Landkreis Diepholz. Restaurants sind inzwischen wieder Orte der Begegnung, in Schulen hat der Präsenzunterricht wieder für alle Jahrgänge gestartet und Sportvereine treffen sich zum gemeinsamen Training – während der Alltag allmählich unter Einschränkungen wieder hochfährt, sind die Hospizvereine im Nordkreis dagegen von den Lockerungen kaum betroffen und haben weiterhin mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen.
Denn Senioren- und Pflegeheime zählen zu den Arbeitsschwerpunkten, doch wegen der strengen Besuchsbeschränkungen ist die Sterbebegleitung hier seit mehr als drei Monaten ausgesetzt. Ob es da keine Ausweichmöglichkeiten gibt? „Wir haben versucht zu telefonieren und zu schreiben“, sagt Karin Meiners vom Hospiz Weyhe. Gerade für Menschen mit Demenz seien aber die technischen Hilfsmittel keine wirkliche Lösung, viel mehr würden sie dadurch verunsichert: „Sie brauchen Struktur, müssen und möchten berührt werden. Das ist ganz wichtig, um wahrzunehmen“, erklärt Meiners. Die Sterbebegleiter seien zudem sonst oft in Einrichtungen im Einsatz, wenn die Betroffenen keine oder nur wenige Angehörige haben.
Sterbende Menschen nur am Telefon zu begleiten, ist auch eine Methode, mit der sich Meiners – ebenso wie ihre Kollegen – nicht wirklich anfreunden kann. „Man muss da und vor Ort sein“, betont sie. Hinzu komme, dass die Sterbebegleiter oft auch als Ansprechpartner für Angehörige fungieren oder gar als Mittler. Als Beispiel nennt Meiners eine Abwehrhaltung, den betroffenen Menschen nicht gehen lassen zu wollen. „Das verlängert oft das Leiden“, betont sie. Auf der anderen Seite falle es den Sterbenden schwer zu gehen, wenn noch nicht alles gesagt sei. „Wir sind auch Mittler, dass sie zueinanderfinden“, sagt Meiners.
Sterbebegleitungen in den eigenen vier Wänden sind dagegen noch möglich, sofern alle Hygienevorgaben eingehalten würden. Die Trauergruppen indes fallen derzeit weg. Wie schwerwiegend die Kontaktbeschränkungen auch für junge Menschen sein können, hat Claudia Kemper vom Hospizdienst in Bassum in den vergangenen Tagen selbst erlebt: In einer Familie starb der Mann, die Frau war mit den beiden Kindern allein, blieb ohne professionelle Begleitung. Lediglich telefonische Hilfe wäre möglich gewesen, was die trauernden und aufgebrachten Kinder jedoch ablehnten. Kemper fuhr schließlich zu der Familie, um vor Ort zu helfen. In einem anderen Fall musste eine Frau alleine stundenlang im Krankenhaus warten, um ihren Mann, der gerade die Diagnose „Krebs“ bekommen hatte, zu sehen. „Ich durfte nicht hin und musste warten, bis sie zu Hause waren. In so einer katastrophalen Situation ist das nicht hilfreich“, merkt Kemper an.
Ihr hat in den Debatten um Kontaktbeschränkungen die Abwägung der Folgen und teilweise auch das Fingerspitzengefühl gefehlt. „Es kann nicht sein, dass Kinos und Fitnessstudios wieder öffnen, aber wir bleiben auf der Strecke“, kritisiert Kemper. Sie habe auch versucht, alle Beteiligten an einen runden Tisch zu bekommen, um zu besprechen, „wie wir bei aller Vorsicht psychosoziale Begleitung ermöglichen und bei Leid, Sterben und Trauer begleiten“. Doch vergeblich: Bislang habe sie dazu keine Rückmeldungen erhalten. Dabei verfügten die Hospizvereine und -dienste über professionelle Kompetenzen in ihren Teams.
Trotz ihrer Kritik an den Kontaktbeschränken will aber auch Kemper die Gefahr des Coronavirus nicht verharmlosen oder kleinreden, wie sie klarstellt. Im Gegenteil: „Die Situation ist nicht vorbei, ein Hotspot kann auch hier entstehen.“ Deshalb sei es nun wichtig, sich ernsthaft Gedanken zu machen, wie die psychosoziale Versorgung auch in akuteren Situationen sichergestellt werden könne. Denn die Gesellschaft werde mit dem Virus leben müssen. Um ihre Argumentation zu unterstreichen, führt Kemper an, dass den Betroffenen laut einer Studie psychosoziale Begleitung und Seelsorge am wichtigsten seien. Wenn derzeit schon keine Berührungen mehr möglich sind, sei das persönliche Gespräch umso wichtiger – und auch eine Befreiung für die Angehörigen.
Wie belastend die ganzen Einschränkungen auch für alle Beteiligten sein können, hat Kemper selbst als Angehörige erfahren, als sie ihre Mutter in einem Pflegeheim in Ostwestfalen besuchte. „Ich durfte sie nur unter Aufsicht 30 Minuten lang sehen. Die Menschen dort leiden“, sagt sie. Dabei gebe es doch Schutzkleidung und Möglichkeiten, das Infektionsrisiko gering zu halten.
Ursula Krafeld vom Hospizverein Stuhr verweist neben der Belastung für die Familien auch auf die persönliche Beziehung zwischen Sterbenden und ehrenamtlichen Begleitern. „Man hat eine Beziehung aufgebaut und der Kontakt wurde abrupt abgebrochen. Sie verstehen nicht, wieso der Besuch nicht mehr kommt“, schildert sie. Das sei für beide Seiten eine belastende Situation. In Krankenhäusern und anderen Einrichtungen wie Heimen entstünden dadurch bei einigen Menschen große seelische Belastungen. Wie Kemper bewertet auch sie kritisch, dass die Einschränkungen beschlossen wurden, ohne die Betroffenen zu fragen: „Sie haben ganz andere Sachen überstanden und brauchen es, mal rauszugehen und eine Tagesstruktur.“ Für manche wäre mal ein Spaziergang wichtiger gewesen als die Sorge, zu erkranken. So drohe dagegen Vereinsamung.
Ähnlich kritisch sehen die Hospizvereine, wenn Beerdigungen nur eingeschränkt abgehalten werden können. „Bestattungen sind immer eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen und Trauer zu verarbeiten“, sagt Krafeld. Derzeit fehlten alle diese sozialen Stützen, die etwa auch die Trauercafés gebracht hätten. „Weinende nicht in den Arm nehmen zu können, ist schrecklich. Trost geht über Berührung“, führt sie weiter aus.
All das seien gravierende Einschnitte und belastende Situationen. „Das macht was mit Menschen“, fürchtet sie. Umso wichtiger sei es, dass die Hospizvereine jetzt nicht abtauchten. Deswegen ist in Stuhr die Sprechstunde weiterhin jeden Donnerstag von 15 bis 17 Uhr geöffnet, Hygiene- und Abstandsregeln könnten hier eingehalten werden. Um auch Trauernden wieder einen Raum zu bieten, hat sich Claudia Kemper in Bassum ebenfalls eine Lösung einfallen lassen. „Ich habe die Gruppe zu mir eingeladen“, sagt sie. Mit Bierzeltgarnituren ließen sich die Auflagen ebenfalls einhalten und hoffentlich lasse sich dabei auch eine vertrauensvolle Atmosphäre erzeugen. „Für viele ist es der einzige Ort, um offen über ihren Schmerz zu sprechen. Ich verstehe nicht, wie man das so aus dem Blick verlieren kann“, sagt Kemper.