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Anonyme Alkoholiker Aus Erfahrungen lernen

„Alkoholismus ist sowohl eine körperliche als auch eine geistige Krankheit. Genesung gelingt nur durch absolute Abstinenz. Betroffene schildern ihren Weg in die Sucht und die Hilfe der Anonymen Alkoholiker
01.01.2020, 19:23 Uhr
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Von Albrecht-Joachim Bahr

„Alkoholismus“, so das Credo der Anonymen Alkoholiker, „ist eine körperliche wie auch geistige Krankheit, von der man nur durch absolute Abstinenz genesen kann.“ Die Idee, dass Betroffene eine Selbsthilfe-Gruppe gründen, stammt aus den USA. Dort taten sich 1948 „Bill“ (William Griffith Wilson, Börsenmakler) und „Dr. Bob“ (Robert Holbrook Smith, Chirurg) zusammen. Beide waren starke Trinker und suchten nach einem Ausweg. Bei Gesprächen über ihr Problem stellten sie fest, dass sie in der Zeit, in der sie miteinander redeten, nicht tranken. Und anschließend wirkte der Erfahrungsaustausch noch nach.

Diese Erkenntnis war die Geburtsstunde der Anonymen Alkoholiker. Es folgten die Zwölf Schritte, die – bis heute kaum verändert – helfen sollen, einen Weg aus der Sucht zu finden, zu einem selbstständigen Leben ohne Alkohol. Diesem Weg folgen derzeit gut zwei Millionen Menschen weltweit.

Zwei von ihnen sind Thea und Ronny. Beide haben sich zu einem Gespräch in der Kontaktstelle in der Bremer Altstadt, Geeren 24, bereitgefunden und erläutern aus ihrer Sicht die Arbeit der Anonymen Alkoholiker (AA). Sie betonen, dass sie ihre persönliche Meinung vertreten und nicht für AA als Ganzes sprechen. Wie überhaupt bei den Anonymen Alkoholikern zwar der große Rahmen gesetzt ist, die einzelnen Gruppen aber autonom sind. Sie organisieren ihre Gruppen, Treffen und Gesprächsrunden selbst. Dazu zählt auch, dass alle Dienste freiwillig sind.

„Hier treffen sich Menschen, die den Wunsch haben, mit dem Trinken aufzuhören“, umreißt Ronny die Kernarbeit bei den Anonymen Alkoholikern. In den Gruppen, deren Teilnehmerzahl zwischen drei und 30 schwanken kann, erzählt jeder von seinem Schicksal: als Trinker, als jemand, der aufgehört hat, als Rückfälliger ... „Einer erzählt, die anderen hören zu“, beschreibt Thea den Ablauf der Treffen und betont: „Man erzählt nur von sich und es gibt keine Diskussionen, keine Ermahnungen, keine Ratschläge.“

Das Prinzip sei das Teilen von Erfahrung, indem man zuhört, was andere zu sagen haben. Natürlich gebe es Zuspruch und Bestärkung zum Beispiel für Neulinge („Wir freuen uns über deinen Weg, der dich zu uns geführt hat“) oder allgemein („Schön, dass du da bist“). Gegebenenfalls aber auch ein „wieder da bist“. Denn Rückfälle, die gibt es immer wieder. „Aber das sind für uns Lernfälle“, sagt Thea, „mit ihnen kann man sich die Krankheit wieder vergegenwärtigen“.

Die beiden schildern ihre Wege zu den AA. Zuerst Ronny: Er habe es erst „ganz gut gekonnt“, mit dem Alkohol. „Aber irgendwann, vor etwa zehn Jahren, setzte der Kontrollverlust ein.“ Damals sei er schon berufstätig gewesen und habe seine Sucht nicht wahrnehmen wollen. Nach einer Kurztherapie habe er dann aufgehört. Er habe das Gefühl bekommen, ohne Trinken Zeit zu sparen – die, die er in den Rauschphasen zu verlieren meinte oder beim Organisieren von Nachschub.

Doch traute er sich offensichtlich selbst nicht über den Weg. Er erkundigte sich nach einschlägigen Selbsthilfegruppen, von denen er einige aber, wie er sagt, langweilig fand. Bis er von einem Bekannten eingeladen wurde, doch mal an einem Treffen bei den Anonymen Alkoholikern teilzunehmen. Ronny ging hin und ist bis heute dabei.

Krankheit lange verdrängt

Theas Weg: „Ich habe die Krankheit lange, lange verdrängt“, sagt sie. Angefangen habe es mit einem Glas am Abend. Später wurden es zwei Gläser, noch später eine ganze Flasche, bis auch die nicht mehr gereicht hat. Bei der Arbeit sei das nicht aufgefallen, im Gegenteil, beruflich sei sie recht erfolgreich gewesen. „Meine Probleme, Beziehungsstress und Selbstmordgedanken habe ich nicht mit dem Trinken in Verbindung gebracht“, sagt Thea.

Dann habe sie eine andere Frau mit einer Alkoholgeschichte wie ihrer eigenen kennengelernt. „Darüber habe ich meine Krankheit verstanden.“ Bei den Anonymen Alkoholikern habe sie inzwischen das Gefühl „zu Hause“ zu sein. Da höre sie eben all die Geschichten, die „ich doch auch erlebt habe“. Seit dem ersten Treffen, sagt Thea, sei sie trocken, bisher ohne Rückfall.

Auch wenn die Gruppen selbstständig sind, so gibt es doch fest Regeln bei den Anonymen Alkoholikern – die Zwölf Traditionen. Dort verankert ist über allem die Anonymität der Teilnehmer. Man duzt sich, spricht sich mit Vornamen an, sonst aber gibt es nichts, was auf den Einzelnen hinweist. Keiner ist in Mitgliederlisten oder Statistiken erfasst.

„Anonymität“, heißt es denn auch offiziell, „ist die spirituelle Grundlage aller unserer Traditionen, die uns immer daran erinnern soll, Prinzipien über Personen zu stellen.“ Eine weitere Regel besagt, dass die Anonymen Alkoholiker jede von außen kommende Unterstützung ablehnen. „Die Gruppen finanzieren sich ausschließlich aus Spenden“, sagt Thea. So gehe nach jedem Treffen ein Hut herum, in den jeder geben kann, was er will. Selbst wenn gegebenenfalls per Testament ein Vermögen in Aussicht stünde, dürfte eine Gruppe davon maximal 5000 Euro annehmen. Über die Zwölf Traditionen wie auch über die Zwölf Schritte auf dem Weg zur Gesundung können sich Interessierte eingehender bei den Anonymen Alkoholikern selbst informieren. Ebenso über AA-Gruppen, die sich zu anderen Problemen gebildet haben und das Programm inhaltlich entsprechend angepasst haben. Dazu gehören zum Beispiel die Angehörigengruppen „Al-Anon“.

Entscheidend ist und bleibt der Wunsch der Betroffenen, mit dem Trinken aufzuhören, dazu ehrlich mit sich und zu den anderen in der Gruppe zu sein. Die Teilnehmer erzählen von sich, hören den anderen zu und tauschen so Erfahrungen untereinander aus. „Es ist“, bringt es Ronny auf den Punkt, „eine monologgeführte Selbsthilfegruppe“.

Weitere Informationen

Anonyme Alkoholiker, Kontaktstelle Bremen, Geeren 24. Auskünfte über 04 21 / 45 45 85 und 04 21 / 1 92 95 (immer mit Vorwahl) sowie oeffentlichkeitsarbeit@aa-in-bremen.de, E-Mails an kontaktstelle-bremen@anonyme-alkoholiker.de.

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