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Eierlage in der Eifel Ein Sport, der vielleicht nur Mathe ist

Die "Schönecker Eierlage" ist ein sportlicher Wettkampf mit einer Tradition bis in Mittelalter. Doch ist es wirklich nur ein Sport oder steckt mehr dahinter?
01.04.2024, 16:15 Uhr
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Ein Sport, der vielleicht nur Mathe ist
Von Jean-Julien Beer

In dem kleinen Dorf Schönecken, malerisch gelegen in einem Tal in der Eifel, leben rund 1500 Menschen. Ein Großstädter würde sagen, dass sich in diesem abgelegenen Örtchen zwischen Wiesen und Wäldern Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Aber einmal im Jahr ist in Schönecken richtig was los: Denn dann kommen bis zu 2000 Menschen zur traditionellen „Schönecker Eierlage“ zusammen – und bei diesem sportlichen Wettkampf ist das Wort „traditionell“ wirklich angebracht. Denn sie machen das schon seit dem Mittelalter an jedem Osterfest, die Überlieferungen gehen zurück bis mindestens ins Jahr 1664.

Der Wettkampf zwischen zwei Junggesellen des Dorfes sieht so aus: Einer muss im weißen Kostüm vom Schönecker Tal bis hinauf in den Nachbarort Seiwerath laufen, der auf 549 Meter Höhe liegt. Dort muss der Läufer am Haus des früheren Bürgermeisters einen Zettel abholen, der belegt, dass er dort gewesen ist. Und sofort geht es wieder zurück ins Tal. Insgesamt ist der Läufer dabei knapp 7,3 Kilometer unterwegs, zwischen beiden Ortschaften liegt ein Höhenunterschied von etwa 150 Metern. „Die Strecke ist anspruchsvoll“, sagt Marco Schaal, der 2017 selbst der Läufer war und der die Eierlage viele Jahre als Hauptmann der Schönecker Junggesellen-Sodalität mitorganisiert hat.

Das Finale ist oft sehr eng

Denn die Eifel hat ihre Tücken, so schön die Landschaft mit ihren blühenden Wiesen und den bewaldeten Bergen auch ist. An manchen Osterfesten kann es Schneeregen geben, in anderen Jahren knallt die Sonne bei gefühlt 30 Grad gnadenlos auf den Läufer. Und der fiese Wind, das erzählte man sich schon im Mittelalter, kann auf den Bergen wie ein unsichtbarer Gegenspieler wirken.

Der eigentliche Gegenspieler des Läufers bleibt aber unten im Tal: Es ist der Raffer, der die Aufgabe hat, 104 rohe Eier aufzusammeln. Die liegen im Abstand von einer Elle – also 62,5 Zentimetern – entlang einer Gasse im Ortskern. Dieser Raffer, ebenfalls im traditionellen weißen Kostüm, muss jedes Ei einzeln zu einem Sammelkorb bringen. Auf dem Hin- und Rückweg zwischen Eiern und Korb legt er dabei insgesamt 6825 Meter zurück. Sein längster Weg beträgt 65 Meter. Nur das letzte Ei muss er nicht in den Korb legen, er darf es in die Luft werfen – manchmal ist das sein Glück, wenn der Läufer schon auf der Zielgeraden um die Ecke biegt. Das Finale ist oft spannend: Wenn der Läufer auf dem Rückweg ins Tal die Stelle passiert, wo er zum ersten Mal wieder vom Dorf aus zu sehen ist, verkündet ein lauter Böllerschuss sein Herannahen.

Die Sieger-Statistik der Schönecker Eierlage zeigt, dass die Aufgabe des Raffers keineswegs leichter ist als der Lauf auf den Berg. Mal gewinnt der Raffer zwar tatsächlich, aber etwas häufiger war in den vergangenen Jahrzehnten der Läufer zuerst im Ziel. „Auf jeden Fall müssen beide jungen Männer vorher ordentlich trainieren, um beim Wettkampf fit zu sein“, betont Schaal. Es geht schließlich auch um die Ehre, keiner will sich vor den Zuschauern blamieren.

Die Schönecker Eierlage ist ein mehrtägiges Fest, mit Musik und gemeinsamem Eieressen. Der Wettkampf der beiden Junggesellen ist der Höhepunkt am Ostermontag. Nur dreimal musste die Eierlage in all den Jahrhunderten ausfallen: Während der beiden Weltkriege und zuletzt wegen der Pandemie. Ansonsten hat sich nur die Laufstrecke mal geändert: Der Weg auf den einen Berg rauf nach Hersdorf wurde zu schlecht, deshalb schickt man den Läufer seit 1840 auf den benachbarten Berg bis nach Seiwerath. Die Frage, wer am nächsten Osterfest ins Rennen geht, beschäftigt die Bewohner schon vorher. „Wern es Rafer un Lefer?“, heißt die wichtige Frage im Eifeler Dialekt. Entschieden wird das bei einer Art Versteigerung am Palmsonntag.

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Unklar übrigens ist, wie das alles im Mittelalter begann – und ob es Sport ist, oder nur Mathematik. Es gibt zwei Theorien, aber keine Beweise. Die erste Theorie hält man unter den Dorfbewohnern für eher wahrscheinlich, sie hat mit der Schönecker Burg zu tun, deren Ruine heute auf einem Felsen über dem Dorf thront. Im Mittelalter, als die Burgherren und ihr Gefolge hier das Sagen hatten, spielten Läufer als Überbringer von Nachrichten eine wichtige Rolle. Bei so manchem Trinkgelage soll es damals zu Wetten gekommen sein, wer wohl den besseren Läufer habe. Daraus soll die österliche Eierlage entstanden sein. Für diese Theorie spricht, dass nach den ersten Eierlagen im Mittelalter alle gemeinsam hoch auf die Burg zogen, auch Zuschauer, Läufer und Raffer, wo ein Ball ausgerichtet wurde. Dabei haute man dann auch die Eier in die Pfanne.

Entstand alles einst in Mailand?

Die zweite Theorie hängt damit zusammen, dass es diesen Eier-Wettkampf nicht nur in dem kleinen Eifeldorf in der Nähe zur Grenze von Belgien und Luxemburg gibt. In den vergangenen Jahrhunderten wurden solche Eierlagen in vielen europäischen Ländern durchgeführt, merkwürdigerweise mit den fast identischen Rahmenbedingungen. Die Volkskundlerin Dr. Karin Göbel kam in den 1980er-Jahren deshalb zu dem Ergebnis, dass es hierbei eigentlich um Mathematik geht. Und zwar um eine Aufgabe, die im Jahr 1539 erstmals vom Mailänder Mathematiker Hieronymus Cardanus aufgeschrieben wurde. Es ist eine Textaufgabe, die einen solchen Wettkampf zwischen einem Läufer und einem Raffer beschreibt. Statt diese Matheaufgabe zu lösen, könnte es sein, dass sie vielerorts einfach nachgespielt wurde, um das Ergebnis herauszufinden.

In Schönecken ist das bis heute guter Brauch. Nur Marco Schaal ist nicht mehr dabei. Er wurde quasi aus dem Junggesellenverein geworfen. Verbrochen hat er nichts. Er hat geheiratet.

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