Lesen ist der Schlüssel zur Welt. Umso wichtiger ist es also, dass ABC-Schützen diese Grundqualifikation zügig erwerben. Dabei helfen nicht nur die Lehrer selbst, auch Lesepaten fördern die Grundschüler. Harm Schmidt ist einer von ihnen.
Der Umgang mit Schülern ist für Schmidt nichts Ungewohntes. Als ehemaliger Lehrer hat er jahrzehntelang vor Schulkindern gestanden und unterrichtet – Deutsch, Religion, Welt- und Umweltkunde. 2010 ging er in Pension, doch so ganz ohne Aufgabe ging es dann doch nicht. Bei der Freiwilligenagentur Zeitspende wurde er fündig, und so kehrte er 2014 ehrenamtlich in den Schuldienst zurück. "Eigentlich bin ich wieder Lehrer", bilanziert Schmidt vier Jahre später. Denn neben seiner Lesepatenschaft unterrichtet er an der Grundschule Walle inzwischen regelmäßig eine Plattdeutsch-AG.
"Oh, Schmiddie ist da" – wenn der Pensionär in die Klasse kommt, ist die Freude bei den Kindern groß. Denn der frühere Lehrer hat einen Vorteil gegenüber den aktuellen Lehrkräften: "Ich muss keine Noten geben." Insbesondere bei der Lesehilfe gebe es dadurch keinen Druck. "Der Lesepate stellt sich auf das Tempo des jeweiligen Kindes ein", erklärt Schmidt. Außerdem könne er sich auch viel mehr Geduld leisten, denn "ich muss keinen Lehrplan durchpeitschen". Entsprechend entspannt kann er sich der Kinder annehmen – ein Plus für Schüler und Lehrer.
Es gibt viele Kinder, die beim Lesen ein wenig mehr Unterstützung brauchen. Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund fehle es häufig an der nötigen Hilfe durch ihre Eltern. Denn wenn Mutter und Vater in der deutschen Sprache nicht genug gefestigt sind, fällt ihnen auch das Lehren schwer, erklärt Schmidt. Doch nicht nur Schüler, die ein wenig mehr Unterstützung benötigen, freuen sich auf die Besuche des Lesepatens. "Wir fördern nicht nur die schwächeren Schüler, sondern auch die stärkeren", gibt er Einblick in das Konzept der Schule. Während die einen mit leichteren Worten oder Texten arbeiten, können sich die anderen an anspruchsvolleren Aufgaben versuchen.
Das gemeinsame Arbeiten in Abstimmung mit den Lehrern klappt gut. "Die Chemie stimmt", findet Schmidt, und dass sei auch wichtig. Die Entscheidung für die Grundschule Walle traf er vor vier Jahren ganz bewusst. Denn an seine alte Wirkungsstätte, die Nicolaischule, wollte er als Ehrenamtler nicht zurückkehren. Als ehemaliger Leiter der Einrichtung – das hätte nicht so recht gepasst. Vor seiner Pensionierung war er zudem in der Schulaufsicht tätig.
Während seiner ehrenamtlichen Tätigkeit fiel dem Kollegium auf, dass Schmidt nicht nur der hochdeutschen, sondern auch der plattdeutschen Sprache mächtig ist. Und so ergab sich fast von selbst ein neues Betätigungsfeld, als Leiter einer Arbeitsgemeinschaft. "Ich bin kein Native Speaker." Da er nicht als Muttersprachler aufwuchs, kam er über Verwandte ans Niederdeutsche. "Ich muss mich also selbst gut vorbereiten, und das ist eine Herausforderung", sagt der Pensionär. Dieser Herausforderung stelle er sich jedoch gerne.
"Wenn Sie 41 Jahre lang voll im Geschirr gestanden haben und sind plötzlich auf null – dann müssen Sie sich etwas suchen." Ganz uneigennützig ist das Engagement also nicht. "Ich will ja geistig fit bleiben und nicht verblöden", erklärt Schmidt. Langeweile ist ihm fremd. Und so hat er auch außerhalb der Schulaktivitäten die eine oder andere Aufgabe vor der Brust. Für eine Ausstellung unter dem Titel "Wider das Vergessen" befasste er sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Kirchlinteln. Außerdem engagiert er sich im Dokumentationszentrum Verden im 20. Jahrhundert (Doz 20) und im Arbeitskreis des Kapitelhauses Wittlohe. Der Backsteinbau sei das älteste nichtkirchliche Gebäude im Landkreis Verden, verrät Schmidt.
"Ich habe immer gut zu tun", bilanziert Schmidt. Und so bestätigt er das Klischee des Pensionärs, der einen volleren Terminkalender als ein Berufstätiger vorzuweisen hat. Doch auch die raren Lücken weiß der Verdener zu schließen. Denn in der Freizeit widmet er sich seiner Familie und zwei Leidenschaften: Kriminalromanen mit geschichtlichem Hintergrund und irischer Musik.