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Worpsweder Künstlerhäuser VII: Nach der Malerin Emmy Meyer arbeitete das Ehepaar Lichtenford in den Ateliers Auch Gottfried Benn war Gast im rosa Haus

Worpswede. Die Kunstgeschichte kennt zwei berühmte Häuser, die wegen ihrer Farbgebung zum Synonym für ihre Künstler wurden: das gelbe Haus von Vincent van Gogh im südfranzösischen Arles und das blaue Haus von Frida Kahlo in Coyocán, einem alten Stadtteil von Mexico City. Worpswede hat das rosa Haus in der Bergstraße 8, das einst die Malerin Emmy Meyer erbauen ließ und in dem später das Künstlerehepaar Eva und Alfred Lichtenford lebte. 1959 erhielt das Haus seinen rosa Anstrich, den es bis heute trägt. Auch der Dichter Gottfried Benn war Gast in diesem Künstlerdomizil.
12.02.2011, 05:00 Uhr
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Von Gudrun Scabell

Worpswede. Die Kunstgeschichte kennt zwei berühmte Häuser, die wegen ihrer Farbgebung zum Synonym für ihre Künstler wurden: das gelbe Haus von Vincent van Gogh im südfranzösischen Arles und das blaue Haus von Frida Kahlo in Coyocán, einem alten Stadtteil von Mexico City. Worpswede hat das rosa Haus in der Bergstraße 8, das einst die Malerin Emmy Meyer erbauen ließ und in dem später das Künstlerehepaar Eva und Alfred Lichtenford lebte. 1959 erhielt das Haus seinen rosa Anstrich, den es bis heute trägt. Auch der Dichter Gottfried Benn war Gast in diesem Künstlerdomizil.

Eva Lang, die Enkelin Alfred Lichtenfords, wohnt seit Mitte der 1980er Jahre im Haus ihrer Großeltern und führt die familiäre Tradition der Fassadengestaltung fort: weiße Fenster und Fensterläden auf rosafarbenen Wänden. Was heute so freundlich und farbenfroh wirkt, war Jahrzehnte lang ein gelbgrauer Ziegelbau mit einfachen Fenstern und hölzernem Vorbau im Eingangsbereich.

Über die Fensterstürze im unteren Teil der Fassade spannt sich ein Schmuckelement: das so genannte Deutsche Band. Das zweistöckige Haus wurde 1899 vom Maurermeister Johann Heinrich Kück erbaut, von dem die Bauherrin Emmy Meyer auch das Grundstück erwarb. Von Anfang an war es als Künstlerhaus konzipiert, denn in beiden Wohnebenen wurden Ateliers mit großzügigen Fenstern in Richtung Norden eingebaut. Sie existieren heute noch.

Die obere Ebene bewohnte Emmy Meyer, die 1898 nach Worpswede kam und Schülerin von Otto Modersohn wurde. Ihre eigentliche Ausbildung hatte sie von 1894 bis 1898 an der Mal- und Zeichenschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen genossen - just an dem Kunstinstitut, an dem auch Paula Becker studierte. Wie sie nahm Emmy Meyer Unterricht bei der beliebten Lehrerin Jeanna Bauck.

In der unteren Ebene wohnte Käte Remmer, eine Tochter des Bremer Brauereibesitzers Wilhelm Remmer. Das Verhältnis beider Frauen sei schwer zu beschreiben, sagt Jan Peter Lichtenford, als Sohn Alfred Lichtenfords 1932 in Bremen geboren. Er hatte Käte Remmer noch kennen gelernt, als Lichtenfords 1940 nach dem Tode von Emmy Meyer in das Haus einzogen. Fräulein Remmer sei die Jüngere von beiden und eine Art Hausdame für Emmy Meyer gewesen, die auch gekocht, sich um den Haushalt gekümmert und sich im Garten nützlich gemacht habe, sagt Lichtenford.

1866 in Hannover geboren, wandte sich Emmy Meyer nach ihrer Berliner Ausbildung und den späteren Korrekturen bei Modersohn der Landschaftsmalerei zu, im Gegensatz zu Paula Becker und anderen Malerinnen im Dorf, die hauptsächlich dem Figürlichen zugetan waren.

Die wenigen Fotos zeigen Emmy Meyer meistens im weißen Malkittel mit weißer Haube. Und das nicht von ungefähr, denn sie zog unermüdlich mit Staffelei und Malpalette hinaus in die Landschaft, sozusagen vor das Motiv.

Die weiße Haube der Moorbäuerinnen schützte auch die Malerin vor der Sonne. Ihr Kollege Karl Krummacher schrieb einmal: "Die Begabung drängte Emmy Meyer dazu, ein Motiv nach bestimmten Richtpunkten gleich vor der Natur im Aufbau bildmäßig festzulegen und dann das Frohlocken der Stunde in zarten, leisen oder kräftig anschwellenden Farbakkorden ausklingen zu lassen."

Es war noch die Zeit, in der Frauenkunst nichts galt, auch in Worpswede nicht. Doch fand Emmy Meyer wenn auch spät die verdiente Anerkennung. Ihr Haus, ehemals Bergstraße 116, öffnete sie auch für Konzerte, die oben im Atelier stattfanden. Sie liebte die Geselligkeit.

Der Humor muss einer der Wesenszüge Emmy Meyers gewesen sein. Das Archiv der Barkenhoff-Stiftung bewahrt einige ihrer Typoskripte auf, die aus unterschiedlichen Anlässen entstanden. Meistens schilderte sie die Begebenheiten in Reimform. So schrieb die über Siebzigjährige ein Hohelied auf einen Hahn, der ihr und Fräulein Käte Remmer geschenkt worden war und der als Frikassee endete. Da ist von "Remmys Kochkunst" die Rede und davon, dass "Remmy es Emmy fein serviert". Zu guter Letzt stellte sich heraus: Der Hahn war eine Henne. Auch selbstironisch konnte Emmy Meyer sein. In ihrem 17strophigen Gedicht über die Worpsweder Maler verweist sie in den letzten Versen auf sich, die "als Tante Emmy hier bekannt" und "Flietigste (Fleißigste) von allen" sei.

Nach ihrem Tod im Jahre 1940 zog der Maler Alfred Lichtenford mit Frau und zwei Kindern in die obere Etage des Hauses, deren Wände in Violett und Rosa gehalten waren. Zuvor hatte die Familie, aus Bremen kommend, einige Zeit im Schluh gewohnt, denn Eva Lichtenford und die Weberin Bettina Müller-Vogeler waren befreundet. Eva Lichtenford hatte wie ihr Ehemann an der Kunstgewerbeschule in Bremen studiert und arbeitete im textilen Bereich: Zum einen webte sie Bildteppiche nach Entwürfen ihres Mannes, zum anderen arbeitete sie mit feinsten Garnen auf zartem Tüllgrund. Die so entstandenen filigranen Tüllstickereien vereinten bildliche und dekorative Elemente.

Alfred Lichtenford, der 1902 in Bielefeld geboren wurde und in Bremen aufwuchs, arbeitete anfangs auf dem Gebiet der Gebrauchsgrafik, wandte sich dann aber der Malerei zu, die sein künstlerisches Schaffen in Worpswede bestimmte. Die malerische Tradition des Ortes spielte in seinen Arbeiten nur eine marginale Rolle. Auffällig dagegen sind maritime Motive wie Häfen, Schiffe und Wasser. In den späten Jahren machte ihm eine allergische Erkrankung das Malen in Öl unmöglich; so entstanden ausschließlich Bilder mit Temperafarben oder Zeichnungen.

Als das Ehepaar Lichtenford 1940 in das Haus an der Bergstraße einzog, wohnte Fräulein Remmer noch in den unteren Räumen. Erst mit ihrem Auszug 1957 ergaben sich Veränderungen. So konnten Lichtenfords das Haus 1959 von den Erben Emmy Meyers erwerben und dann nach eigenen Ideen umgestalten. Der hölzerne Vorbau wurde abgerissen, ebenso der Efeu, der die Hausfassade rankend überwuchert hatte und in dem sich Ratten ein Stelldichein gaben. Daran erinnert sich Jan Peter Lichtenford heute noch.

Erst in dieser Zeit bekam das Haus seinen unverkennbaren rosa Anstrich. Auch die Fensterläden, die der Fassade noch zu Emmy Meyers Zeiten ein besonderes Aussehen verliehen hatten, wurden wieder angebracht. Nun war es auch möglich, die beiden Ebenen des Hauses in zwei Arbeitsbereiche aufzuteilen: Eva Lichtenford hatte unten ihr Atelier, ihr Ehemann Alfred in der oberen Etage, dort, wo einst Emmy Meyer arbeitete.

Anfang der 1950er Jahre begrüßte das Ehepaar Lichtenford einen besonderen Gast in der Bergstraße - den im Zenit seines Ruhmes stehenden Lyriker Gottfried Benn. Durch die Schriftstellerin Ursula Ziebarth, die dem Haus im Schluh verbunden war, kam der in Berlin ansässige Dichter mehrfach nach Worpswede. Er wohnte im Logierhaus neben der Großen Kunstschau und besuchte gemeinsam mit der Schriftstellerin Ziebarth deren Freunde und Bekannte. Neben Hans Herman Rief, in dessen Gästebuch Gottfried Benn eine lyrische Spur hinterlassen hat, war es auch das Ehepaar Lichtenford, das ihn mehrfach empfing. Ins Gedächtnis von Jan Peter Lichtenford hat sich folgende Erinnerung eingegraben: Vor seinen Besuchen sandte der Dichter immer einen Boten mit einem Blumenstrauß oder einer Schachtel Konfekt für Lichtenfords Mutter.

Jan Peter Lichtenford korrigiert eine in Worpswede kolportierte Geschichte über Benn, die heute noch erzählt wird - dass Gottfried Benn im Lichtenfordschen Haus die steile Treppe hinuntergestürzt sei. Dem war nicht so, wie der heute 78-jährige Lichtenford betont. Oben an der Schwelle zur Treppe sei der Dichter lediglich gestolpert und beinahe hinuntergestürzt; er habe sich gerade noch rechtzeitig abfangen können.

Doch nicht nur der Abglanz eines Gottfried Benn liegt auf dem rosa Haus, sondern auch der seines Dichterkollegen Rainer Maria Rilke, der um 1910 eine Zeit lang dort wohnte, vermutlich als Gast von Emmy Meyer.

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