Günter Lauer sagt, alles probiert zu haben: Zweimal wollte er sich jetzt vor der Grippe schützen lassen – und jedes Mal wurde er vom Empfangspersonal seines Hausarztes vertröstet. Kein Impfstoff, kein Termin. Zumindest in diesem und im nächsten Monat nicht. Lauer soll es im Dezember noch einmal versuchen. Der Osterholzer ist nicht der einzige, der warten soll, obwohl er eigentlich nicht warten will. Er gehört zur Risikogruppe.
Auch Wilfried Liesenhoff zählt sich zu ihr. Wie Lauer ist er über 70. Der Blumenthaler glaubt, dass er Glück hatte: Als er vor drei Wochen bei seinem Arzt war, bekam er noch eine Spritze gegen Grippe. Als er jetzt wieder bei ihm war, las er auf einem Infoblatt, dass der Impfstoff momentan aus ist und sich Patienten gedulden müssen. Auch seiner Frau, die zu einer anderen Praxis geht, wurde das gesagt. Sie soll frühestens Mitte November nach einem neuen Termin fragen.
Liesenhoff und Lauer lassen sich jedes Jahr impfen. Sie wissen deshalb, dass jetzt die beste Zeit ist, sich gegen Grippe zu schützen. Weil der Impfstoff nicht sofort wirkt, ist jeder Monat, der länger gewartet wird, aus ihrer Sicht deshalb ein schlechter Monat – und der Aufruf des Bundesgesundheitsministers, sich impfen zu lassen, weil der Schutz in diesem Jahr wichtiger denn je ist, irgendwie ein schlechter Scherz, wenn der Impfstoff gleichzeitig rar ist.
Isabel Justus sagt nicht rar, die Geschäftsführerin der Bremer Apothekerkammer spricht stattdessen von Lieferdellen. Und die, meint sie, können immer mal vorkommen. Ihr zufolge hat die Bundesregierung wegen Corona die Zahl der Impfdosen erhöht, nur könnten die nicht auf einen Schlag geliefert werden. Außerdem, sagt Justus, ist in diesem Jahr aufgrund des neuartigen Virus früher mit dem Impfen begonnen worden als sonst. Mit der Folge, dass die Kapazitäten zurückgehen.
Empfehlung mehr Impfdosen bestellen
Nach ihren Worten heißt das aber nicht, dass kein Impfstoff mehr nachkommt. Und auch nicht, dass alle Praxen gleichermaßen betroffen sind. Das kann sich Christoph Fox ebenfalls kaum vorstellen. Der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Bremen sagt, dass den Medizinern frühzeitig empfohlen wurde, wegen der Pandemie mehr Impfdosen zu bestellen – und dass sie sich, wie eine Umfrage ergeben hat, auch daran gehalten haben. Laut Fox sind die Kapazitäten um bis zu 20 Prozent erhöht worden.
Yvonne Böttcher hat mehr gemacht als das. Die medizinische Fachkraft einer Blumenthaler Praxis orderte nicht nur zusätzlichen Impfstoff, sondern auch deutlich früher als in den Jahren zuvor. Sie sagt, dass die neuen Dosen bereits vorbestellt worden sind, als die alten für die vorherige Grippesaison noch nicht komplett verbraucht waren. Darum, erklärt Böttcher, hat die Praxis noch Impfstoff – nicht für jeden, aber zumindest für alle, die in der Patientenkartei sind.
Auch Christian Wagner hat früher und mehr bestellt als sonst. Der Vegesacker Kinderarzt kommt auf ein Plus, das deutlich über der 20-Prozent-Marke liegt. Doch auch wenn er die Marge mehr als verdoppelt hat und sich daran hält, was das Ministerium empfiehlt – nämlich vorrangig Risikopatienten und deren Angehörige zu impfen – , geht der Vorrat allmählich zur Neige. Wenn demnächst kein Nachschub kommt, meint Wagner, ist spätestens in der übernächsten Woche Schluss.
Bisherige Chargen reichen nicht mal für alle Risikopatienten
Rentner Lauer sagt, dass es für ihn nur ein schwacher Trost ist, dass die Engpässe nur vorübergehend sein sollen. Der Osterholzer kann nicht verstehen, dass die Bestände in manchen Praxen schon jetzt so weit zurückgehen, obwohl die Pharmakonzerne frühzeitig wussten, mehr Impfstoff herstellen und ausliefern zu müssen. Und dass die bisherigen Chargen nicht mal für alle Risikopatienten reichen, wenn sie eigentlich als Erste vor der Grippe geschützt werden sollen.
Um Antworten zu bekommen, hat Lauer eine Apotheke im Ort angerufen und beim Gesundheitsamt des Kreises. Doch weil ihn das auch nicht weiterbrachte, will er jetzt etwas anderes versuchen: dem Bundesgesundheitsminister schreiben. Jens Spahn soll sagen, wie sich jemand schützen soll, der keinen Schutz bekommt – und wie der CDU-Politiker eigentlich darauf kommt, fürs Impfen zu werben, wenn es nicht überall Impfstoff gibt.