Bremen-Nord. Volle Wartezimmer, keine freien Termine, zumindest nicht in absehbarer Zeit – Nordbremer Kinderärzte kennen es nicht anders. Seit Jahren fordern sie deshalb ein Plus an Praxen für Blumenthal, Burglesum und Vegesack. Das gibt es zwar immer noch nicht, dafür aber mittlerweile etwas anderes: zusätzliche Mediziner, die in Praxen niedergelassener Ärzte arbeiten. Für Christian Wagner ist das eine gute Nachricht, wenngleich er sich eine bessere erhofft hat. Der Obmann der Nordbremer Kinderärzte will eigentlich mehr.
Dabei hat die Kassenärztliche Vereinigung im Grunde gemacht, was Wagner vor Jahren vorgeschlagen hat: den Bedarf an Medizinern anders zu ermitteln als bisher, vor allem kleinteiliger und damit genauer. Statt die Stadt als Ganzes zu bewerten, wurde sie für eine Analyse zum ersten Mal aufgeteilt – in Bremen-Nord und Bremen-Stadt. Auch Hamburg hat das für seinen Bedarfsplan getan. Mit dem Unterschied, dass die Millionenmetropole geviertelt und nicht in zwei Teile getrennt wurde. Heraus kam dort, dass die Zahl der niedergelassenen Kinderärzte keineswegs ausreicht. Mittlerweile gibt es in Hamburg fast zehn Praxen mehr.
In Bremen fällt das Ergebnis der Analyse weniger drastisch aus, reagiert werden musste aber trotzdem: Nordbremer Kinderärzte, sagt Christoph Fox, haben noch mehr zu tun als ihre Kollegen in anderen Teilen der Stadt. Der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung begründet das mit der Zahl der Einwohner, die in Blumenthal, Burglesum und Vegesack durch Zuzüge und Geburten deutlicher gestiegen ist als beispielsweise in Schwachhausen, Horn-Lehe oder der Neustadt – und belegt damit, was Wagner und andere Nordbremer Kinderärzte schon seit Jahren sagen, damit endlich weitere Praxen zugelassen werden.
Um die Mediziner zu entlasten, gibt es jetzt zwei Ärztinnen für Kinderheilkunde mehr im Norden der Stadt. Unterm Strich ist das Plus an Medizinern allerdings nur halb so groß: Britta Hartmann und Daniela Olatunji, so heißen die beiden zusätzlichen Kräfte, haben jeweils eine halbe Stelle. Die eine verstärkt das Team einer Praxis in Vegesack, die andere in Blumenthal. In beiden Stadtteilen war es in den vergangenen Jahren immer wieder vorgekommen, dass Kinderärzte gezwungen waren, wegen überfüllter Praxen und wochenlanger Wartezeiten auf freie Termine einen Aufnahmestopp für neue Patienten zu verhängen.
Hartmann und Olatunji sind normale Kinderärztinnen mit einer Zulassung, die nicht der Normalfall ist. Darum heißt sie auch Sonderbedarfszulassung. Und zwar deshalb, weil nach Rechnung der Kassenärztlichen Vereinigung die Stadt – und damit auch der Norden – mit Praxen überversorgt ist. Für Christoph Fox steht ein Sonderbedarf keineswegs im Widerspruch zu einer Überversorgung. Der Sprecher des Medizinerbündnisses sagt, dass diese Form der Zulassung das einzige Mittel ist, um auf personelle Engpässe in einer bestimmten Region reagieren zu können. Die Zahl der Praxen bleibt, nur eben nicht die der Mediziner.
Neues Rechenmodell gefordert
Nach Ansicht von Kinderarzt Christian Wagner kalkuliert die Vereinigung nicht so, wie sie ihm zufolge kalkulieren müsste. „Der Bedarfsplan“, meint er, „spiegelt nicht wider, dass sich vieles in den 20 Jahren, seit es ihn gibt, verändert hat.“ Wagner spricht nicht nur von steigenden Einwohner- und gleichbleibenden Praxenzahlen in den Stadtteilen. Sondern auch davon, dass heute mehr Eltern mit Kindern zum Arzt kommen, die wesentlich mehr Betreuung und Beratung brauchen als früher. Nach seinen Worten ist es höchste Zeit für ein neues Rechen- und Bewertungsmodell, das das alles irgendwie berücksichtigt.
Die Behörde weiß, dass viele Kinderärzte mittlerweile immer häufiger beraten, statt ausschließlich zu behandeln. Damit sie wieder mehr machen können, was sie eigentlich sollen, hat das Ressort deshalb im Vorjahr ein Modellprojekt gestartet. Fachkräfte bieten seither – ähnlich wie Mediziner – Sprechstunden an. Nur dass die Fachkräfte keine Ärzte sind, sondern Krankenpfleger. Und nicht in einer Praxis beraten, sondern in Schulen. Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) will auf diese Weise die Kompetenz von Kindern und Eltern stärken, auf gesundheitliche Fragen und Probleme reagieren zu können.
Sieben Fachkräfte an zwölf Schulen gibt es. Drei davon sind im Norden der Stadt. Ausgewählt wurden ausschließlich Schulen in Quartieren, in denen es nach Ansicht der Behörde „soziale Herausforderungen“ gibt. Christian Wagner sagt, dass er das Projekt gut findet. Er sagt aber auch, noch nichts davon gemerkt zu haben, dass es die neuen Ansprechpartner gibt: „Das Pensum an Beratungen ist bei mir zumindest gleich geblieben.“ Was die Fachkräfte tatsächlich bringen, soll nach dem Zeitplan von Christina Selzer in einigen Monaten ermittelt werden. Momentan, sagt die Sprecherin der Senatorin, ist es dafür noch zu früh. Seit August sind die Berater im Einsatz.
Für Wagner ist noch mehr ungewiss. Deshalb will er die Kassenärztliche Vereinigung daran erinnern, was sie ihm zugesagt hat: dass nach einem Jahr überprüft wird, ob das Plus von zwei Kinderärztinnen für den Norden der Stadt ausgereicht hat. Nach den Worten von Christoph Fox ist eine Kontrolle fest eingeplant – auch wenn er davon ausgeht, dass noch weitere Sonderzulassungen als die beiden jetzigen nicht notwendig werden. Wagner hofft das, so recht daran glauben kann der Mediziner aber nicht. Wäre es nach ihm gegangen, hätte es nicht zwei halbe Stellen mehr gegeben, sondern zwei ganze.
Der Obmann der Nordbremer Kinderärzte will deshalb lieber auf Nummer sicher gehen – und sich nicht allein darauf verlassen, was die Vereinigung bei ihrer Expertise in einem Jahr herausfindet. Sondern mehr noch darauf, was ihm die Kollegen in Blumenthal, Burglesum und Vegesack berichten, wenn sie einmal im Monat zusammenkommen. Seit vier Jahren ist Wagner ihr Sprecher. Fast genauso lange ist es her, dass er in seiner Praxis notgedrungen einen Aufnahmestopp für neue Patienten verhängte. Er gilt immer noch.