot liegt gut 30 Kilometer südlich: in Kinsale. Inmitten der irischen Küstenlandschaft werden dort Natur und Genuss miteinander kombiniert. Eindrucksvoll zeigt sich das bei einer Foodtour mit Suzanne Burns, die Besuchern essbare Wildpflanzen und Algen näherbringt. Besonders die Algen haben es ihr angetan. Zu Beginn verköstigt sie die Teilnehmer mit einem Picknick, bei dem sie das typische irische Sodabrot reicht, jedoch mit Algen verfeinert.

In der Woodcock Smokery zeigt Sally Barnes wie man Fisch räuchert. Hier schneidet sie ein heiß geräuchertes Stück Lachs auf.
Burns spricht über die Superkräfte der Algen. So dienten sie während der Hungersnot als Pflanzenschutzmittel gegen Kartoffelfäule. Außerdem wurden sie gegessen und versorgten die Bevölkerung mit Nährstoffen. Heute halten sie Einzug in irische Gourmetküchen. Warum, zeigt sich, als Burns eine Alge zum Probieren verteilt. „Ein bisschen nur, das ist sehr intensiv“, warnt sie. Die Teilnehmer kauen. „Schmeckt nach Knoblauch, nein, Anis oder Krabben?“ Jedem schmecke die Alge anders – das sei das Besondere, sagt Burns.
Essen, was vor der Haustür wächst
Ein Ziel für Fischliebhaber liegt anderthalb Stunden westlich der Hauptstadt: die Woodcock Smokery in Gortbrack. Dort produziert Sally Barnes in einem unscheinbaren Häuschen, umgeben von Feldern und Wiesen, Räucherfisch. Die gebürtige Schottin kam vor 45 Jahren der Liebe wegen nach Irland. Heute engagiert sie sich für nachhaltige Fischerei, den Erhalt von Wildlachsbeständen und altes Handwerk. „Wir müssen die Lebensmittelproduktion einfacher machen. Was du essen kannst, wächst vor deiner Tür“, sagt sie.
Barnes räuchert nur irischen Fisch, den sie von lokalen Fischern bezieht. Wie man räuchert, erläutert sie in Workshops. An diesem Tag zeigt sie das Heißräuchern und stellt einen Tischräucherofen auf einen Campingkocher. „Das kann man zu Hause mit einfachen Mitteln machen“, sagt sie. Nach kurzer Zeit ist der Raum von Räucherduft erfüllt.
Essen im Mittelpunkt
Ein kulinarisches Highlight markiert der Mai: das Ballymaloe Festival of Food. Auf dem Gelände des traditionsreichen Ballymaloe House, 30 Kilometer von Cork entfernt, dreht sich drei Tage lang alles um regionale Produkte und nachhaltigen Genuss. Ein wenig erinnert das Food-Festival an die frühere Bremer Ausstellung „Maison & Jardin“ – nur steht in Irland das Essen im Mittelpunkt. Auf den Wegen und im Garten wandeln Menschen jeden Alters, unterhalten sich mit Ausstellern oder sitzen unter Bäumen. In den Gebäuden lauschen sie Foodbloggern und Kochbuchautoren, während sich in der Scheune Produzenten vorstellen. Auf der großen Fläche in der Mitte wird getanzt und dabei Rahm in Schraubgläsern zu Butter geschüttelt. Wer ein Lunchticket ergattern konnte, genießt in der Scheune nebenan Kreationen namhafter TV-Köche. Aber auch ohne Eintritt zum Mittagstisch bietet das Festival reichlich Gelegenheit, Irlands neue Küche kennenzulernen.