Eine 3G-Regel für Reisen in Fernzügen lehnen mehrere Ministerien, Gewerkschaften und Fahrgastvertreter als unpraktikabel ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel teilte am Montagmittag mit, sie halte den Vorschlag, nur Geimpfte, Genesene oder Getestete im Fernverkehr zuzulassen, weiter für eine „mögliche und sinnvolle Maßnahme“. Dem Meinungsforschungsinstitut Civey zufolge sprachen sich Ende vergangener Woche zwei Drittel der Befragten ebenfalls für eine solche Regel aus.
Regierungssprecher Steffen Seibert verwies am Montag auf eine 3G-Regelung in Fernzügen in Frankreich, Italien plane dies ab Anfang September. Dort sei dies nicht unmöglich oder unkontrollierbar. Es gebe Gegenargumente, dies sei auch der "Charakter eines Prüfauftrags" in der Regierung.
Malte Diehl, Sprecher des Pro-Bahn-Landesverbands Niedersachsen/Bremen, hat Gegenargumente: Er hält die Maßnahme für unverhältnismäßig. „Das eine ist, Menschen vom Restaurantbesuch auszuschließen. Das andere ist, wenn Leute auf den Zug angewiesen sind. Wenn es an die Daseinsvorsorge geht, muss man auf die Verhältnismäßigkeit achten.“ Studien zeigten, dass es in der Bahn kein erhöhtes Ansteckungsrisiko gebe. Wer geimpft sei, schütze sich bereits wirkungsvoll vor einer Ansteckung. Deshalb sehe der Verband in der 3G-Regel für Fernzüge keinen zusätzlichen Schutz für Fahrgäste, sondern einen „massiv erhöhten Aufwand“ fürs Personal.
Kritik üben auch dessen Vertreter. Kristian Loroch, Vorstandsmitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, warnt vor einer übermäßigen Belastung des Zugpersonals. Die Zahl der Übergriffe auf Bedienstete sei in den vergangenen zwei Jahren massiv gestiegen: „Eine 3G-Kontrolle würde diese Situation weiter verschärfen und ist deshalb für uns nicht tragbar.“ Für eine solche Kontrolle sei der Staat zuständig, etwa mithilfe der Bundespolizei.
„Wir sehen uns nicht in der Zuständigkeit und können es vom Personal her nicht erfüllen“, sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Binnen weniger Minuten müssten beim Ein- und Ausstieg an großen Bahnhöfen bis zu 350 Personen kontrolliert werden, das sei nicht machbar. Für die Alternative, eine Überprüfung während der Fahrt, fehle das Personal. Die Bundespolizei müsse sich der Kriminalitätsbekämpfung und -vorbeugung widmen: „Wir sind ja nicht als Corona-Polizei da.“ Bereits jetzt seien die Beamten für Ordnungs- und Gesundheitsämter tätig, indem sie an den Bahnhöfen die Einhaltung der Maskenpflicht kontrollierten.
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) äußert sich in diesem Sinne: „Wir müssen uns auf die notwendigen Maßnahmen zur Terrorabwehr, Kriminalitätsbekämpfung und Grenzsicherung konzentrieren, solche Gedankenspiele aus dem Kanzleramt verunsichern die Bevölkerung zusätzlich“, teilt Heiko Teggartz mit, Vorsitzender der DPolG auf Bundesebene.
Der Vorschlag der Bundesregierung, nur noch Geimpfte, Getestete und Genesene mit den Zügen des Fernverkehrs fahren zu lassen, sei „praktisch nicht durchführbar“, heißt es in einem Papier des Verkehrs-, Gesundheits- und Innenressorts. „Selbst wenn punktuelle Kontrollen durchgeführt werden würden, könnte Verstößen gegen eine 3G-Regelung nur mit Unterstützung der Bundespolizei und/oder des Sicherheitspersonals der Bahnen begegnet werden. Die Sanktion kann nur ein Beförderungsverbot oder -ausschluss sein, die an der nächsten Haltestelle durchgesetzt werden müsste.“
Nordwestbahn-Sprecher Steffen Högemann beschreibt, was eine 3G-Regel im regionalen Nahverkehr bedeuten würde: Bei jedem Halt müsste an jeder Tür ein Kontrolleur stehen, um die Nachweise der Einsteigenden zu prüfen. Das würde zu starken Verzögerungen führen. „Dann müsste man einen komplett neuen Fahrplan konstruieren“, sagt Högemann.
Mit dem vorhandenen Personal, den vielen Haltepunkten und dem hohen Fahrgastwechsel sei es schon jetzt nicht möglich, jedes Ticket zu kontrollieren. Eine automatisierte Prüfung beim Kauf des Fahrscheins ist laut Högemann nicht auf die Schnelle umsetzbar. Sein Fazit: „Das klappt im Nahverkehr hinten und vorne nicht.“