Wenn an diesen Mittwoch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und DFB-Vizepräsident Peter Frymuth zum Drittliga-Nachholspiel MSV Duisburg gegen den VfL Osnabrück erscheinen, dann wollen sie ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Bekanntlich wurde die Begegnung als erste Partie im deutschen Profi-Fußballs am 19. Dezember 2021 beim Stand von 0:0 in der 35. Spielminute wegen angeblicher rassistischer Anfeindungen abgebrochen.
Von "Skandal", "Schande" und "Eklat" war schnell die Rede, bis in die Spalten der "New York Times" schaffte es der Vorfall. "Das ist die hässliche Fratze des Alltagsrassismus in unserem Land", kommentierte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) damals. "Die rassistischen Anfeindungen im Duisburger Stadion sind widerwärtig und nicht hinnehmbar", urteilte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) (vor)schnell.
Aktionen gegen Rassismus in Fußballstadien können im Prinzip kaum schaden. Die Sache hat allerdings einen Schönheitsfehler: Rassistische Anfeindungen haben in diesem Spiel nicht stattgefunden. Wie Polizei und Staatsanwalt in ihren Ermittlungen festgestellt haben, hat ein 55-Jährigen Zuschauer – bis dahin übrigens gänzlich unbescholten – den beleidigenden Satz gerufen: „Auch du kannst keine Ecke schießen, du Affe.“ Damit war allerdings nicht der Osnabrücker Spieler Aaron Opoku gemeint, sondern sein Teamkamerad Florian Kleinhansl, der sich in diesem Moment den Ball vor den Duisburger Anhängern zum Eckstoß zurechtgelegt hatte.
Opoku hingegen, der von der anderen Seite des Spielfeldes herübergelaufen war, bezog den Satz auf sich, weil er 15 Minuten zuvor einen vorherigen Eckstoß für die Osnabrücker auf direktem Weg ins Toraus befördert hatte - ein verhältnismäßig leichter Fehler für einen Fußballprofi. Der Spieler war schockiert und sah sich – wie der gesamte VFL Osnabrück – nicht imstande, die Partie fortzusetzen. Die Affenlaute, die Linienrichter Florian Schneider im Zusammenhang mit dieser Äußerung von der Tribüne wahrgenommen haben wollte, ließen sich weder bei der Auswertung der Bild- und Tondokumente noch nach den Zeugenaussagen von Ordnern, Zuschauern und Spielern bestätigen. Es gab sie schlicht und einfach nicht.
Das allerdings hat der Deutsche Fußball-Bund offiziell noch nicht zur Kenntnis genommen. Auf die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Staatsanwalt reagierte der Verband bisher nicht. In einem anderen Punkt war die Sportgerichtsbarkeit dagegen schneller: Es müsse "klar bleiben, dass das Recht zum Spielabbruch grundsätzlich allein dem Schiedsrichter zusteht", tadelte Stephan Oberholz, der stellvertretende Vorsitzende des DFB-Sportgerichts, keine Woche nach dem Spiel bereits in Richtung Osnabrück.
Genau das allerdings ist in einer solchen Situation der falsche Ansatz. Wie das Beispiel zeigt, sind der Schiedsrichter und seine Assistenten an der Seitenlinie mit dem Geschehen auf dem Platz hinreichend ausgelastet. Die Beurteilung der Situation auf den Rängen kann einen Referee nur überfordern.
Grundsätzlich ist es völlig in Ordnung, dass bei massiven rassistischen und homophoben Anfeindungen Sportveranstaltungen abgebrochen werden. Die Entscheidung darüber sollte aber nicht allein der Schiedsrichter treffen, sondern sie muss in enger Absprache mit dem Ordnungsdienst, der Stadionregie, dem vierten Offiziellen und der Polizei erfolgen.
Der Fall sollte trotzdem zu denken geben: Solche beleidigenden Äußerungen – sie wurden wohl nur wegen der reduzierten Zuschauer-Kapazität infolge der Corona-Beschränkungen registriert – sind auf deutschen Sportplätzen leider an der Tagesordnung. Auch der Erwerb einer Eintrittskarte in einem Fußballstadion rechtfertigt keine verbalen Amokläufe. Die Fans sollten aufhören, Aggressivität mit Emotionalität zu verwechseln. Denn auch auf den Rängen gilt das Bürgerliche Gesetzbuch. Wer sich nicht im Griff hat, gehört nicht ein Fußballstadion – und schon gar nicht auf eine Bezirkssportanlage.