Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Vor 100 Jahren wurde die Kleinbahn Farge-Wulsdorf GmbH gegründet / Stilllegung im Jahr 1964 Ein glückloses Bahnprojekt

Von Andreas Palme
21.09.2011, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Andreas Palme

Von Andreas Palme

Hagen. Vor 100 Jahren ist die Marsch an das landesweite Schienennetz angeschlossen worden. Mit der Gründung der Kleinbahn Farge-Wulsdorf GmbH führte eine 38,3 Kilometer lange Strecke von Bremen-Farge über Wurthfleth, Wersabe, Sandstedt und Stotel nach Wulsdorf. So sollte der wirtschaftliche Aufschwung auch in der sonst eher bäuerlich geprägten Marsch Einzug halten.

Nach der Eröffnung des ersten Abschnitts von Wulsdorf nach Stotel am 2. August 1911 nahm die Kleinbahn Farge-Wulsdorf ihren Betrieb am 5. September 1911 auf der gesamten Strecke auf. Bis heute zeugen Bauwerke in den Marschendörfern von diesen bahntechnischen Aktivitäten. Besonders in Sandstedt ist der gesamte Bahnhofsbereich noch vorhanden und die Straße "Am Bahndamm" erinnert an die Eisenbahn. Im weiteren Verlauf ist die Bahntrasse nach Rechtenfleth noch zu erkennen, der Rechtenflether Bahnhof ist schon längere Zeit Gemeindeeigentum und wird privat bewohnt.

Insgesamt hat sich das Bahnprojekt jedoch nicht bewährt. Die Weltkriege raubten der Bahngesellschaft Personal und Material und der Siegeszug der Motorisierung ließ nach dem Personen- auch den Güterverkehr versiegen. So wurde der Betrieb der Niederweserbahn am 26. September 1964, also 53 Jahre nach Betriebseröffnung eingestellt. Die Gleise wurden abgebaut und die Anlagen anderen Zwecken zugeführt.

Bürgerproteste gegen die Bahn

"Die Kleinbahn Farge-Wulsdorf übernimmt die Beförderung von Personen, Reisegepäck, lebenden Tieren und Gütern" lautete der offizielle Text zur Eröffnung der Bahn am 2. August 1911. Die Bahn wurde nach dem preußischen Kleinbahngesetz von 1892 mit öffentlichen Geldern gebaut. Zum Bau wurde eine GmbH gegründet, deren Gesellschafter neben dem preußischen Staat und der Provinz Hannover das preußische Blumenthal im Süden und Wulsdorf im Norden waren.

Auch die Gemeinden am Schienenstrang zeichneten Aktien um die Baukosten in Höhe von 1,8 Millionen Mark aufzubringen. Um eine größere Wirtschaftlichkeit zu erzielen, verlegte man schon damals Schienen mit Regelspur um das rollende Material der vorhandenen Bahnen nutzen zu Können.

In den Anfangsjahren der Bahn stellte sich ein wirtschaftlicher Aufschwung entlang der Strecke ein. Konnten doch landwirtschaftliche Produkte und Baustoffe aus der Marsch leichter zu den Kunden in der Stadt gelangen und die Dorfbevölkerung erhielt Erzeugnisse aus der Stadt. Ein reger Handel entwickelte sich bis zum Ersten Weltkrieg, die Bahn beschäftigte etwa 50 Mitarbeiter. Werner Mörig aus Sandstedt erinnert sich an die Erlebnisse seines Vaters zur Bahneröffnung. "Viele Anlieger wollten keine Eisenbahn haben, es gab schon damals Proteste gegen die Dampfloks wegen der Feuergefahr", sagte Werner Mörig.

Durch die Folgen des Ersten Weltkrieges und die sich anschließende Weltwirtschaftskrise kam die Kleinbahn in finanzielle Bedrängnis. Kurzzeitig sorgten Kiestransporte zur Columbuspier noch für steigende Transportzahlen, doch die Bahn war nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Seit 1930 betrieb die Bahngesellschaft schon einen Omnibusbetrieb zwischen Farge und Sandstedt, am 1. September 1938 wurde die Strecke von Farge bis Sandstedt stillgelegt. Die Bahn büßte mit 17,54 Kilometern fast die Hälfte ihrer Länge ein.

Auch der Zweite Weltkrieg ging nicht spurlos an der Kleinbahn vorbei. Erst fehlte es an Personal und Brennstoff, dann wurde Wesermünde von Fliegerbomben stark zerstört. Ein starker Anstieg des Personenverkehrs verbesserte die Lage und 1947 hatte die Kleinbahn wieder 35 Beschäftigte. Diese Zeit hat Werner Mörig selbst erlebt und berichtet, dass "die Flüchtlinge und die Arbeiter für den Wiederaufbau die Bahn stark frequentierten".

Auch sein Weg zur Schule in Bremerhaven verlief nicht immer unfallfrei. Mörig hat einige Zugentgleisungen und Zusammenstöße von Zügen und Autos miterlebt. "Meist warteten wir stundenlang, bis der Zug wieder auf der Schiene stand", erinnert sich Werner Mörig.

Am 21. Januar 1949 änderte sich der Name der Kleinbahn in "Niederweserbahn", da die Strecke ja schon geraume Zeit in Sandstedt endete. Nun wurde Sandstedt zum Betriebsmittelpunkt der "Niederweserbahn". Ein Lokschuppen für die Dampflok und die Triebwagen wurde errichtet, die Fahrgastzahlen aber sanken stetig. "Die Bahn hat mit dem Schottertransport für den Straßenbau ihr eigenes Grab geschaufelt" berichtet der damalige Angestellte Johann Lüdemann aus der Bahnverwaltung 1960.

Das Fehlen von Fahrgästen und das geringe Güteraufkommen in der Nachkriegszeit führte schließlich zur Stilllegung der "Niederweserbahn" am 26. September 1964. Auch hier wurde das Schienenmaterial komplett entfernt. Heute stehen Busse der Firma Sielemann-Giese im Lokschuppen und bedienen die Linie 570 nach Bremerhaven. Das Busunternehmen kaufte die Fläche des Betriebswerkes schon 1964 und nutzt sie bis heute als Parkplatz mit Werkstatt.

Auch die Straße "Am Bahndamm" erinnert an den Gleisverlauf vor einhundert Jahren. Der Rechtenflether Bahnhof ist seit der Bahnauflösung in Gemeindebesitz. Vor acht Jahren mietete Frank Wieland das marode Kleinod und renovierte es weitreichend. "Diese tolle Lage hat es mir angetan", sagt Frank Wieland und möchte hier nicht mehr wegziehen. Der Bremerhavener lebt hier seine "künstlerische Ader" aus und hat das Gebäude in Holzfachwerkbauweise erhalten.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)