Tobias Wilder arbeitet am Wasser, unter freiem Himmel, direkt an der Lesum. Hier im Grohner Jachthafen ist er sieben Tage die Woche – bei jedem Wetter. Seine tägliche Ausrüstung: ein selbst gebautes Lastenrad, Werkzeug und ein Mobiltelefon. Seit Anfang des Jahres ist der 42-Jährige der neue Betreiber der Bootstankstelle in der Lesum und zusätzlich Hafenmeister des Jachthafens. Seine private Nummer kennt mittlerweile jeder hier im Hafen, sagt er. Falls eine Reparatur nötig ist, ein Mast gesetzt oder ein Boot ins Wasser gelassen werden soll, ist Wilder gleich zur Stelle und radelt dorthin, wo seine Hilfe gebraucht wird.
Dass er einmal als Hafenmeister arbeiten werde, hätte er vor ein paar Jahren selbst nie gedacht. Der gelernte Tischler hat jahrzehntelang in der Küchenbranche gearbeitet, erzählt er. Wilder habe das Wasser stets geliebt und besitze auch einen Bootsführerschein. Als der alte Hafenmeister, Klaus Rieper, seine Arbeit aufgeben wollte, beschloss Wilder sein Nachfolger zu werden. Er kaufte die Tankstelle von Rieper ab und übernahm den Posten des Hafenmeisters.
„Ich habe damit den Weg in die Selbstständigkeit gewagt und viel investiert. Das ist natürlich auch ein Risiko“, sagt Wilder. Denn eine Bootstankstelle sei ein Saisongeschäft. Die meisten seiner Kunden lagern ihre Boote im Winter in entsprechenden Hallen ein und fahren nur im Frühjahr und Sommer auf das Wasser. „Die Tankstelle alleine funktioniert daher nur mit der Kombination des Hafenmeisters“, erklärt Wilder. „Nur damit kann man nicht genug Geld verdienen.“
Wilders Bootstankstelle, eine ehemalige Fähre, liegt bereits seit 1968 auf der Lesum, nur wenige Meter vom Grohner Jachthafen entfernt. Vom Land ist die schwimmende Tankstelle über eine Holztreppe und einen Steg zu erreichen. Am Wochenende sei die Tankstelle sehr gut besucht. Es kommt auch immer wieder vor, dass die Boote um die Tankstelle kreisen, wenn sie gerade besetzt ist, erzählt Wilder. Zweimal habe er darüber hinaus schon erlebt, dass seine Vorräte leer getankt wurden. „Ich hatte dann einfach nichts mehr da“, sagt Wilder. „Aber die meisten, die hier mit dem Boot vorbeikommen, sind in Ferienstimmung und sehr entspannt. Die legen dann ihr Boot im Hafen an und tanken einfach am nächsten Tag.“
An diesem Mittwochvormittag ist noch kein Kunde zu sehen. Ein Grund dafür: Wilders Tankstelle öffnet offiziell erst um 15 Uhr. „Wer gerne tanken möchte, kann mich auch vorher immer anrufen“, sagt Wilder. Seine Nummer steht auf einem Zettel, der an der Scheibe des kleinen, verglasten Tankhäuschens mit dem roten Dach steht, das an ein Wartehäuschen an einer Bushaltestelle erinnert.
Die Boote, die an der Tankstelle halten, können entweder Benzin oder biofreien Diesel tanken. Seine Kunden fahren von motorbetriebenen Schlauchbooten, die zehn Liter Benzin fassen können, bis zu größeren Booten, die um die 2500 Liter bunkern. Große Kunden seien unter anderem die Polizei und die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), auch die Seenotrettung tankt regelmäßig bei Wilder.
Im kleinen Tankhäuschen ist ein Tisch und ein Holzhocker zu sehen. Im Fenster stehen Chipstüten, Getränke und eine Reihe von Pflegeprodukten, wie Zahnpasta oder Shampoo, die die Kunden kaufen können. „Diesen neuen Service habe ich eingerichtet“, sagt Wilder. Neben dem Häuschen steht Eddie, eine männliche Schaufensterpuppe mit dunkler Sonnenbrille. Die Puppe trägt einen kleinen Bauchladen vor dem Körper, gefüllt mit Bier und Chips. Wilder habe ihn bei dem Online-Marktplatz Ebay gekauft. „Eddie arbeitet durch, lächelt, winkt und sieht dabei auch noch gut aus“, sagt der Tankwart und zwinkert.
Wilder verkauft in seiner Bootstankstelle unter anderem gekühlte Getränke, Kaffee und Eis. Jeden Sonnabendmorgen steht er außerdem in seiner Küche und brät selbst gemachte Frikadellen, die er zusätzlich anbietet. Seine Frau backe regelmäßig Käsekuchen. Es gebe bereits Kunden, die nur wegen des Käsekuchens mit ihren Tellern zu ihm kommen würden, gesteht Wilder. Auch an diesem Tag werde es wieder Kuchen geben, dieses Mal backe allerdings eine Nachbarin.
Wilder ist es wichtig, dass seine Tankstelle nicht nur ein Platz sei, an der man nur sein Boot tankt. „Es soll ein freundlicher Ort sein, an dem man gerne verweilt, ein Eis isst und einen Plausch hält“, sagt Wilder. „Es ist hier sehr viel persönlicher als bei einer Autotankstelle, man kennt die Gesichter. Ich möchte für meine Kunden da sein und bin nicht auf Profit aus. Das merken die Menschen auch, die zu mir kommen.“ Der gebürtige Bremer liebt daher seine neue Arbeit, sagt er. „Ich bin draußen, arbeite am Wasser und treffe nette Menschen. Die Gegend hier ist wunderschön und ich wohne nur ein paar Minuten mit dem Rad entfernt.“ Seine Familie – seine Frau und die beiden Kinder – kommen oft vorbei. „Die Kinder finden das toll, hier in der Natur zu sein. Es ist ja auch aufregend für sie und Eis bekommen sie auch noch.“
Die meiste Zeit sei Wilder allerdings nicht bei der Bootstankstelle, sondern auf dem Gelände des Grohner Jachthafens unterwegs. „Als Hafenmeister gibt es immer etwas zu tun“, sagt er. Es gebe keine Routine, das findet er gut. Jeden Tag komme etwas anderes auf ihn zu. In seiner Werkstatt auf dem Hafengelände repariert er etwa Motoren, schneidet Holzleisten, hilft mit Werkzeug aus. Er lässt Boote ins Wasser ein und hilft aus, wo er kann. Es komme auch immer wieder vor, dass jemand sich fest fahre, der Motor nicht laufe oder eine Kette im Propeller lande. Einmal in der Woche finde so ein „Hafenkino“ statt. „Manchmal weiß ich gar nicht, wie ich das Problem lösen kann“, gesteht Wilder. „Erst flucht man, aber dann probiere ich etwas herum. Und abends mache ich mir dann eine Dose Bier auf und bin einfach nur glücklich, dass ich auch das geschafft habe.“