Die zehn Mädchen und Jungen der Klasse 4b aus der Grundschule Farge-Rekum haben sich bestens auf den hohen Besuch vorbereitet. Doch wenn einem die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft höchstpersönlich gegenübersteht, kann es schon mal passieren, dass der gelernte Text nicht gleich flüssig über die Lippen kommt. Das Lampenfieber währt indes nur kurz. „Wir möchten ihnen heute unsere Hörstationen für Kinder vorstellen“, erklärt Ben und drückt Antje Grotheer ein paar Kopfhörer in die Hand. Eine kleine Hörprobe für die Bürgerschaftspräsidentin, bevor sich die Schüler mit ihr aufmachen zu einzelnen Stationen des Rundgangs am Denkort Bunker Valentin in Farge.
Kinder erzählen Kindern über den Bunkerbau und die Menschen, die dort als Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg schuften mussten, das ist die Idee des im Oktober 2017 gestarteten Projektes. Die Schüler der Klasse 4b sind seit einem Jahr dabei. Unter Anleitung von Adrienne Körner und Petra Maurer, die als pädagogische Mitarbeiterinnen am Bunker tätig sind, haben sie eigene Texte verfasst und in einem Tonstudio aufgenommen. Sieben Hörstationen mit kindgerechten Informationen über die Betonmischanlage, die Bunkerbucht, das Mahnmal, das Tauchbecken, den Ruinenteil und den Depotbereich sowie über den ehemaligen französischen Zwangsarbeiter Raymond Portefaix sind laut Körner inzwischen fertig. Weitere sollen folgen.
„Die Menschen, die am Bunker arbeiteten, bekamen wenig zu essen. Manche wogen nur 40 Kilogramm und mussten 50 Kilogramm schwere Säcke schleppen“, erzählt Lana an der Hörstation bei der ehemaligen Betonmischanlage. „Die Arbeiter bekamen nur etwas Brot, dünne Suppe und Kaffee-Ersatz“ ergänzt Emily. Grotheer hört interessiert zu, fragt: „Wo haben die Menschen denn geschlafen?“ Emily: „Es gab Lager, da wurden sie mit der Bahn hingebracht, oder sie mussten laufen.“
Auf dem Weg in den Ruinenteil machen die Schüler vor einem historischen Foto entlang des Rundweges Halt. Es zeigt die Bunker-Schleusenkammer im Bau. „Der Fotograf Johann Seubert, ein NSDAP-Mitglied hat 968 Fotos von der Bunker-Baustelle gemacht. Die Lebensbedingungen der Arbeiter kamen darin aber nicht vor“, erfährt Antje Grotheer. Durch den Ruinenteil mit den Löchern, die britische Bomben in der Betondecke gerissen haben, geht es zum ehemaligen Sammelplatz vor der früheren Kantine. „Hier wurden Arbeiter mit Peitschen geschlagen, wenn sie was falsch gemacht hatten“, erzählt Ben. Manche zum Beispiel dafür, dass sie sich aus Papiersäcken Schutzkleidung fertigten. Am Mahnmal vor dem Bunker versuchen Schüler und Bürgerschaftspräsidentin gemeinsam die verschiedenen Sprachen der Herkunftsländer der Zwangsarbeiter auf den Gedenktafeln zu identifizieren. Ob die Audio-Guide-Texte der Kinder auch in andere Sprachen übersetzt werden, will Grotheer wissen. „Bei der Fortsetzung des Projektes ist das eine Überlegung“, sagt Adrienne Körner.
„Wenn ich in einem Museum bin, benutze ich immer Audio-Guides für Kinder. Die finde ich viel besser, als die für Erwachsene“, verrät die Bürgerschaftspräsidentin den Kindern. „Auf das, was ihr hier gemacht habt, könnt ihr stolz sein“, zollt sie den Schülern ein dickes Lob. „Bei Besuchen in anderen Schulen werde ich von eurem Projekt berichten und dazu einladen, den Bunker zu besuchen.“
Der Besuch des Denkortes mit der Vorstellung des Schülerprojektes, das sei ihr eine „echte Herzensangelegenheit“, sagt Antje Grotheer. Dafür nimmt sie sich an diesem Mittwoch über eine Stunde Zeit, bevor es weitergeht zum nächsten Termin in Vegesack. An der Alten Hafenstraße besucht die Bürgerschaftspräsidentin das Feinkosthaus Scharringhausen, alteingesessen seit 1862. Schon ihr Amtsvorgänger, der verstorbene Christian Weber, besichtigte Traditionsbetriebe. Grotheer setzt das fort. In fünfter Generation führen Simone und Jürgen Scharringhausen den Familienbetrieb. Der Firmenchef erzählt, wie das Unternehmen mit seinen insgesamt fünf Mitarbeitern es schafft, sich gegen Konkurrenz, Supermärkte und Fastfood zu behaupten. Mit ausgewählten Delikatessen von Manufakturen und kleinen Produzenten, einer Produktvermarktung, die auch online läuft, mit Informationen zu den Produkten und immer wieder mit neuen Ideen.
Ein Renner: die „Vegesacker Kiste“, die gefüllt mit Feinschmecker-Leckereien nach Wahl versandt wird. „Das wäre auch eine prima Geschenkidee für Staatsgäste, die nach Bremen kommen“, überlegt Grotheer laut. Seit zwölf Jahren können Kunden bei Scharringhausen zwischen Wein, Pasta, Maniche-Nudeln und Trüffel-Risotto wählen, zudem Frühstücken und Mittag essen. Über die Grenzen Bremens hinaus bekannt ist das Feinkosthaus vor allem für seine Fischdelikatessen, davon hat auch Grotheer schon gehört.
Die Bürgerschaftspräsidentin darf gleich mal kosten: Flusskrebssalat mit frischem grünen Spargel. „Ich esse gerne und koche auch gerne“, verrät die 52-Jährige bei der Gelegenheit. Jürgen Scharringhausen spricht auch Probleme an, die ihm als Einzelhändler zu schaffen machen. Auszubildende zu finden, sei schwierig. „Die langen Arbeitszeiten im Handel sind der Knackpunkt.“
Antje Grotheer ist seit ihrem Amtsantritt am 27. März nicht zum ersten Mal in offizieller Mission im Bremer Norden unterwegs. „Für mich ist es wie nach Hause kommen“, sagt die gebürtige Marßelerin. Erst vergangenen Freitag war die Juristin in ihrer alten Heimat zu Gast: als Schirmherrin beim „Marßeltag“. Dem Ortsteil ist sie bis heute verbunden. „In der Sportgemeinschaft Marßel bin ich seit fast 50 Jahren Mitglied.“