Mit ihrem 200 PS-starken Fendt-Trecker macht sich Iris Bammann am Freitag auf nach Bremen. Ihr Mann Jürgen fährt mit dem Claas-Schlepper hinterher. Die drei Kinder lässt das Ehepaar dann bei den Großeltern. Eine gute Stunde brauchen die beiden Landwirte für den Weg zur Kundgebung in der Innenstadt. Sie wollen protestieren gegen die Agrar- und Umweltpolitik der Bundesregierung.
Doch es geht ihnen um mehr: um die Wertschätzung ihres Berufes. „Man ignoriert die Landwirte“, bedauert Iris Bammann, „man kommt nicht mit uns ins Gespräch.“ Die 34-jährige Hepstedterin findet, dass viele politische Entscheidungen, die die Landwirtschaft betreffen, in der Praxis nicht umsetzbar sind. Zum Beispiel beim Dünger.
„20 Prozent weniger Dünger bedeutet, dass die Pflanzen unterversorgt sind. Wir haben dann weniger Erträge und müssen mehr Futter dazukaufen. Das bedeutet höhere Kosten und mehr Aufwand“, so die Landwirtin. Sie hat Angst, dass unter diesem Druck immer mehr Familienbetriebe aufgeben. Ein weiteres Problem sieht sie in der Unzuverlässigkeit der Politik. Keiner könne den Landwirten sagen, welchen Anforderungen sie in Zukunft gerecht werden sollen.
Deshalb geht sie erneut auf die Straße. Sie machte auf riesigen Reifen bereits bei spontanen Demos in Zeven mit, um Aufmerksamkeit bei Verbrauchern und Politik zu schaffen. Sie fuhr mit dem Schlepper nach Berlin, um sich mit ihren Kollegen für den Ruf und das Selbstverständnis ihres Berufsstandes einzusetzen. Zehntausende Bauern haben sich zur neuen Bewegung „Land schafft Verbindung“ zusammengeschlossen, weil sie sich von der Politik übergangen fühlen.
Dafür haben sie sich gut vernetzt. Iris Bammann kommuniziert seit Monaten über WhatsApp in einer Bauern-Chatrunde. Außerhalb der etablierten Bauernverbände laufen die Landwirte, diese vermeintlichen Einzelgänger, gemeinsam Sturm gegen das Agrarpaket, gegen zunehmende Bürokratie und vor allem gegen die Düngeverordnung. „Sonst kriegt man nicht zwei Bauern unter einen Hut, jetzt rotten sie sich zusammen“, sagt Claus Tietjen.
Der Landwirt aus Lilienthal zeigt sich optimistisch, dass der größte Bauernprotest seit Jahrzehnten seine Wirkung nicht verfehlen wird, „aber die Mühlen der Politik mahlen langsam.“ Mit seinem Trecker setzt sich der Oberender am Freitagmorgen gegen 9 Uhr gen Hansestadt in Bewegung, parkt sein Gefährt voraussichtlich irgendwo am Bürgerpark und geht wohl zu Fuß zum Domshof. Dort wollen die Landwirte um 13 Uhr unter anderem ein Positionspapier an Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne) übergeben.
Mit dabei sein wird der Breddorfer Uwe Ringen. Nach Oldenburg, Hamburg und Berlin wird es seine vierte Kundgebung sein, die er mit dem Trecker besucht. In seinen Augen bringt die Düngeverordnung große Probleme für die Bauern in Deutschland. „Wir wollen darauf hinweisen, dass man mit Wirtschaftsdünger sehr gut Mineraldünger ersetzen kann“, berichtet der 49-Jährige.
Er will nicht nur seinen Unmut gegen verschärfte Umweltauflagen auf die Straße tragen. Auch ihm geht es darum, in Bremen mit „Städtern und Politik“ ins Gespräch zu kommen. Aus Solidarität mit seinen Berufskollegen plant Ernst Schnackenberg, Landwirt in Rente und Biogasanlage-Betreiber in Tarmstedt, die Teilnahme an der Demonstration, falls keine Terminprobleme dazwischen kommen. Er befürchtet, dass das Inkrafttreten der neuen Düngemittelverordnung dazu führt, dass die deutsche Landwirtschaft die Produktion von Brotgetreide nicht mehr gewährleisten kann.
Zustimmung bei den Bürgern
„Dann müssen wir Brot einführen“, glaubt Schnackenberg. Der Tarmstedter Florian Kruse macht sich am Freitag auf dem Weg nach Bremen oder schickt einen Mitarbeiter. Damit will er auf dem Domshof Präsenz zeigen und demonstrieren, „dass wir nicht alles mit uns machen lassen“, sagt der 38-Jährige und betont: „Wir sind nicht an allem Schuld.“ Aus Gesprächen an seiner Milchtankstelle habe er erfahren, dass die Demos bei den Bürgern auf Zustimmung stoßen. „Die Leute zeigen Verständnis und finden, dass die Landwirte mehr Geld verdienen müssen.“
Kruse trifft sich am Freitagmorgen mit anderen Landwirten aus der Samtgemeinde auf dem Tarmstedter Ausstellungsgelände, Grasberger Berufskollegen versammeln sich beim Grasberger Schützenhof. Auch wenn die Landwirte aus der Region nicht vorhaben, im Konvoi in die Bremer Innenstadt zu fahren, dürften die Traktoren auch auf der L 133, in Lilienthal und Borgfeld für Verkehrsbehinderungen sorgen, da sie mit 30 bis 40 Stundenkilometern deutlich langsamer sind als Autos. Der Breddorfer Uwe Ringen erwartet rund 3000 Teilnehmer zur Großdemonstration.
Umweltbelastungen der Landwirtschaft
Die Landwirte bewirtschaften die Hälfte der Fläche Deutschlands. Dabei beeinflussen sie Boden, Wasser, Luft und Klima. Die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft hat nach Angaben des Bundesumweltministeriums in den letzten Jahrzehnten sehr stark gelitten. Das Insektensterben sei nur ein Ausdruck davon.
Die Proteste der Bauern sind eine Reaktion auf einige jüngst beschlossene Vorhaben und Programme der Bundesregierung, von denen die Landwirtschaft betroffen ist, das sogenannte Klima- und Agrarpaket. Dazu gehören Beschlüsse zum Insektenschutz, zu den Direktzahlungen und zur Tierwohlkennzeichnung, aber auch zur Düngeverordnung oder zum Klimapaket. „Die mit dem sogenannten ‚Agrarpaket‘ verfolgten Ziele sind wichtig und gut.
Es ist richtig, mehr für den Schutz der Umwelt, den Insektenschutz und die Biodiversität insgesamt, aber auch in der Agrarlandschaft im Besonderen zu erreichen“, so das Bundesumweltministerium. „Wir stehen vor der Herausforderung, die unerwünschten Folgen der bisherigen Agrarpolitik, zum Beispiel im Grundwasserschutz und mit Blick auf die Biodiversität, zu beheben.“ Die Ursachen für den schlechten Zustand von Natur und Umwelt in den Agrarlandschaften lägen im Besonderen in der fortschreitenden Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung der letzten Jahrzehnte.