Bremen-Nord. Warten auf Plusgrade – Friedhelm Strudthoff kennt das schon: Sollen im Januar neue Stromkabel verlegt werden, kann es auch schon mal Februar oder März werden, ehe die Erdarbeiten beginnen können. Zum Beispiel in Blumenthal. Eigentlich sollten die Baustellen nahe der früheren Woll-Kämmerei in dieser Woche eingerichtet werden, dann kam der Frost. Es ist ein Großprojekt, das auf Strudthoffs Liste steht. Die Woll-Kämmerei ist quasi ein Knotenpunkt, entlang mehrerer Straßen werden Leitungen ausgetauscht. Weil das Stromnetz jetzt andere braucht, auch neuere. Und damit sicherere.
Jollenstraße, Kaffeestraße, Fresenbergstraße... alles in allem sind es sieben Abschnitte, die zur Baustelle werden. Strudthoff sagt, dass mehrere Kolonnen gleichzeitig im Einsatz sein werden. Dass die Arbeiten bis mindestens April dauern. Und dass grob überschlagen fünf Kilometer Kabel ersetzt werden – für einen Millionenbetrag. Auch deshalb, meint Strudthoff, sind die neuen Stromleitungen in Blumenthal ein Großprojekt. Er arbeitet für das Unternehmen, das die Summe am Ende bezahlt: Wesernetz, eine Tochter der Stadtwerke Bremen (SWB).
Dass sämtliche Baustellen nicht weit entfernt vom Woll-Kämmerei-Gelände sind, kommt nicht von ungefähr. Genau gegenüber ist nämlich eine Hochspannungsanlage, die den ehemaligen Industriestandort mit Strom versorgt. Die großen Firmen sind weg – „also“, sagt Strudthoff, „braucht es auch die Anlage nicht mehr“. Jedenfalls nicht diese. Wesernetz stellt um: von Hoch- auf Mittelspannung, von 110 000 auf 10 000 Volt. Strudthoff meint, dass die geringere Spannung für das jetzige Gewerbe auf dem Gelände ausreichend ist. Und auch ausreichen wird, wenn neue Firmen dazukommen.
Der Netzbetreiber hat es nachgerechnet: Rein theoretisch könnte die Anlage auch bleiben, müsste dann aber erneuert werden. Und das wäre teurer, als sie abzubauen und vor Ort 10 000-Volt-Leitungen zu verlegen, wie es jetzt vorgesehen ist. Dass die Kabel gleich mit ausgetauscht werden, erklärt Strudthoff mit ihrem Alter. Die 110 000-Volt-Leitungen haben sozusagen das Verfallsdatum erreicht. Wie alt sie genau sind, kann Strudthoff zwar nicht sagen, aber so ungefähr: „Zwischen 50 und 70 Jahre.“ Die beiden Zahlen nennt er oft. Es gibt viele Leitungen in Bremen, die so alt sind wie die Blumenthaler.
So viele, dass die SWB-Tochter künftig doppelt so viel Geld investieren muss wie bisher, um das Netz zu erneuern – 100 Millionen statt 50 Millionen Euro pro Jahr. Die Summe gilt für alles: Gas, Wasser, Strom. Christoph Brinkmann sagt, dass nicht nur bei den Bremer Stadtwerken die Ausgaben für neue Kabel und Rohre steigen. Der Sprecher des Mutterunternehmens nennt dafür einen simplen Grund. „In vielen Kommunen stammt das Versorgungsnetz größten Teils aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Also, meint er, haben viele Städte jetzt mehr zu sanieren, weil die Infrastruktur in die Jahre gekommen ist.
Wie oft am Strom-, Wasser- und Gasnetz mittlerweile gearbeitet werden muss, kann man im Internet sehen. Auf dem Portal von Wesernetz gibt es eine Liste von Bremer Straßen und Straßenabschnitten, die gerade Baustelle sind oder demnächst Baustelle werden. Mehr als 100 Einsatzorte weist allein die Statistik für Netzarbeiten aus, die im Januar begonnen haben beziehungsweise in diesem Monat beginnen sollen. SWB-Sprecher Brinkmann geht davon aus, dass die Liste der Straßen in Zukunft länger sein wird. Die Blumenthaler Baustellen sind wegen des verschobenen Starttermins noch nicht aufgeführt.
Und auch nicht die Projekte, die Wesernetz angehen wird, wenn die Arbeiten nahe der früheren Woll-Kämmerei abgeschlossen sind. Fast überall im Bremer Norden wird am Stromnetz gearbeitet. Alles in allem kommt das Unternehmen in den nächsten drei Jahren auf sieben Baustellen: in St. Magnus, Rönnebeck, Bockhorn, an der Turnerstraße, beim früheren Vulkan-Gelände, entlang der Straße Marschgehren. Mal geht es um eine Kabelstrecke von anderthalb Kilometern, mal von 200 Metern. Mal werden alte Leitungen ersetzt, mal ein Umspannwerk saniert. Oder eben abgebaut, wie demnächst in Blumenthal.
Die Anwohner werden zwar mitbekommen, dass demnächst am Stromnetz gearbeitet wird: An einigen Tagen müssen mehrere Straßen gesperrt werden. Aber die Umstellung von 110 000 auf 10 000 Volt werden sie nicht bemerken. Jedenfalls nicht dann, wenn alles glatt läuft. Womit Wesernetz-Mann Strudthoff fest rechnet. „Der Wechsel von Hoch- auf Mittelspannung“, sagt er, „betrifft allein die Betriebe.“ Geplant ist, die alten Kabel nachts vom Netz zu nehmen und die neuen weitestgehend in einem besonderen Verfahren zu verlegen, dass er Presstechnik nennt.
Statt überall die Straßen aufzureißen, sollen die Leitungen mit einem speziellen Gerät, das sich stoßweise durch den Boden schiebt, in Position gebracht werden. Wie oft das Pressverfahren zum Einsatz kommt und wie häufig der Bagger, kann Strudthoff noch nicht abschätzen. Nach seinen Worten sollen die Straßen aber so oft wie möglich unangetastet bleiben. Verlegt wird nicht ein einziges Kabel, sondern ein Dreierpack an Leitungen. Strudthoff sagt, dass das nicht vorsorglich passiert, falls mal eine Leitung ausfällt, sondern weil Drehstrom immer drei Leiter braucht.
Sicherer sind die Stromkabel aber trotzdem. Weil sie neu sind und damit widerstandsfähiger als alte. Die Zahl der Stromausfälle im Bremer Norden hält er für unauffällig. In den vergangenen beiden Jahren war es viermal zu einem Leitungsdefekt gekommen. Der längste Ausfall dauerte 19 Stunden. Nach Rechnung von SWB-Sprecher Brinkmann sind Bremer pro Jahr durchschnittlich zwölf Minuten ohne Strom. Er sagt, dass das ein guter Wert ist. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 15 Minuten.