Was können die Deutschen beim Essen von den Italienern lernen?
Serena Loddo: Ich glaube, da gibt es einiges – ganz ohne das abwertend zu meinen. Ich habe in Deutschland erlebt, dass oft viel mehr darauf geachtet wird, worin gekocht wird, als auf das, was in den Topf kommt. Denn das hat meist nicht so eine hohe Qualität. Das müsste genau umgekehrt sein. In Italien liegt der Fokus eher auf den Zutaten selbst: frisch, einfach, saisonal. Diese Liebe zum Produkt macht für mich einen großen Unterschied.
Nicht umsonst gilt Deutschland als eines der Länder in Europa, in dem am wenigsten Geld für Essen ausgegeben wird.
Ja, das fällt mir auch immer wieder auf. Viele schauen zuerst auf den Preis – das verstehe ich, aber gute Lebensmittel müssen nicht teuer sein. In Italien wird oft mit wenigen, aber richtig guten Zutaten gekocht. Diese Haltung vermisse ich hier manchmal.
Aber es gibt ja auch durchaus gute deutsche Gerichte. Haben Sie ein Lieblingsessen, das es nur in Deutschland gibt?
Natürlich gibt es auch richtig gute deutsche Hausmannskost – und die mag ich sehr. Ich esse zum Beispiel gern Rotkraut, aber nur, wenn es selbst gemacht ist. Auch ein klassischer Braten mit Soße und Knödeln schmeckt mir gut – vorausgesetzt, er kommt frisch aus der Küche. Man merkt einfach, ob etwas mit Liebe gekocht wurde.

Serena Loddo auf einem Markt in Italien.
In Ihrem Kochbuch „Come a Casa“ (Wie zu Hause) steht, dass Ihnen das Kochen in die Wiege gelegt wurde. Haben Sie eine erste Erinnerung an das Kochen?
Eine einzelne Erinnerung habe ich nicht, sondern viele kleine Momente, die sich tief eingeprägt haben. In meiner Familie war es selbstverständlich, frisch zu kochen und zweimal am Tag warm zu essen. Ich erinnere mich, wie ich als Kind oft in der Küche bei Nonna – im Sommer in Italien – und Mamma in Deutschland stand, zugeschaut oder mitgeschnippelt habe – Kinder waren und sind in der Küche willkommen. Kochen und gemeinsam essen war nie eine Pflicht, sondern ein natürlicher und liebevoller Teil des Alltags, der uns alle verbunden hat.
Worauf haben Ihre Mutter und Ihre Großmutter beim Kochen Wert gelegt?
Sie haben sehr viel Wert auf abwechslungsreiches Essen gelegt. Es gab nicht jeden Tag dasselbe und immer mehr als nur eine Sache. Bei einer Mahlzeit war alles dabei: Proteine, Gemüse und Kohlenhydrate. Es wurde nie einfach nur Pasta mit Tomatensoße serviert, sondern immer auch Oliven, Brot und Salat. Genau das macht für mich die italienische Esskultur so vielfältig – es gibt viele kleine Gerichte. Verschiedene Antipasti und Eingelegtes aus dem Winter kamen bunt und einladend auf den Tisch. Pasta gab es meist als ersten Gang, manchmal folgte noch ein zweiter, aber das war nicht zwingend. Meine Mamma hatte immer auch Salat dabei.

Beim Kochen achtet Serena Loddo auf frische Produkte und Abwechslung.
Haben Sie die Werte übernommen?
Ja, absolut. Für mich gehört es ganz selbstverständlich dazu, beim Kochen auf Abwechslung und Vielfalt zu achten. Ich möchte das auch nicht missen. Und zum Glück sieht mein Mann das genauso – wenn wir zusammen kochen, kommt bei uns immer eine bunte Mischung auf den Tisch.
Sie haben von Ihrer Mutter und Großmutter nicht nur Kochtipps bekommen, sondern fürs Leben gelernt, schreiben Sie in Ihrem Buch. Ihre Nonna hat gesagt: „Pasta braucht Gesellschaft“. Was bedeutet der Satz?
Meine Nonna meinte damit ganz konkret den Kochprozess: Wenn die Pasta im Topf ist, darf man nicht weggehen – man muss dabei bleiben, damit sie nicht verkocht oder verklebt. Sie hat das nicht emotional gemeint, sondern mir damit eine Eselsbrücke gegeben.
Ok, ich habe gedacht, dass der Satz meint, dass man Pasta in Gesellschaft isst.
Damit meinte sie wirklich nur den Kochprozess. Man kann es natürlich auch anders verstehen, aber für uns ist es normal, dass wir in Gesellschaft essen.

Die Culurgiones sind ein typisch sardisches Gericht. Die Teigtaschen werden speziell gefaltet und dann gefüllt. Tradiotionel werden sie meist mit Kartoffeln und Pecorino gefüllt.
Sie haben für das Kochbuch die Rezepte Ihrer Mutter und Großmutter verfeinert und angepasst. Was heißt das genau?
Manche Rezepte habe ich gar nicht verändert – zum Beispiel die Culurgiones, das sind sardische Teigtaschen mit einer besonderen Faltung. Das Rezept ist traditionell und genauso gut, wie es ist. In meinem Geschäft biete ich sie in der klassischen Variante an, habe aber zusätzlich eigene Füllungen entwickelt. Andere Rezepte habe ich angepasst, weil man hier in Deutschland nicht immer alle Zutaten bekommt. Dann heißt es: kreativ werden und mit dem arbeiten, was da ist.
Sie erreichen mit Ihrem Geschäft, dem Kochbuch und Fernsehauftritten viele Menschen. Welche Chance sehen Sie darin?
Ich hoffe, dass ich damit ein feineres Gespür für gute Esskultur vermitteln kann – und dafür, wie sehr gutes Essen dem Körper und dem Wohlbefinden guttut. Wer sich bewusst und gut ernährt, kümmert sich um sich selbst. Es geht um Genuss, aber auch um Gesundheit. Für mich ist Essen eine echte Quelle der Zufriedenheit. Wenn man mit Achtsamkeit isst, entsteht eine tiefere, schönere Verbindung zum Essen. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass mehr Menschen wieder selbst kochen und an den eigenen Herd zurückkehren – und dass man sich als Familie oder mit Freunden wieder gemeinsam an den Tisch setzt. Denn Essen verbindet.
Ist das in Italien so?
Ja, das erlebe ich gerade wieder ganz deutlich – ich bin gerade auf Sardinien. Wenn ich auf dem Markt bin oder im Café sitze, geht es fast immer ums Essen: Was gerade im Garten wächst, was man heute kocht oder ob man später noch ans Meer geht. Es sind einfache, schöne Themen, die den Alltag begleiten. In Deutschland stehen oft andere Dinge im Vordergrund – Arbeit, Termine, Organisation – da überlagern solche Gespräche manchmal den Raum für das Sinnliche, Genussvolle. Das meine ich nicht negativ, es ist nur eine andere Art, den Alltag zu füllen.
Bei italienischem Essen denken viele Deutsche erst einmal an Pizza und Pasta – nicht gerade kalorienarme Gerichte. Sie wollen aber vermitteln, dass beim Kochen Gesundheit und Achtsamkeit miteinander verbunden sind. Gilt das auch für Pizza?
Pizza gehört natürlich dazu, aber sie muss nicht jeden Tag auf den Tisch. Entscheidend ist auch, wie sie gemacht wird: Ein gut gegangener Teig, einfache Zutaten, wenig Belag – das ist etwas anderes als eine Fertigpizza. In Italien wird meist Mozzarella verwendet, während in Deutschland oft Gouda oder Emmentaler zum Einsatz kommen, die einen höheren Fettgehalt haben. Auch die Menge an Belag ist in Italien oft deutlich sparsamer – was viele überrascht, weil in Deutschland die Pizza häufig sehr üppig belegt wird. Wobei man auch nicht vergessen darf, wie vielfältig Italien ist – jede Region bringt ihre eigenen Besonderheiten mit, auch beim Essen. Wenn man so kocht, wie ich es gelernt habe, dann ist italienisches Essen sehr ausgewogen: frisch, möglichst unverarbeitet, einfach und saisonal. Für mich bedeutet gutes Essen immer auch Achtsamkeit, Genuss und ein Stück Lebensqualität. Und das spürt man – wenn ich in Italien bin, habe ich nach ein paar Tagen ein anderes Körpergefühl. Obwohl ich auch in Deutschland italienisch koche, macht es doch einen Unterschied. Das liegt an den Zutaten, an ihrer Frische, aber auch an der Haltung zum Essen.