Der Anrufer gibt sich als Notar aus Berlin aus. Er informiert die ahnungslose Seniorin, dass sie viel Geld gewonnen habe. Bei der Abwicklung des vermeintlichen Gewinns bekommt es die Frau mutmaßlich mit Mitgliedern der sogenannten Callcenter-Mafia zu tun. Ein Fall aus Brake.
"Das Verfahren wird bislang gegen unbekannt geführt“, sagt Mathias Hirschmann, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg. Opfer ist eine Endsiebzigerin aus der Stadt an der Unterweser. Als sie im vergangenen Herbst plötzlich von einem vermeintlichen Notarbüro am Telefon die Nachricht erhält, sie habe bei einem Gewinnspiel eines Verlags gewonnen, geht es um 150 000 Euro.
Die Frau hatte zwar nicht an einem Gewinnspiel teilgenommen. Aber dies sei auch nicht nötig gewesen, erklärte ihr nach Schilderung von Kommissarin Joana Breda der Anrufer. Es würde reichen, dass sie Mitglied dieses Verlags sei, um in die Auslosung zu kommen. Wie die Polizei sagt, gehen einer Tat unzählige Blindversuche voraus. Die Täter telefonierten ganze Viertel ab.
„Typisch für die Masche ist auch, dass ein Lügennetz aufgebaut wird“, sagt Joana Breda, die in der Abteilung Betrug der Polizei in Brake arbeitet. „Es ist meist ein ganzes Callcenter beteiligt.„ Sie geht wie ihre Kollegen von der Polizei in Bremen und Osterholz-Scharmbeck davon aus, dass hinter den Betrugsversuchen betrügerische Callcenter in der Türkei stecken. “Die Täter sind professionell geschult und übernehmen verschiedene Rollen. Einer ist Notar, einer Sparkassenangestellter.“ Aus Telefonaufzeichnungen weiß die Polizistin: „Die Anrufer klingen sehr freundlich, wissen aber auch, wie sie ihre Opfer unter Druck setzen können.“ Die Angerufenen werden beispielsweise darüber informiert, dass sie zwar „jederzeit von ihrem Gewinn zurücktreten könnten“. In dem Fall aber Verwaltungsgebühren anfallen, die sie zahlen müssen.
Auch der vermeintlichen Gewinnerin aus Brake wurde eine Telefonnummer eines vermeintlichen Kreditinstituts in Berlin mitgeteilt. Hier sollte die Frau Näheres zur Gewinnabwicklung erfahren. Weil sie die Berliner Vorwahl wählen musste, schöpfte sie keinerlei Verdacht. Joana Breda erklärt: "Die Betrüger arbeiteten oft mit Call ID Spoofing." Damit ist eine Methode gemeint, mit der Anrufe unter einer vorgetäuschten Nummer geführt werden können. Diese Methode werde auch oft in Zusammenhang mit der Masche falscher Polizist genutzt, ergänzt Jürgen Zimmer, Präventionsbeauftragter der Polizei in der südlichen Wesermarsch. Im Display des Opfers tauche in diesen Fällen die 110 auf. Betroffene sollten sofort misstrauisch werden: „Sie selbst können 110 wählen, aber Sie werden nie von 110 zurückgerufen."
Die Brakerin wurde laut Polizei bei der „Kreditanstalt“ angewiesen, zunächst knapp 3000 Euro für Transfergebühren nach Chile zu überweisen. Die Täter hatten der Frau erklärt, dass das Geld für den Gewinn aus Steuerersparnisgründen aus dem Ausland komme. Zudem wurde die Frau aufgefordert, Amazon-Gutscheine im Wert von 200 Euro zu kaufen. „Die Gutscheine hat sie gekauft. Hier laufen derzeit Ermittlungen über Amazon, ob diese Gutscheine eingelöst wurden“, berichtet der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Mathias Hirschmann.
Die Guthaben-Karten für Online-Käufe gibt es als Gutscheine an Tankstellen und in vielen Geschäften. Mit dem Gutschein erhält der Käufer eine PIN-Nummer, die quasi Bargeld ist. Wer die Nummer hat, kann damit im Internet einkaufen.„Es wird damit auch geguckt, wie weit das Opfer geht“, ist der Präventionsbeauftragte Jürgen Zimmer überzeugt. Der Polizist warnt explizit auch vor teuren Telefonschlaufen: Die Betrüger rufen ihre Opfer manchmal auch auf, kostenpflichtige Telefonnummern zu wählen, um sich den Anspruch auf den Gewinn zu sichern.
Doch den Gewinn erhalten die Opfer nie. Laut Polizei gehört das Vorgehen, immer neue Zahlungen vom Opfer zu verlangen, zur Masche. Zahlt das Opfer bereitwillig, meldeten sich die Täter wieder, um unter jeweils neuen Vorwänden weiteres Geld zu fordern. Gibt sich der Angerufene kritisch, drohen die Täter mit Konsequenzen. Im Zweifel gelingt es selbst hinzugerufenen Beamten nicht, weitere Zahlungen an die Betrüger zu verhindern. „Der Gewinn erscheint den Opfern quasi zum Greifen nah. Und bei Geld setzt das Gehirn bei vielen leider aus“, sagt Joana Breda.
Seit 2010 nimmt die Zahl der Strafanzeigen wegen telefonischer Gewinnofferten bundesweit kontinuierlich zu. „Auch in der Wesermarsch ist es deutlich mehr geworden. Manchmal haben wir in einer Woche drei bis vier Anzeigen“, sagt Jürgen Zimmer. Auffällig sei vor allem die Erfolgsquote der Täter. Sie liegt nach Polizeiangaben in Niedersachsen bei 923 Taten im Jahr 2019 und damit bei 26 Prozent. Im Jahr 2018 waren es 585 Taten mit einer Erfolgsquote von 32,14 Prozent. Die Schadenssumme beläuft sich demnach im Jahr 2018 auf 597 798 Euro, im Jahr 2019 (Stand 15. November) auf 530 865 Euro. Zum Vergleich: Die Erfolgsquote für „Falsche Polizeibeamte“ liegt im Jahr 2019 bei 1,2 Prozent und beim „Enkeltrick“ bei 6,6 Prozent. Bei allen drei Phänomenen lässt sich feststellen, dass die Täter mehr Anläufe, mehr Anrufe und somit mehr Versuchstaten benötigen, um ihr Vorhaben zu vollenden.
Die Täter, sind Kommissarin Joana Breda und ihr Kollege Jürgen Zimmer überzeugt, leben meist unter gefälschten Identitäten im Ausland und nutzen auch gefälschte IP-Adressen. „Wir gehen davon aus, dass das Ganze bandenmäßig organisiert ist. Die Ermittlungen haben ergeben, dass es 14 weitere Geschädigte bundesweit gibt, die ebenfalls, teilweise mehrfach, Geld an den Empfänger nach Chile überwiesen haben, in dem Glauben, Geld gewonnen zu haben“, berichtet die Mitarbeiterin des Kriminalermittlungsdienstes in Brake.
Jürgen Zimmer sagt, dass die Dunkelziffer viel höher ist: „Die meisten Leute sind nicht bereit, die Täter anzuzeigen.“ Dabei spiele auch Scham eine Rolle. Die Seniorin aus Brake war von den Tätern über mehrere Tage in Telefonate verwickelt worden und schließlich überzeugt, gewonnen zu haben.
Doch sie hatte Glück: Als sie die „Transfergebühren“ überweisen wollte, wurde sie von einer Bankangestellten angesprochen. Diese war misstrauisch geworden, dass ein derart hoher Betrag nach Chile geschickt werden sollte. Die Angestellte meldete die Angelegenheit der Polizei, die ein Ermittlungsverfahren in Gang setzte. Die Transaktion der vermeintlichen Gebühr fand ebenfalls nicht statt: Aufgrund eines Schreibfehlers der Mitarbeiterin bei der Überweisung konnte das Geld zurückgeholt werden.
So schützen Sie sich:
▪ Wenn Sie angeblich gewonnen haben, fragen Sie sich nach dem Grund für das Gewinnversprechen: Wie kann es sein, dass ausgerechnet Sie angesprochen wurden?
▪ Geben Sie keine persönlichen Daten wie Kontonummer oder Kreditkartennummer weiter
▪ Geben Sie kein Geld aus, um einen vermeintlichen Gewinn abzurufen; wählen Sie auch keine gebührenpflichtigen Sondernummern, die zum Beispiel mit der Vorwahl 0900…beginnen
▪ Notieren Sie Namen, Adressen und Telefonnummern und überprüfen Sie die Daten. Ist die angegebene Telefonnummer beispielsweise einer Sparkasse in Berlin tatsächlich mit der im Telefonbuch/Internet ausgewiesenen Nummer identisch?
▪ Rufen Sie im Zweifel direkt bei dem Unternehmen an, das angeblich ein Preisausschreiben veranstaltet hat
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In der Serie „Die Tricks der Täuscher" befassen wir uns mit den unterschiedlichen Deliktsmustern bei Betrug. Am kommenden Mittwoch, 19. Februar, geht es um Liebesbetrug.