Blumenthal. Was ist die Aufgabe eines Friedhofsgärtners? Wer Henry Claussen von der Gärtnerei Claussen diese Frage stellt, erhält eine Antwort, die weit über die klassische Aufgabenbeschreibung seines Berufs hinausgeht. Sein Arbeitsplatz, der Friedhof, ist für ihn nicht nur ein Ort des Gedenkens. „Es ist ein Platz, an dem Menschen ins Gespräch kommen und das Gespräch suchen.“ Er und sein Team brauchen deshalb nicht nur ein Händchen für Pflanzen und Gestaltung, sondern auch ein offenes Ohr. Oft fungieren sie als Ansprechpartner und sind da, wenn sie gebraucht werden. „Sei es für den kurzen Schnack über Fußball oder weil die Leute nicht mehr weiterwissen.“
Für den gelernten Gärtner ist sein Job mehr als reiner Broterwerb – er ist seine Passion. Seit Kindheitstagen ist Claussen auf Friedhöfen unterwegs, denn die Gärtnerei, die er führt, liegt seit über 100 Jahren in Familienhand. Dadurch kam der Nordbremer früh mit Themen wie Tod, Verlust und Erinnerung in Kontakt. Mit 13 Jahren unterstützte er seinen Vater das erste Mal dabei, ein Grab zu verschließen, und ging ihm seitdem immer wieder zur Hand.
Auch wenn er zwischendurch über andere berufliche Perspektiven nachgedacht habe, sei für ihn letztendlich kein anderer Job infrage gekommen, resümiert Claussen. Diesen Enthusiasmus gibt er an seine Mitarbeiter weiter. Dabei ist ihm der zwischenmenschliche Aspekt, also der empathische Umgang mit den Friedhofsbesuchern, besonders wichtig. „Man muss auf die Menschen zugehen und sie ernst nehmen.“ Jemanden wegzuschicken, der Kontakt sucht, sei keine Option.
Die Gärtnerei betreut verschiedenen Friedhöfe, doch den der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Blumenthal bezeichnet Claussen als „seinen“ Friedhof. Sein Vater hatte dort vor 50 Jahren die Pflege der Gräber und des umgebenden Grüns übernommen. Deshalb machte Henry Claussen dort auch seine ersten Erfahrungen in Sachen Friedhofsgärtnerei. Er kennt das Gelände, die Grabfelder und Geschichten dahinter wie kaum ein anderer.
Er führt beim Gang über das Gelände an einem kleinen Gräberfeld vorbei, das von der Jürgen-Fliege-Stiftung gespendet wurde. Auf diesem finden Menschen ihre letzte Ruhestätte, die vom Sozialsystem bestattet werden, Menschen ohne Familie und wenig Anschluss. Anderswo würden sie am Rand, teilweise sogar anonym beerdigt, so Claussen. „Hier werden sie jedoch nicht ausgegrenzt, sondern sind mittendrin.“
Selbstverständlicher Kontakt
Elend und Freude gehen auf dem Friedhof Hand in Hand – auch das weiß der gelernte Friedhofsgärtner durch seine jahrzehntelange Tätigkeit. So erfährt er viel über die Menschen, die kommen, um zu trauern, um Angehörige zu besuchen oder einfach nur, um zwischen den Gräbern zu wandeln. Der Kontakt mit den Besuchern gehört für den Friedhofsgärtner genauso selbstverständlich zu seinen Aufgaben wie die Pflege der Gräber oder das Anlegen von bienenfreundlichen Staudenbeeten, um das Gelände möglichst ökologisch zu gestalten.
Die Nähe zu den Menschen spiegelt sich auch in den Grabstellen wider, die die Gärtnerei gestaltet. „Wir versuchen, eine Verbindung zu den Leuten herzustellen, mehr über den Verstorbenen zu erfahren und dies dann mit Pflanzen darzustellen.“ So entstehen Bepflanzungen, die laut Claussen sehr individuell sind. Da sind auch Pflanzen dabei, die auf dem Friedhof sonst eher selten sind, wie zum Beispiel Weinranken oder Schmetterlingsflieder. Ein fast schon künstlerisches Grab, angelegt in Wellenform und mit Formgehölzen gestaltet, findet sich ebenso wie ökologische Gräber. Diese wurden mit verschiedenen Stauden und anderen insektenfreundlichen Pflanzen ausgestattet.
Vom Trend zur anonymen Bestattung hält Henry Claussen wenig. Viele Menschen würden ihren Kindern einfach nicht zur Last fallen wollen. Das eigentliche Problem läge jedoch vielmehr darin, dass über das Thema in der Familie zu wenig gesprochen werde. „Früher gab es mehr Vorsorge. Es wurde gleich ein großes Grab gekauft, in dem mehrere Familienangehörige Platz haben. Das gibt es heute kaum noch.“ Friedwälder und anonyme Urnenfeldern sieht der Friedhofsgärtner kritisch. Zum einen, weil es speziell älteren Besuchern schwer gemacht werde, den Gedenkort zu erreichen.
Auf der anderen Seite fehle es den Orten laut Claussen an dem, was es zur Trauerbewältigung brauche. Dazu gehöre die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. „Das vermissen viele am Friedwald.“ Außerdem wünschten sich die meisten einen direkten Bezugspunkt, also einen Ort, wo sie Blumen niederlegen, sich mit dem Geschehenen auseinandersetzen und Zwiesprache halten können. Das betrifft laut Claussen alle Altersgruppen. „Oft sieht man auch junge Menschen mit den Gräbern sprechen.“
Und es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb sich Henry Claussen für Friedhöfe ausspricht: „Ohne würde uns Geschichte verloren gehen.“ Was er damit meint, erschließt sich während des Rundgangs. Ein alter Abendmahltisch steht draußen unter Bäumen und wartet darauf, dass wieder Gottesdienste unter freiem Himmel abgehalten werden können. Ein Stück weiter liegt eine große Glocke. Sie stammt aus der ehemaligen Gießerei Dewers in Rönnebeck.
Lange stand die Glocke vor dem Sattelhof, bis sie schließlich auf den Friedhof kam. Entlang der Wege finden sich zudem immer wieder historische Gräber. Die Grabmale tragen Namen bekannter Blumenthaler wie zum Beispiel Kapitän Dallmann oder Tami Oelfken. Aber auch die neueren Gräber laden zum Entdecken ein. So stößt man an einer Stelle auf einen Grabstein, auf dem der Schneider der Eiswette sitzt. „Den dürfen nur sehr wenige Ausgewählte offiziell verwenden“, erklärt Claussen. Ebenfalls historisch interessant: Auf dem Friedhof gibt es sowohl katholische als auch evangelische Gräber. Früher trennte ein Drahtzaun die Bereiche voneinander, heute indes herrscht Eintracht.
Das Unternehmen in Zahlen
Gegründet wurde die Gärtnerei Claussen 1894 von Hinrich und Gesine Claussen an der Lindenstraße in Fähr-Lobbendorf – dem Standort, an dem der Betrieb auch aktuell seinen Sitz hat. Bis heute liegt der Betrieb in Familienhand und wird inzwischen in vierter Generation von Henry Claussen geführt. Das Team besteht aus zehn Mitarbeitern, die in den Bereichen Friedhof, Floristik, Garten- und Landschaftsbau tätig sind. Gärtnerei Henry Claussen, Lindenstraße 43, 28755 Bremen, Telefon 04 21 /66 13 26. Weitere Infos unter www.gaertnerei-claussen.de.
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