Ralf Strassemeyer: Das liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück. Tierschauen sind entstanden, um herauszubekommen, welches eigentlich die Tiere sind, mit denen wir Nutztierhaltung betreiben wollen. Anders ausgedrückt: Früher gab es keine sogenannte filigrane Leistungsprüfung, das heißt: Man hat nicht gemessen, was die Tiere produziert haben, sondern man hat einfach die äußere Erscheinung eines Tieres beurteilt, um zu sagen: Dieser äußere Typ entspricht unserem Produktionsziel. Also: Welche Kuh gibt wahrscheinlich am meisten Milch, welche produziert wahrscheinlich am meisten Fleisch.
Und wie geht man heute vor?Ganz anders: Da können wir die DNA des Tieres untersuchen und so darauf schließen, welche Eigenschaften eines Tieres von Generation zu Generation weitergegeben werden und ob so das Tier tatsächlich dem Produktionsziel entspricht. Wir können also mit dieser genomischen Selektion ergründen, wie viel Milch eine Kuh produzieren wird und wie gut deren Qualität, etwa in Bezug auf Fettinhaltsstoffe, Eiweiß und Milchzucker sein wird. Und ganz besonders interessant: Mit dieser Methode lassen sich auch Eigenschaften über die Gesundheit der Kühe und damit der Nutzungsdauer vorhersagen.
Die „Schau der Besten“ zieht jedes Jahr um die 3000 bis 4000 Zuschauer nach Verden. Worauf gründet sich der Erfolg?Dazu muss man wissen: Die Züchter schauen sich schöne Tiere auch heute noch gerne an. Und aus dem ursprünglichen Gedanken der Tierschauen ist irgendwann auch ein Wettbewerb geworden. Und deshalb kommen die Züchter aus dem In- und Ausland nach Verden, um hier festzustellen: Wer hat in diesem Jahr die besten Kühe. Die „Schau der Besten“ ist auf diesem Gebiet eine der bekanntesten Veranstaltungen in Deutschland.
Auch, aber nicht nur. Man muss wissen: Wir produzieren hier ja Sperma, was dann in erster Linie als genetisches Material für die Fortpflanzung der Tiere in den Betrieben benutzt wird. Und um zu zeigen, wie sich die einzelnen Bullen vererben, kann man natürlich einzelne Töchter eines Bullen ganz gut präsentieren, um zu zeigen, welche Vorzüge die Nachkommen eines Bullen haben. Und wenn ihre Kühe gut abgeschnitten haben, dann können die Züchter damit den Wert ihres Tieres für die Nachzucht steigern. Und im übrigen darf man nicht vergessen: Es gibt auch Preisgelder zu gewinnen.
So ein Besamungsbulle der Spitzenklasse, auf wie viele Kälber kann er es in seinem Leben bringen?Kommt drauf an. Auf um die 500 000 bis 600 000 Nachkommen kann es ein populärer Vererber in seinem Leben schon bringen. Aber das sind nur sehr wenige.
Wird so ein Bulle denn noch zur Kuh gelassen?In einer Besamungsstation gibt es keine Kühe. Das ist wegen der Hygiene sogar gesetzlich geregelt. Entweder er bespringt männliche Artgenossen oder ein sogenanntes Phantom. Der Penis schächtet dann in eine künstliche Vagina aus, so dass das Ejakulat mit oberster Reinheit aufgefangen wird. Dieses Ejakulat wird dann verarbeitet und als Einzelportion in sogenannte Pailletten abgefüllt und in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad tiefgefroren. Wenn Züchter Sperma des ausgewählten Bullen benutzen wollen, wird der Samen aufgetaut und mit einfachen Instrumenten in der Gebärmutter der Kuh durch Menschenhand ausgebildeter Spezialisten schmerzfrei positioniert. Das passiert alles im Routinebetrieb des Züchterstalles.
Wie oft wird von einem Bullen Samen abgezapft?In der Regel einmal pro Woche, manchmal auch zweimal. Pro Ejakulat eines Jungbullen produzieren wir etwa 300 Tiefgefrierportionen. Und wenn sie einen alten Bullen haben, können Sie daraus auch 1000 bis 1300 Portionen herstellen.
Bei der „Schau der Besten“ schicken einige Züchter ihre Tiere ja sogar ins Trainingslager, wo sie frisiert und gestylt werden. Mal ehrlich: Finden auch Sie das nicht etwas skurril, zumal eine gestylte Kuh mit der Stallwirklichkeit ja nichts zu tun hat?Meinetwegen bräuchten die Züchter das ja auch nicht zu machen (lacht). Aber wie soll ich sagen: Wenn Sie an einem besonderen Fest teilnehmen, dann machen Sie sich ausnahmsweise doch auch mal drei Gedanken mehr darüber, wie Sie da auftreten. Also: Die Züchter versuchen eben, sich und ihre Kühe im besten Licht zu präsentieren. Eigentlich ist das nichts anderes als eine Miss-Schau, wie wir Sie von anderen Bereichen kennen.
Master Sexed ist ein Label, das wir kreiert haben für eine besondere Form von Rindersamen. Dabei nutzen wir eine Technologie, um eine Geschlechtertrennung vorzunehmen. Das heißt, wir selektieren dabei das Ejakulat nach Spermien auf die Träger männlicher und weiblicher Geschlechtschromosomen. Dabei garantieren wir eine 90-prozentige Geschlechtswahrscheinlichkeit. Denn im Normalfall freut sich der Landwirt eher über ein weibliches Kalb als über einen Bullen, weil er damit weiterarbeiten kann. Denn 99 Prozent aller männlichen Kälber gehen letztlich in die Kälber- oder Bullenmast.
In den 1960er-Jahren gab eine durchschnittliche Kuh knapp 4000 Liter Milch im Jahr. Heute sind es rund doppelt soviel. Hochleistungskühe geben 15 000, teilweise sogar 20 000 Liter Milch im Jahr. Gehen Sie davon aus, dass damit heute das Ende der Leistungsfähigkeit erreicht ist?Also 20 000 Liter – da handelt es sich wirklich um eine Ausnahmekuh. Aber wir erwarten tatsächlich, dass die Leistung sich noch weiter steigern wird. Das erreichen wir durch Verbesserungen auf dem Gebiet der Tiergesundheit, durch eine bessere Selektion und durch verbesserte Haltungsbedingungen. Für die Kuh wird die Umgebung also immer komfortabler, so dass sie ihre Milchleistung auf Dauer wird weiter steigern können.
In der Öffentlichkeit ist in diesem Zusammenhang immer von „Turbokühen“ die Rede. Wie reagieren Sie auf diesen Begriff?Der freut mich. „Turbokühe“, obwohl der Begriff vielleicht nicht besonders charmant ist, sind für uns eher Auszeichnung und Lob. Denn Turbo sagt doch, dass eine außerordentliche Leistung dahinter steckt. Wie das in der Gesellschaft bewertet wird, da haben wir vielleicht einen Fehler gemacht. Da müssen wir in Zukunft noch transparenter werden. Andererseits haben wir ja auch schon viel an Aufklärung und Transparenz geschaffen.
Sie wollen also dafür sorgen, dass der Begriff „Turbokuh“ positiv gewendet wird?Auf jeden Fall. Denn man muss doch sehen, dass die Menschheit weiter wächst, dass der Wohlstand in der Welt weiter wächst. Es werden so auch mehr Nahrungsmittel verbraucht. Ziel muss es daher sein – auch im Hinblick auf die Diskussion um Schadgase und Ressourcenverbrauch –, die Produktion effizienter zu gestalten. Also: dass weniger Tiere mehr produzieren.
Mit Sicherheit. Man muss wissen: Früher standen Kühe auch nur vier Monate im Jahr auf der Weide, die anderen acht Monate standen sie angebunden nebeneinander im dunklen Stall. Heute haben wir Laufstallhaltung. Hier können die Kühe sich eigentlich so bewegen wie im normalen Tagesablauf. Die Kuh kann fressen, wann sie will, sich ausruhen und hinlegen, wann sie will und geht selbst zum Melken, unter Umständen wird sie dabei mit Robotern gemolken. Bei anderen Technologien gibt es zwei oder drei Melkzeiten pro Tag, dann ist das natürlich ein kleiner Zwang. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass die Haltungssysteme heute weit besser sind als sie vor etwa 30 Jahren waren, geschweige denn in den 1950er- und 60er-Jahren.
Gerade wird über das Tierwohl-Label der Bundesregierung diskutiert, das zunächst nur für Schweinefleisch gelten soll. Was halten Sie davon, das Label auf die Rinder auszudehnen?Das wird mit Sicherheit stattfinden. Schon heute achten die Betriebe ja auf das Tierwohl. Sicher der eine oder andere auch nicht. Aber der muss sich dann bei seinen Haltungsbedingungen etwas überlegen, inwiefern er die Vorgaben für das Tierwohl einhalten kann. Schon heute sind ja schon die Landwirte mit den gesellschaftlichen Fragen des Tierschutzes konfrontiert. Grundsätzlich ist das Label eine Maßnahme, um für den Verbraucher mehr Transparenz zu schaffen. Aber man muss auch sagen: Das Label wird sicher nicht die Welt verändern. Denn: Interviewen Sie mal einen Verbraucher vor dem Supermarkt, welches Fleisch er kauft, und gucken dann hinterher in seinen Einkaufswagen... Freiwillig sind nur wenige bereit, mehr Geld für Nahrungsmittel auszugeben.
Noch mal zurück zur „Schau der Besten“: In den vergangenen Jahren haben die Miss-Wahl immer Kühe mit so hübschen Namen wie „Lady Gaga“, „Ornella“, „Madame“ oder „Shakira“ gewonnen. Haben Sie einen Tipp, wer dieses Jahr gewinnen könnte?Wenn ich richtig informiert bin, ist Vorjahressiegerin „Lady Gaga“ nach der achten Kalbung wieder dabei. Und wenn die gut in Form ist, dann gehört sie sicherlich zu den heißen Titelanwärterinnen.
Das Interview führte Peter Voith.Ralf Strassemeyer (58), Landwirt und Agraringenieur, ist einer von drei Geschäftsführern der Masterrind GmbH. Der verheiratete Vater von drei Kindern lebt in Kirchlinteln.
Größte Besamungsstation
Die Masterrind GmbH mit Hauptsitz in Verden und Regionalzentren in Meißen und Bad Zwischenahn hat mehr als 600 Mitarbeiter und betreibt die in Deutschland größte Besamungsstation. Sie betreut 8500 landwirtschaftliche Betriebe mit 619 000 Holstein-Herdbuchkühen und etwa 11 000 Herdbuch-Fleischrindern von über 20 Rassen. Im Bereich der Vermarktung von Zuchttieren ist Masterrind nach eigenen Angaben sowohl in Deutschland als auch Europa Marktführer. Im Bereich Züchtung sei die Firma ebenfalls in Deutschland Marktführer, während sie sich in Europa mit ähnlichen Organisationen in Frankreich, Skandinavien und den Niederlanden „auf Augenhöhe“ bewege.
Weitere Informationen
Die Schau der Besten startet am Mittwoch, 27. Februar, um 15 Uhr mit dem internationalen Jungzüchtervorführ-Wettbewerb „1. Masters Open“. Um 18.30 Uhr folgt die Auktion „Exklusive“ mit anschließendem Züchterabend. Am Folgetag beginnt die Veranstaltung um 9.30 Uhr mit der Präsentation aktueller Töchtergruppen und dem Richtwettbewerb der Kühe. Um 15 Uhr wird dann bekannt gegeben, wer die „Miss Schau der Besten“ ist.