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Psychologie Wie man es schafft, Dinge weniger persönlich zu nehmen

Kränkungen können uns tief treffen. Doch ist es möglich, sie nicht persönlich zu nehmen? Experten geben Einblicke in Strategien und Übungen, die uns dabei helfen können.
19.05.2024, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Wie man es schafft, Dinge weniger persönlich zu nehmen
Von Anja Semonjek

Das neuste Projekt erntet auf der Arbeit mehr Kritik als Lob. Eine Freundin sagt immer wieder die Verabredungen ab. Auf das zehnte Bewerbungsgespräch folgt eine Absage. Es gibt unzählige Situationen, in denen wir uns gekränkt fühlen können. Die Angst, dass etwas mit uns nicht stimmt, kontrolliert dann unsere Gedanken. Aber ist es auch möglich, Ablehnung und Kritik nicht persönlich zu nehmen?

Die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki wird zu diesem Thema häufig zitiert. In ihren Büchern, unter anderem „Nimm’s bitte nicht persönlich“, erschienen im Kösel Verlag, gibt sie Tipps für einen gelasseneren Umgang mit Kränkungen. Man kann alles heiterer sehen, so Wardetzki. Sie referiert auf ein Interview mit dem US-amerikanischen Schauspieler Morgan Freeman aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung. „Was passiert, wenn ich Nigga zu dir sage?“, wurde er gefragt. Er antwortete: „Nichts.“ Und warum? „Was passiert, wenn ich ,deutsche Dummkuh‘ zu Ihnen sage?“ Die Interviewerin fühle sich nicht angesprochen. Und das sei der Trick. „Wenn Sie ,Nigga‘ sagen, dann haben Sie ein Problem, nicht ich, weil Sie das falsche Wort benutzen“, so Freeman.

Verantwortung übernehmen

„Je länger ich mich mit dem Thema Kränkungen beschäftige, umso deutlicher wird mir deren weitreichende und häufig auch schicksalhafte Bedeutung für unser Leben“, so Wardetzki. Immer wieder kränken wir andere Menschen und werden selbst gekränkt. Weder Rache noch der depressive Rückzug lösen den Konflikt. Wir sollten uns verantwortungsvoll dem Konflikt stellen – und das fange damit an, zu sagen „Ich fühle mich gekränkt“, anstatt „Du hast mich gekränkt.“

„Was für den einen Menschen eine Kränkung ist, ist für einen anderen nur eine Information“, sagt die Therapeutin Sabrina Leipold. Sie führt eine Praxis für mentale Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung in Bremen. Leipold erklärt, dass es immer der Empfänger ist, der die Bedeutung einer Botschaft bestimmt – und nicht der Sender. Wenn jemand „du blöde Kuh“ sagt, verstünden wir diesen Satz ganz unterschiedlich. Die einen denken „Ich wusste es, ich werde nicht gemocht, es liegt an mir“, die anderen „Oh man, bestimmt hat mein Gegenüber einen schlechten Tag.“

Wie sie selbst mit Kränkungen umgeht, erläutert Leipold anhand eines Beispiels: Als sie die Anfrage des WESER-KURIER erhält, sich zu dem Thema zu äußern, passiert vieles in ihrem Inneren. Bloß zehn Sekunden freut sie sich – dann bekommt sie Herzrasen, ihr wird flau im Magen und sie malt sich eine Katastrophe aus. „Obwohl ich kognitiv genau weiß, was da grade passiert, ist das Gefühl doch schneller.“ Für zwei Minuten fühlt sie sich wieder wie eine Teenagerin. Grund dafür seien Erfahrungen aus der Jugend. Ohne dass es uns bewusst ist, reagieren wir auf bestimmte Situationen, erläutert Leipold. Jedoch könnten wir lernen, wie wir damit umgehen.

Grenzen setzen und Lösungen finden

Zunächst müsse man Grenzen setzen. „Wenn mich eine andere Person kränkt, muss ich ihr das mitteilen.“ Ansonsten wisse sie es womöglich nicht und es passiert wieder. Eine Analyse des Problems helfe zudem – alle Beteiligten sollten eine sachliche Diskussion führen und eine Lösung suchen. Die Perspektive zu verändern, helfe dabei. Wichtig sei zudem, sich der eigenen Ressourcen bewusst zu werden. Damit meint sie Kompetenzen und Bewältigungsstrategien.

Mit ihren Klienten führt Leipold in diesem Zusammenhang Übungen durch – denn schwierig wird es in den akuten Kränkungsmomenten. Wenn der Körper auf etwas plötzlich reagiert, etwa mit einem erhöhten Herzschlag. Ihre Klienten fordert sie daher auf: „Erinnern Sie sich an eine konkrete Situation, in der Sie Ressourcen gebraucht haben. Welches Gefühl oder welcher Wert hätte Ihnen geholfen? Mut, Gelassenheit, Freiheit?“ Bei der Übung gehe es darum, die Situation nochmals zu durchleben mitsamt den Sinneseindrücken: Wie sind die Farben, das Licht, die Temperatur, die Geräusche, die Gefühle, Gerüche oder Geschmäcker? Wenn Menschen Unterstützung bei diesem Thema benötigen, rät Leipold einen Coach oder Therapeutin zu kontaktieren. Und: Immer wieder im Alltag die innere Balance und Entspannung zu suchen.

Wunde Punkte der Persönlichkeit

„Im Umgang mit Kränkungen im Privatleben ist es wichtig, zunächst die eigenen Gefühle anzuerkennen und zu verstehen“, sagt auch Detlef Nitsche, der als Unternehmensberater und Coach in Bremen arbeitet. Kommunikation spiele dann eine entscheidende Rolle, um Missverständnisse zu klären und Bedürfnisse auszudrücken. Mit einer Kränkung sei stets eine seelische Verletzung etwa durch beleidigende, zurückweisende oder beschämende Äußerungen verbunden. Je wichtiger uns der Mensch oder das Thema sind, umso intensiver kann die eigene Reaktion ausfallen. Wenn zudem noch ein wunder Punkt der Persönlichkeit tangiert wird, löse das reflexartige Reaktionen aus, wie Rückzug oder ein aggressives Verhalten. Selbstreflektion über solch wunde Punkte helfe, um mit Kränkungen souveräner umzugehen. „Klären Sie also einfach für sich einmal, welche Erlebnisse sie in ihrer eigenen Biografie wiederholt getriggert haben und welche Verhaltensmuster sie dann zeigten“, sagt Nitsche. Wenn man etwa als Kind Ausgrenzungserfahrungen machen musste, hat man sich damals unreflektiert in die Opferrolle zurückgezogen. Das bewirke, als Erwachsener sensibel anstatt selbstbewusst den Konflikt zu klären – da eine Ausgrenzung erneut befürchtet wird.

„Im praktischen Umgang mit Kränkungen rate ich stets, zunächst kurz innezuhalten, vielleicht sogar eine Nacht darüber zu schlafen und zu schauen, was und wie intensiv dies gerade emotional in mir passiert“, sagt Nitsche. Bei der gefühlten Kränkung sollte man sich zuerst fragen: Wie gravierend ist das eigentlich, was mich da emotional bewegt? Wie ernst hat mein Gegenüber das Gesagte wohl gemeint? In welcher Verfassung ist sie oder er? Ist die Formulierung einfach nur ungeschickt oder war Ironie im Spiel? Mithilfe solcher Überlegungen vermieden wir, alles sofort persönlich zu nehmen.

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Wichtig sei zudem, die eigenen Bedürfnisse zu respektieren und zu verteidigen. Sowie Fehler zu vergeben und sich Zeit zu nehmen, sich von der Kränkung zu erholen. Fühlt man sich von jemandem im Privatleben immer wieder angegriffen? Dann sei vielleicht der Moment gekommen, den Kontakt abzubrechen. Denn die Verbindungen sollten ein gutes Gefühl geben und den Rücken stärken.

„Je selbstbewusster wir sind, desto leichter lässt sich mit Kränkungen umgehen“, sagt Nitsche. Balsam für die Seele ist es, sich an die eigenen Stärken und Erfolge zu erinnern.

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