Wahrscheinlich ist es das Höchste, was ein Fußballtrainer erreichen kann: Dass alle traurig sind, wenn er geht. Bei Christian Streich ist das so. Im Sommer will der Trainer des SC Freiburg aufhören, nach mehr als zwölf Jahren im Amt und 29 Jahren in seinem Verein. Seit er das verkündete, erfährt Streich im ganzen Land Würdigungen und Komplimente. Sein Rückzug wird zurecht bedauert.
Dabei hat der 58-Jährige keine Pokale in der Vitrine stehen, nicht einen Titel durfte er mit dem kleinen Sport-Club feiern. Für große Pokale war er im falschen Verein. Er ist auch kein Menschenfänger wie Jürgen Klopp, der in Kneipen mit den Fans Lieder grölt und dem kraft seiner Aura die Herzen zufliegen. Streich war und ist völlig anders: Er wirkt wie der einfache Mann von nebenan, die personifizierte Bodenständigkeit in einer abgehobenen Branche. Seine Worte aber wirkten weit über den Fußball hinaus.
Dass er einmal in der Bundesliga landen würde, war nie geplant. Der Sohn eines Metzgers holte mit 25 Jahren auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und wurde Lehrer. Er arbeitete als Jugendtrainer und Pädagoge im Nachwuchsbereich des SC Freiburg, als er die Profimannschaft seines Vereins in höchster Abstiegsnot retten musste.
Mit seinem alemannischen Dialekt und seiner offenen Art schien er nicht zum elitären Profizirkus zu passen – aber er blieb länger als viele andere. Als Streich 2012 Bundesligatrainer wurde, war das bei Werder noch Thomas Schaaf. In Streichs Amtszeit verschlissen der Hamburger SV und Schalke je 16 Cheftrainer. Vielleicht werden es bis Sommer 17. In Bremen waren es neun.
Streich überstand in Freiburg sogar einen Abstieg. Von solch einer dauerhaften Beziehung träumte schnell die ganze Branche. Auch in Bremen fragte man sich zum Ende der Amtszeit von Florian Kohfeldt, ob man mit diesem Trainer nach dem Freiburger Vorbild auch in der zweiten Liga weitermachen könnte. Vielerorts fehlte dafür aber stets der Mut. Es ist leichter, einen Schuldigen zu benennen.
Lieber Fahrrad als Auto
Dass Streich anders sein würde als viele Trainerkollegen, war früh klar. Als das Fernsehen über den neuen verrückten Trainer berichtete, der nicht mit dem Auto zum Vereinsgelände fährt, sondern mit dem Fahrrad, da regte sich Streich fürchterlich auf: „Verrückt wäre ich doch, wenn ich den kurzen Weg nicht mit dem Fahrrad fahren würde.“
Er merkte schnell, dass er sich zwar in einem oberflächlichen Geschäft bewegt, aber durch seine mediale Präsenz eine enorme Wirkung erzielen kann. Und so ordnete er auch Themen abseits des Fußballs leidenschaftlich ein und scheute sich nie, dabei klare Kante zu zeigen. Ob in der Flüchtlingskrise oder beim Erstarken rechter Parteien: Streich redete der Öffentlichkeit ins Gewissen und wurde zum moralischen Kompass einer Liga, der bei öffentlichen Debatten oft der Mut oder die Orientierung fehlen – in manchen Fällen sogar beides.
Streich konnte alles kommentieren, seine beißende Kritik „am zerstörenden Neokapitalismus“ klang dabei ebenso überzeugend wie sein Unverständnis für Ablösesummen jenseits der 200 Millionen. „Wir bewegen uns in einem irrealen Bereich, der real geworden ist“, sagte er da. Er sei gar nicht in der Lage, einen Unterschied zwischen 220 oder 400 Millionen Euro Ablöse zu erfassen. Als sich der Fußball immer digitaler gab und mit Fachbegriffen überfrachtet wurde, mahnte Streich: „Es soll keiner denken, es gehe auch ohne Training und Willen. Man muss schon auch umgehen können mit den ganzen Neuerungen. Nur mit Hirnforschung gewinnst du kein Spiel.“
Abgekämpft im Weserstadion
Er gewann viele Spiele, erreichte die Europa League und verlängerte immer um ein Jahr. Bis jetzt stand er in 379 Bundesligaspielen für Freiburg an der Seitenlinie, das wird nur getoppt von den Bremer Legenden Thomas Schaaf (480 Spiele) und Otto Rehhagel (493). Als der FC Bayern mal über ihn nachdachte, hat Streich der Verlockung widerstanden. Mit Geld kann man ihn nicht überzeugen. Er arbeitete immer für den SC Freiburg, nie für sich.
Bei einem seiner letzten Spiele im Weserstadion lehnte Christian Streich nach Abpfiff versteckt und abgekämpft an einer Mauer unter der Südtribüne. Man sah ihm an, wie sehr der Fußball ihn auslaugt. Durch seinen Rücktritt verliert die Liga eines ihrer wichtigsten Gesichter.