Bremen-Nord. Am liebsten schickt Urte Kortjohann ihre Augen in die Welt hinaus. Für rund drei Monate im Jahr hat sie beruflich die Gelegenheit dazu. Normalerweise. Aber die Pandemie hat dieses Normal auf den Kopf gestellt. Ferne Ziele sind erstmal gestrichen. China, Brasilien, USA müssen warten. Die Welt, der Urte Kortjohann in Corona-Zeiten ihren Blick schenkt, heißt Bremen-Nord. Weil sie nicht reisen kann, entdeckt die 46-Jährige ihren Lebensort noch einmal neu. Durch ihre Kamera, die rund um den Globus schon so viele Eindrücke gesammelt hat. Eine überbordende Fülle an Farben und Formen. Vielleicht liegt es daran, dass sie vor der eigenen Haustür nicht spontan ins Jubeln kommt. „Bremen-Nord“, sagt sie, „ist eine Herausforderung.“
Auf den ersten Blick ganz sicher. Die Tage grau und trüb, das Wetter ungemütlich, die Farben der Natur erdig. Braun und Grün haben es schwer, dem Betrachter ein Strahlen abzuringen. Zumal Urte Kortjohann mit ihrer Kamera am liebsten besondere Landschaften und Architektur festhält. Häfen, Brücken, U-Bahn-Stationen. Hingucker wie die sanften und von Riefen durchzogenen Hügel einer Wüste. Oder die langen Gänge einer der größten Moscheen der Welt in der Hauptstadt des Oman. Nur zwei von vielen wirkungsvollen Aufnahmen, die der Nordbremerin schon einige erste, zweite und dritte Preise bei internationalen Fotowettbewerben bescherten. Etliche Fotos zieren außerdem Kalender, die übers Internet zu haben sind. Ihr Hobby sei „gar nicht so unerfolgreich“, sagt sie bescheiden. Das Titelbild eines englischen Foto-Magazins „war bisher das Highlight meiner Karriere“.
Diese Karriere läuft eher nebenbei. Urte Kortjohann hat einen ausfüllenden Job. Die Elektrotechnik-Ingenieurin ist für ihren Arbeitgeber, das Unternehmen Thyssen-Krupp in Farge, mehrere Monate im Jahr zur Inbetriebnahme der Anlagen im Ausland unterwegs. Eine 60-Stunden-Woche sei dabei keine Seltenheit, berichtet sie. Aber an den freien Sonntagen zieht sie dann zum Ausgleich mit der Kamera los. „Ich bin keine Hotel-Hockerin, ich muss raus.“ Die Augen auf Wanderschaft schicken. Erspähen und mit nach Hause bringen, was der jeweilige Flecken Erde zu bieten hat. Was typisch ist oder atemberaubend. Als Urte Kortjohann in Brasilien durch Sao Carlos schlenderte, erblickte sie durch die Scheibe eines Friseurladens einen Herrenfriseur bei seiner Arbeit. Per Handzeichen verständigte sie sich mit ihm und erhielt die Erlaubnis für eine atmosphärisch dichte Aufnahme einer Alltagsszene, „die vertraut und gleichzeitig antiquiert wirkte“. Die Fotografin hatte sich deshalb bei der nachträglichen Bearbeitung der Aufnahme für eine Schwarzweiß-Darstellung entschieden.
Auf der ganzen Welt unterwegs
Die Lust am Reisen und die Freude am Fotografieren – beides hatte Urte Kortjohann vor rund 30 Jahren gepackt. „Das Reisen war eine große Leidenschaft“, blickt sie zurück. Ein Praxissemester während des Studiums führte sie nach Island. Als das Studium beendet war, folgten „Work and Travel“ in Neuseeland. Und bevor sie ihre Stelle in Bremen-Nord antrat, arbeitete die gebürtige Hambergerin zur Überbrückung drei Monate lang in Finnland. Die Welt stand der Elektrotechnik-Ingenieurin auch weiterhin offen. Ihr Beruf führte sie nach Südkorea, China und Russland, durch Europa und Amerika. Immer mit im Gepäck: Kamera und Stativ. Von der analogen Spiegelreflexkamera ihrer Jugendzeit ist sie längst ab. „Ich fotografiere digital, das ist reizvoller.“ Außerdem erleichtere es den Lernprozess. Am Fotografieren reizt sie auch, sich weiterzuentwickeln. Regelmäßig pflegt sie den Austausch beim Foto-Stammtisch Osterholz-Scharmbeck und bei der Foto-Gruppe Ritterhude.
Welche Kameraeinstellung zu welchen Ergebnissen führt, kann die Fotografin beim digitalen Fotografieren schnell nachvollziehen. Für ihre Aufnahmen verwendet sie eine Systemkamera von Olympus. Das überschaubare Equipment komme ihr auch bei den Reisen entgegen. „Meine Bilder entstehen im Roh-Format“, erklärt Urte Kortjohann. „Die Kamera bearbeitet die Bilder dabei nicht. Das mache ich erst später am Computer. Für mich sind die Bilder Kunst.“ Gerade die Kombination aus Technik und künstlerischer Veränderung übe auf sie einen besonderen Reiz aus, fügt sie hinzu. Urte Kortjohann liebt die Tüftelei am optimalen Bild. Nicht selten spielen HDR-Aufnahmen dabei eine Rolle – eine Reihe aus drei Bildern, eines normal belichtet, eines überbelichtet, eines unterbelichtet. Am Computer füge sie alle drei Aufnahmen zusammen, wobei das Bearbeitungsprogramm aus jedem Bild das Optimum heraushole. Bevor die Fotografin das Ergebnis dann noch nachbearbeitet. In den sozialen Medien sind die Ergebnisse unter dem Stichwort „Urte Kortjohann Photography“ zu sehen.
Darunter nun auch die Impressionen aus Bremen-Nord. Denn auf den zweiten Blick hat Urte Kortjohann zur Blauen Stunde selbstverständlich manch Anregendes entdecken können. Erst kürzlich hatte DIE NORDDEUTSCHE eine farbenfrohe Langzeitaufnahme von der Ankunft einer Fähre am Vegesacker Anleger abgedruckt. Wieder die Titelseite, wieder ein Highlight für die Nordbremerin.