Wenn Frau Wong an den Tisch kommt, wird es fröhlich. Obwohl ihr Restaurant Zhuan Yao berühmt ist, besuchen doch eher Einheimische das Lokal. Da kommen ihr Gäste aus Deutschland gerade recht. „Ihr lernt jetzt die taiwanische Gastfreundschaft kennen“, sagt sie auf Mandarin. Sofort wandern die Blicke zu Lena Chang. Die Gästeführerin trägt für ihre deutsche Gäste den Vornamen Lena. Westliche Spitznamen sind in Taiwan Usus bei denjenigen, die mit Menschen aus Europa oder den USA zu tun haben.

Frau Wong ist ein Taiwanisches Ritual und schenkt gern zwischendurch einen Whisky aus.
Die Reiseleiterin übersetzt bereitwillig. Im selben Moment stellt Frau Wong mit Schwung eine Halbliterflasche taiwanisches Bier auf den Tisch und füllt resolut die kleinen Wassergläser. „Ganbei“, ruft sie in die Runde, was so viel heißt wie „Runter damit!“, und leert ihr Glas in einem Zug. Kurz darauf kommt sie mit einer Flasche Whisky an den Tisch. Ein Nein akzeptiert sie auch diesmal nicht. Man muss also erfinderisch werden. Denn das Essen steht noch nicht auf dem Tisch. An diesem Abend gibt es einen Nudeltopf mit der Knollenpflanze Taro und Wurstbällchen sowie jeweils ein Gericht mit Rindfleisch und Tofu, zudem ein grünes Gemüse, das sich als Farn herausstellt und köstlich schmeckt – alles wird mit viel Knoblauch und Chili gewürzt. Zum Nachtisch serviert die Restaurantchefin frittiertes Eis. Dass sie zwischendurch immer wieder mit der Whiskyflasche an den Tisch kommt, versteht sich von selbst.
Nvidia-Chef kam zum Essen
Für ihr Essen ist Frau Wong so bekannt, dass selbst der Nvidia-Mitbegründer Jensen Huang dort speiste und ihr Restaurant adelte. Denn alle Lokale, die der aus Taiwan stammende Tech-Milliardär während seiner Aufenthalte in Taipeh und anderen Städten besuchte, werden im Internet auf sogenannten Must-Eat-Listen geführt.

Es ist eine Spezialität in Taiwan, aber eine Herausforderung für Gaumen und Nase: der Stinky Tofu (links).
Frau Wong freut das natürlich. Die Restaurantchefin ist eine von mittlerweile vielen starken Frauen im Land. Denn in Taiwan hat sich in den vergangenen Jahren viel in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit getan. 2016 wurde Tsai Ing-wen als erste weibliche Präsidentin der Inselrepublik gewählt. Sie hat unter anderem Initiativen zur Förderung von Frauenrechten und zur Gleichstellung von Frauen am Arbeitsplatz unterstützt. Das hat gefruchtet. Taiwan steht auf dem Geschlechtergleichstellungsindex der UN bei der Beschäftigung von Frauen weltweit an sechster, in Asien sogar an erster Stelle. Das zu erreichen war für Frauen in Taiwan nicht leicht. Denn wie andere asiatische Länder auch hat Taiwan traditionelle konfuzianische Werte und patriarchale Normen, die die Rolle der Frau vornehmlich auf familiäre Aufgaben begrenzen.

Sue, Angie und Cherry (von links) gehören zur Ü-50-Nationalmannschaft im Drachenbootrennen.
Wie präsent starke Frauen heutzutage sind, zeigt sich bei einem der traditionellen chinesischen Feiertage, dem Drachenfest. An diesem Tag finden Drachenbootrennen statt, an denen Firmen, Freunde oder Vereine teilnehmen. Mit dabei ist auch das Senior-Beauty-Team, die Nationalmannschaft der Ü-50-Frauen. Bei internationalen Sportwettbewerben treten die unterschiedlichen Nationalmannschaften unter dem Namen Chinese Taipeh an, um den politischen Konflikt mit China zu umgehen. Denn China beansprucht Taiwan als Teil seines Territoriums und übt auch Druck auf internationale Organisationen aus.
Die Angst vor einem Krieg mit China ist Teil ihres Lebens, sagt Sue. Die 54-Jährige stammt eigentlich aus Singapur, lebt aber bereits seit Jahren in Taiwan. „Weil wir uns der Gefahr eines Krieges mit China bewusst sind, leben wir sehr in der Gegenwart“, sagt sie. Das bestätigen auch ihre Teammitglieder Angie (60) und Cherry. Die beiden arbeiten für ein deutschen Unternehmen. „Wir wollen unsere Freiheit und unsere Demokratie nicht verlieren“, sagt die 65-jährige Cherry.

Designerin Jessica Chang hat funktionales Design in die Köpfe der Taiwaner gebracht.
So sieht das auch die Businessfrau Chih-han Chang, die sich Jessica nennt. „In unserer Generation fühlen wir uns als Taiwanerinnen, die Generation meiner Eltern ist da noch eher gespalten“, sagt die 38-Jährige, die vor 15 Jahren das Geschäft „In Bloom“ für Kunst und Design in einer beliebten Geschäftsstraße eröffent hat. Spezialisiert hat sie sich mit ihren Mitgründerinnen auf die taiwanische Geschichte und Natur, die in die Designs einfließen. „Wir wollen das Image Taiwans in der Gesellschaft stärken“, sagt sie. Produziert wird daher auch in Taiwan, was noch eher selten ist. Doch Gegenstände wie Necessaires, Flaschenhalter, Kleidungsstücke oder Schlüsselanhänger kommen mittlerweile auch bei Taiwanern an. Das sei vor 15 Jahren noch nicht so gewesen, erzählt sie. „Funktionales Design war früher einfach nicht so bekannt.“
Fokus auf die Karriere
Mittlerweile kooperiert „In Bloom“ mit Supermärkten und Autohändlern und hat zudem andere Start-ups ermutigt. So finden sich unter dem Dach nun auch ein Designer für Hunde-Accessoires sowie ein Café, in dem Schokolade mit Tee hergestellt wird. Die Bedingungen für die Gründung von Start-ups seien für Männer wie Frauen recht ähnlich, sagt Jessica. „Allerdings bin ich auch nicht verheiratet und alle Mitgründerinnen ebenfalls nicht, das macht es einfacher“, sagt sie. Ihre Generation heirate heutzutage eher spät und bekomme weniger Kinder. „Frauen fokussieren sich mehr auf sich und ihre Karriere“, hat sie beobachtet.

Meisterin Cheng fertigt Wickelblumen, hier ein traditioneller Brautschmuck.
Erst spät im Leben hat Handwerksmeisterin Hui Mei Cheng ihr Geschäft „Twined Flower“, was so viel wie Wickelblume bedeutet, in der Stadt Yilan gegründet. Früher hat sie als Lehrerin für Lederkunst gearbeitet, aber dann mit 50 Jahren ihre Leidenschaft für Wickelblumen entdeckt. Die Blumen aus Seidenfäden werden vor allem für Hochzeiten gefertigt. Es gibt zwölf Grundmuster und festgelegte Farben. Rot ist allerdings der Braut sowie der Brautfamilie vorbehalten. In Taiwan wird wie in China in Rot geheiratet, denn die Farbe steht für Glück und Reichtum.
Mittlerweile ist Frau Cheng 76 Jahre alt. Schülerinnen unterstützen die Meisterin bei der kunstvollen Wickelarbeit. „Es ist mir ein großes Bedürfnis, diese Tradition zu erhalten und an die jüngere Generation weiterzugeben“, sagt sie.

Anny Lin lässt in ihrer Manufaktur Nagelknöpfe für Luxus-Brands fertigen.
Anny Lin hat das Geschäft von ihrem Vater und seinen drei Brüder übernommen, daher hat sie es „Four Brothers“ genannt. Mittlerweile ist sie sie alleinige Chefin, ihr Mann ist bei ihr angestellt. Wer ihre kleine Boutique betritt, kann sich kaum vorstellen, dass sie mit ihrem Unternehmen Weltmarktführer ist: Sie produziert – ebenfalls in Taiwan – Nagelknöpfe, die von fast allen bekannten Luxusmarken genutzt werden. In ihrer Boutique bietet sie einen in Asien beliebten Trend an: Do-it-yourself. Besucher verschönern mit den Nagelknöpfen eine kleine Tasche. Nicht irgendeine, sondern eine ehemals bei Taiwanerinnen beliebte Einkaufstasche, aber im neuen Design.
Typisch Taiwan eben.