Heye Walter hat das schon oft gesagt, jetzt sagt er es wieder: Schwimmen ist immer mit einem Risiko verbunden, aber in manchen Gewässer ist das Risiko eben größer als in anderen. Und am größten ist es nach Ansicht des Bezirksleiters der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft im Fluss. Wegen der Strömung, wegen des Sogs der Schiffe und wegen der Selbstüberschätzung mancher Badender. Dass Walter rät, die Weser zu meiden, hat nichts mit einem aktuellen Anstieg der Unfallzahlen zu tun. Sondern damit, dass sie deutlich steigen könnten, weil viele in diesem Sommer wegen Corona nicht verreisen.
Walter weiß, wie idyllisch die Strände an der Weser sind – und wie viele Menschen bei gutem Wetter beispielsweise in der Bucht beim Bunker Valentin baden. Er kommt auf Hunderte. Er weiß auch, dass es Schilder gibt, die darauf hinweisen, dass das Schwimmen an dieser Stelle gefährlich ist und warum. Und trotzdem erlebt es der Chef der Nordbremer Lebensretter immer wieder, dass Leute in der Weser sind, obwohl gerade ein Schiff vorbeifährt. Ein Schiff, das so groß ist, dass das Wasser erst in die Fahrrinne gesogen, dann mit Wucht an den Strand gespült wird. Walter spricht von Kindern, die hinausgetrieben werden können. Und von Erwachsenen, die keine Chance haben, ihnen zur Hilfe zu kommen.
Der Chef des Bezirksverbands kann nichts verbieten, sondern ausschließlich appellieren. Und deutlich machen, wie riskant das Baden in der Weser statistisch ist. Ihm zufolge ist sie der viertgefährlichste Fluss in Deutschland – nach Rhein, Main und Donau. Walter verweist auf ein Ranking des Bundesverbands der Lebens-Rettungs-Gesellschaft, der Badeunfälle bundesweit registriert. Er sagt, dass die Zahlen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, seit Jahren steigen. Nicht nur die für Flüsse, sondern auch die für Seen. Trotzdem sind für Walter erstere immer noch riskanter als letztere. Auch deshalb, weil gemessen an der Zahl der Badenden die Vorfälle in Flüssen häufiger Fälle mit Todesfolge sind.
Philipp Postulka kennt die Statistiken. Der Sprecher des Bremer Landesverbandes der Lebensretter hat sie auf dem Rechner. Demnach sind 2017 bundesweit 157 Menschen bei Unfällen in Flüssen gestorben, 2018 waren es 161. In Seen kamen vor drei Jahren 117 Personen ums Leben, vor zwei 237. Alle Fälle mit Todesfolge zusammengerechnet, sind 2017 in Deutschland 404 Menschen ertrunken, im Jahr danach 504. Wie Walter führt auch Postulka den Anstieg darauf zurück, dass immer weniger Kinder richtig Schwimmen lernen. Dass die Zahl der Todesfälle im Vorjahr zurückgegangen ist (417), erklären beide für eine Ausnahme. Und damit, dass es in dem Sommer mehr Gewitter und damit weniger Badende gab als sonst.

Der Sportparksee Grambke ist einer von acht Seen in Bremen, an denen Rettungsschwimmer im Einsatz sind.
Hohe Fließgeschwindigkeit des Flusses
Auch in Bremen kommt es immer wieder zu tödlichen Badeunfällen. Allein 2018 sind fünf Menschen ertrunken: im Freibad, im See, in der Weser. So gesehen, sagt Postulka, könnte man meinen, dass das Risiko gleich verteilt ist. Dass es sich aus seiner Sicht jedoch anders verhält, begründet der Verbandssprecher nicht nur mit einem hohen Anteil an Todesfällen an der vergleichsweise niedrigen Zahl an Badenden in Flüssen. Sondern auch damit, dass Bäder immer und Seen zumindest öfter als die Weser von Rettungskräften überwacht werden. Und mit der Fließgeschwindigkeit des Flusses, die so groß ist, dass auch Leistungsschwimmer nicht gegen sie ankommen. Postulka weiß das, weil es getestet wurde.
Er findet, dass niemand in der Weser schwimmen sollte, wenn es doch genügend andere Bademöglichkeiten gibt, die weniger gefährlich sind. Und besser kontrolliert. Acht Seen in Bremen werden von den Helfern überwacht. Eine Station an der Weser gibt es dagegen nicht – anders als in Niedersachsen, wo die Retter beispielsweise an der Juliusplate im Einsatz sind. Dass es auf der einen Weserseite gibt, was es auf der anderen nicht gibt, liegt laut Rainer Weegen an den unterschiedlichen Badeverordnungen der Länder. Der Chef der Berner Rettungswache sagt, dass in Bremen das Baden in der Weser allgemein verboten und nur an wenigen Stellen erlaubt ist – während es in Niedersachsen generell erlaubt und nur in manchen Bereichen verboten ist.
Auch Weegen meint, dass die Weser gefährlich ist. An manchen Stellen sogar so gefährlich, dass eine Wache wie die an der Juliusplate notwendig ist. Nicht die Gemeinde hat sie gebaut, sondern die Lebens-Rettungs-Gesellschaft. In den 70er-Jahren war das, als die Zahl der schweren Badeunfälle hoch war. Jetzt liegt sie bei null. Der Chef der Rettungswache sagt, dass er vor zehn Jahren das letzte Mal ins Wasser musste, um jemandem vor dem Ertrinken zu retten. Seiner Meinung nach wissen die meisten Leute, die zum Baden an die Weser kommen, wie gefährlich das Schwimmen in einem Fluss, der zugleich Verkehrsweg ist, sein kann. Und wer es nicht weiß, dem sagen das die Rettungskräfte in aller Deutlichkeit.
Das kommt an manchen Tagen mehrmals vor. Sind Ferien und ist das Wetter gut, haben die Einsatzkräfte mit bis zu 800 Badenden zu tun. Dann sind sie zu zehnt statt zu fünft an der Juliusplate. Und nur dort und nicht an den anderen Stränden in der Gemeinde. Denn nur an dieser Stelle macht die Weser einen Knick, der den Fluss noch schneller fließen und die Schiffe noch stärkere Wellen schlagen lässt als sonst. Der Dienst der Rettungsschwimmer ist kein angeordneter Dienst, sondern ein ehrenamtlicher. Sie helfen, übernehmen aber keine Haftung, falls etwas passiert. Auch das unterscheidet das Baden in der Weser vom Schwimmen im Freibad.