Verden. Richard von Weizsäcker, Joachim Gauck und Christian Wulff - Steffen Lühning ist ihnen allen begegnet. Der 20-Jährige aus Otersen hat ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Politik absolviert.
Ein Jahr, in dem er viel erlebt hat und vieles selbst organisieren und gestalten konnte: Er fuhr mit Schulklassen in den früheren Grenzstreifen, sprach mit Fluchthelfern und entwickelte eine Ausstellung über Mythos und Alltag in der DDR. Das klassische FSJ ist fest etabliert und bekannt, doch schon länger können sich Jugendliche auch im Bereich Kultur oder Sport ein Jahr lang als Freiwillige engagieren. Im vergangenen Jahr hat nun auch Niedersachsen das FSJ in der Politik eingeführt. Der erste Durchgang ist gerade zu Ende gegangen. Er stieß offenbar bei Einrichtungen und Jugendlichen gleichermaßen auf großes Interesse.
Wie bei Steffen Lühning: Direkt im Anschluss an das Abitur am Domgymnasium fand er zunächst keinen Ausbildungsplatz. Dann bekam von einem Maschinenbau-Unternehmen in Soltau eine Zusage für das Jahr darauf, inzwischen hat er dort eine duale Ausbildung begonnen. 'Ich konnte mir weder vorstellen, zum Bund zu gehen, noch Zivi zu machen', sagt Steffen Lühning. 'Aber nach dem Abi stellte sich dann eben die Frage: Was mache ich jetzt mit diesem Jahr?'
Er bewarb sich für das FSJ Politik - und kann es weiter empfehlen: 'Vielleicht werden wir nie wieder in unserem Leben die Zeit haben, uns so intensiv mit Politik zu beschäftigen - das haben in der Abschlussrunde viele von uns Freiwilligen gesagt.' Er stellte eine Ausstellung zusammen und plante Fahrten mit Schulklassen in den Grenzstreifen zur ehemaligen DDR. 'Ein Fluchthelfer hat erzählt, wie er damals, als er selbst so alt war wie wir, nachts über die Grenze geflüchtet ist - das war super spannend, weil er das so geil rübergebracht hat, dass man sich voll reinversetzen konnte', sagt Steffen Lühning. In der Schule habe er viel über die Zeit des Nationalsozialismus, aber wenig über die DDR erfahren: 'Ich wusste vor dem FSJ fast gar nichts.'
Jeder Freiwillige soll im FSJ Politik ein langfristiges Projekt gestalten können, für das er selbst verantwortlich ist. Steffen Lühning hat die Auseinandersetzung mit der Zeit vor der Wende zum Schwerpunkt seines Einsatzes bei der Konrad-Adenauer-Stiftung gemacht.
Beeindruckt war er von den persönlichen Begegnungen - wie zum Beispiel mit Richard von Weizsäcker, den er bei einem Gesprächsabend in Hannover erlebte: 'Der ist 90 Jahre alt, war aber so locker drauf - er hat ganz private Sachen erzählt und die Leute zum Lachen gebracht.'
Facebook und Twitter erklärt
Steffen Lühning, der sich besonders für Online-Themen interessiert, konnte sich gerade in diesem Bereich gut einbringen: 'Ich hab? dann mal ?ne Powerpoint-Präsentation vorbereitet, die erklärt, was Facebook ist und was Twitter ist', sagt er. Dank ihm ist die Konrad-Adenauer-Stiftung nun auch bei Facebook vertreten. 'Herr Lühning war ein Glücksfall für uns', sagt Jörg Jäger, Leiter des Bildungswerks der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hannover. 'Wir haben erlebt, was für eine Entwicklung ein junger Mensch in so einem Jahr nehmen kann, und freuen uns auf den nächsten Kandidaten. Für den aktuellen Durchgang des FSJ Politik haben sich 90 Jugendliche auf 15 Plätze beworben. Das Projekt wird weitergeführt, leicht aufgestockt - und spricht sich langsam herum.
'Es gibt ganz viele junge Menschen, die großes Interesse an der Gestaltung von Gesellschaft haben', sagt Julia Wurzel, die bei der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung die Freiwilligen betreut. 'Aber Jugendliche engagieren sich eben eher für eine Sache als für eine Partei - zum Beispiel für den Naturschutz oder für ein ganz konkretes Projekt.'
Die Freiwilligen waren in der Landtagsfraktion der Grünen im Einsatz, arbeiteten in einer Stiftung für Online-Süchtige mit und engagierten sich in KZ-Gedenkstätten oder bei Vereinen für Jugendpolitik. Das FSJ Politik soll ein Orientierungs- und Bildungsjahr sein, in dem Jugendliche Zeit haben, sich kreativer und freier als in der Schule auszuprobieren. 25 Seminartage im Jahr ermöglichen den Austausch mit den anderen Freiwilligen, Kurse über Videoschnitt oder eine gemeinsame Fahrt nach Brüssel.
Die Jugendlichen sind Vollzeit im Einsatz und haben 26 Ferientage im Jahr. Dafür bekommen sie ein monatliches Taschengeld von 280 Euro gezahlt und sind sozialversichert. Zwar läuft das Kindergeld weiter, und auch Wohngeld und Hartz IV lassen sich beantragen. Doch Letztere werden oft nicht ohne Weiteres vom Amt bewilligt. Ohne die finanzielle Unterstützung der Eltern bleibt die Situation bislang schwierig, wenn die Freiwilligen sich für das FSJ in eine andere Stadt als die eigene begeben müssen. 'Es wäre schon gut, wenn man wenigstens die Fahrkosten erstattet bekäme', sagt Steffen Lühning, der ein Jahr lang von seinem Heimatdorf Otersen aus nach Hannover gependelt ist.
Informationen über das FSJ Politik gibt es hier.