Schönebeck. „Wenn man im Bett auf dem Rücken liegt, kann man in den Himmel blicken. Durch das Fenster in der Decke sieht man die grünen Äste sich im Wind wiegen. Die Wolken ziehen vorüber und manchmal wirft die Sonne ein paar warme Strahlen direkt aufs Bett.“ Wilhelm Freiherr von der Recke beschreibt in seinem Buch „Ein Geschenk des Himmels“ die Atmosphäre in einem Zimmer des Lilge-Simon-Stifts in Schönebeck, einem Hospiz. Die Entstehung des Hospizes ist der Schenkung einer Frau, der Ärztin Ruth Simon-Lilge, zu verdanken. Ihrem Leben ist der Autor Wilhelm Freiherr von der Recke nachgegangen.
Wer sterbenskrank ist und nur noch kurze Zeit zu leben hat, findet in einem Hospiz Geborgenheit und Fürsorge, aber auch Gesellschaft – der Hospizgedanke gründet sich aus dem Wunsch, Menschen ein würdiges Ende des Lebens zu bieten. Im Mittelalter waren Hospize noch christliche Herbergen, die Pilgern, Reisenden, Heimatlosen, aber insbesondere Kranken Schutz und Hilfe boten.
Die englische Krankenschwester und Ärztin Cicely Saunders gründete 1967 das erste Hospiz im heutigen Sinne und entwickelte im St. Christopher's Hospice in London das Konzept der Palliativmedizin und -pflege. In Bremen gibt es seit 2002 das stationäre Hospiz Brücke – „viel zu wenig für eine Großstadt wie Bremen“, schreibt von der Recke in seinem Buch. Seit dem 23. April 2014, dem Tag der Einweihung des Lilge-Simon-Stifts in Bremen-Nord existiert nun eine weitere stationäre Einrichtung, die der Autor wie in einem kurzen Rundgang beschreibt. Wer hier seine letzten Tage verbringt, wohnt in kleinen, aber großzügig ausgestatteten Appartements, die über eine eigene Terrasse verfügen.
Die Bremer Johanniter haben das Geld für das Hospiz Lilge-Simon-Stift völlig überraschend bekommen: Die Ärztin Ruth Simon-Lilge hatte in ihrem Testament ihr beträchtliches Vermögen dem Johanniterorden vermacht. Damit sollte ein Hospiz gebaut werden – allerdings verfügte sie, die gesamte Einrichtung müsse innerhalb von nur drei Jahren fertiggestellt werden. Das war zwar ein schönes Geschenk, aber auch eine Verpflichtung, die unter Zeitdruck setzte. Viel musste vor der Realisierung bedacht werden. Wo sollte man das Hospiz bauen? Wer würde das Ganze in die Hand nehmen?
Ein passender Standort war bald gefunden: Das Haus Hügel, „wie in den Dornröschenschlaf gefallen lag es da – mitten auf dem großen, baumbestandenen Grundstück an der Schönebecker Aue“, schreibt Wilhelm Freiherr von der Recke in seinem Buch. Sein Hauptaugenmerk richtet er jedoch auf das Leben von Ruth Simon-Lilge. Es sei eine mühevolle Arbeit gewesen, es zu rekonstruieren.
Doch ihr Testamentsvollstrecker Jörg Boehme hatte in seinem Keller Dokumente von ihr aufbewahrt: Briefsammlungen, Fotoalben, Merk- und Adressbücher. „Wie durch ein Schlüsselloch oder durch ein halb geöffnetes Fenster konnte man so von außen einen Blick in das Haus ihres Lebens werfen“, schreibt von der Recke.
Ruth Simon-Lilge wird 1920 in einer Welt familiärer Geborgenheit geboren. Ihre Kindheit ist wohl behütet, und sie lernt schon im Elternhaus das kulturelle Erbe der Menschheit schätzen, das sie später in Form einer großen Bibliothek sammeln wird. Ihr Studium der Medizin ab 1940 an der Universität Köln fällt in eine Zeit, in der es Pflicht ist, Vorlesungen über Vererbungslehre und Rassentheorie zu besuchen, eine Zeit, die schnell immer schrecklicher wird: Im Jahre 1942 wechselt Simon-Lilge an die Universität Bonn, wohl wegen der schweren Luftangriffe, denen Köln ausgesetzt ist.
Nach dem Krieg findet sie zunächst eine Anstellung in einer Frauenklinik, später in einer für Hals, Nasen und Ohrenheilkunde – ein Gebiet, auf das sie sich spezialisiert. Die erste Ehe scheitert, ihr zweiter Mann ist Arzt wie sie und eröffnet eine Praxis für Allgemeinmedizin, während sie als HNO-Fachärztin tätig ist, beide arbeiten in Bremen-Blockdiek.
Was war wichtig im Leben von Ruth Simon-Lilge? Neben dem Dienst am Menschen auch die bedingungslose Liebe, die man durch einen Hund erleben kann. Ihr ganzes Leben lang war sie von Hunden umgeben und sammelte Fotos in ihren Erinnerungsalben. Die abendländische Kultur von den Griechen bis in die Moderne war ihr vertraut, in Form von Literatur, Philosophie und Musik. Ihre Bücher- und Schallplattensammlung war gewaltig. Das Ehepaar war aber auch wohlhabend genug, sich eine kostbare Porzellan- und besonders Teedosensammlung anzulegen. In ihren Merkbüchern sammelte Ruth Simon-Lilge Aphorismen mit Lebensweisheiten – ein Trost einer verschlossenen Einzelgängerin, die ihr Leben mit einem zweiten Ehemann teilte, der wohl eher ein munterer und lebhafter Genießer war.
Wilhelm Freiherr von der Recke gelingt es in seinem Buch, aus trockenen Dokumenten ein lebendiges Bild der großen Wohltäterin zu zeichnen. Zahlreiche Fotos illustrieren den Lebensweg von Ruth Simon-Lilge, der eher bitter endete: Desorientiert verbrachte sie ihre letzten Tage in einem Heim in Vegesack. Doch andere Menschen sollten das Ende ihres Lebens besser verbringen dürfen, nicht zuletzt hatte sie auch den qualvollen Tod ihrer Mutter mit ansehen müssen. Solche Erfahrungen und die intensive Beschäftigung mit dem Tod ließen wohl den Wunsch entstehen, für ein Hospiz zu spenden, das auf das Ende eines Lebens wärmende Sonnenstrahlen wirft.
Weitere Informationen
Das Buch „Ein Geschenk des Himmels“ von Wilhelm Freiherr von der Recke ist 2018 in der Edition Hentrich erschienen und hat 96 Seiten. Es ist beim Herausgeber, dem Johanniterhaus Bremen, unter der E-Mail verwaltung@johanniterhaus-bremen.de zu beziehen.