In erster Instanz wurde der Polizist zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt. Das würde ihn seinen Job kosten. Aber nicht nur er ist in Berufung gegangen.
Das Opfer betritt den Gerichtssaal sichtbar nervös. Ein kleiner, untersetzter Mann, 58 Jahre alt. Er soll als Zeuge gehört werden, ist zugleich aber auch Nebenkläger. Unsicher schaut er sich um, weiß nicht, wohin er sich setzen soll. Seine Anwältin zeigt auf den Stuhl ganz am Rand der Tischreihe – die maximal mögliche Entfernung zum Angeklagten.
Dieser wirkt deutlich ruhiger, wie er neben seinem Verteidiger steht, die Hände auf den Stuhl vor sich gestützt. Doch seinen Blick richtet er immer wieder gen Decke des Gerichtssaales. Als ob es dort irgendetwas zu sehen gäbe. Der 29-jährige Polizist hat allen Grund, nervös zu sein. An diesem Berufungsverfahren hängt seine gesamte Zukunft. Noch ist er lediglich vom Dienst suspendiert. Doch wenn das Gericht das Urteil der ersten Instanz bestätigt – 13 Monate Haft auf Bewährung – wird er entlassen.
Vorwurf der Körperverletzung im Amt
In der Sache geht es um den Vorwurf einer Körperverletzung im Amt. Im Mai 2013 soll der Polizist sein Opfer vorsätzlich körperlich misshandelt haben. Mit mehreren Schlägen habe er dem damals 54-Jährigen, den er fälschlicherweise für einen Einbrecher hielt, bei einer Personenkontrolle schwere Verletzungen zugefügt, heißt es.
Der Mann trug mehrere Brüche im Gesicht, Einblutungen im Auge sowie Risse- und Quetschwunden davon. Er wurde zwölf Tage lang stationär behandelt, war anschließend drei Monate arbeitsunfähig und befindet sich bis heute in psychotherapeutischer Behandlung.
Das Amtsgericht Bremen fand hierzu in seinem Urteil vom Juli 2015 deutliche Worte. Die Schläge seien in keiner Weise gerechtfertigt gewesen. Der Angeklagte sei allein aufgrund eines vagen Verdachts mit besonderer Brutalität vorgegangen. Die Schilderungen des Angeklagten, das Opfer habe massiven Widerstand geleistet und seinerseits ihn, den Polizisten, bedroht, verwarf das Amtsgericht als reine Schutzbehauptung. Ein „besonders verwerflichen Versuch“, das eigene Handeln zu vertuschen.
Angeklagter und Staatsanwaltschaft legen Berufung ein
Im ausdrücklichen Bewusstsein, dass eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr zwingend zur Entlassung aus dem Polizeidienst führen würde, verurteilte das Gericht den Mann zu einem Jahr und drei Monaten Haft. Dagegen legte nicht nur er, sondern auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Ziel des 29-Jährigen lautet Freispruch, erläuterte sein Verteidiger. Die Staatsanwaltschaft will – wegen der „besonderen Brutalität und der schweren Verletzungen“ – eine deutlich höhere Strafe.
Am Landgericht wird der Fall nun in fünf Verhandlungstagen neu aufgerollt. Den Auftakt am Donnerstag machte die mehr als fünfstündige Vernehmung des Angeklagten und des Opfers. Die förderte, wie schon im Prozess 2015, zwei Versionen zutage, die gegensätzlicher kaum ausfallen könnten.
Die Version des Polizisten: Er sei gegen 3.30 Uhr nachts nach einer Meldung über einen versuchten Einbruch allein und in zivil auf Fußstreife gewesen. Im Steffensweg sei er auf einen Mann gestoßen, bekleidet mit Käppi und Kapuzenpullover, in der Hand eine Sporttasche. Er habe sich zu einer Kontrolle entschlossen, dies auch per Funk den Kollegen mitgeteilt, habe den Mann dann mit einer Taschenlampe angeleuchtet und „Polizei, stehenbleiben“ gerufen. Doch der Mann sei sofort weggerannt.
„Intensive Rangelei“
Er habe ihn verfolgt, bis dieser abrupt stehengeblieben sei, sich umgedreht habe und mit erhobenen Fäusten auf ihn zugekommen sei. Anschließend habe man sich gegenseitig an den Jacken zu fassen bekommen und es sei zu einer „intensiven Rangelei“ gekommen. „Ich wollte ihn zu Boden bringen, aber letztlich sind wir beide gefallen.“
Der andere habe ihn trotzdem weiter attackiert, so dass er den Mann schließlich als derart akute Bedrohung wahrgenommen habe, dass er ihn mit einem Faustschlag zur Räson habe bringen wollen. An einen zweiten Schlag könne er sich nicht erinnern. Denkbar sei das, ebenso wie ein Stoß mit dem Ellenbogen. „Bewusst wahrgenommen habe ich das aber nicht.“
Ob er Angst gehabt habe, hakte der Staatsanwalt an dieser Stelle ein. „Ich liege nachts auf der Straße. Mit einem Mann, den ich für einen Einbrecher halte und der an meiner Jacke zerrt... natürlich hatte ich Angst.“
Wirkung habe der Faustschlag ins Gesicht aber nicht gehabt, erklärte der Angeklagte. Erst mit Hilfe der zuvor über Funk alarmierten Kollegen sei es gelungen, den Mann zu überwältigen.
Würgegriff und Faustschlag
Die Version des Opfers: Er sei frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit gewesen, als er bemerkt habe, dass sich auf der anderen Straßenseite ein Mann verstecke und ihn beobachte. Er habe es mit der Angst zu tun bekommen, sei aber weitergegangen und habe sogar gedacht, dass der Mann, den er für einen Betrunkenen oder einen Verbrecher hielt, verschwunden sei.
Doch da habe dieser ihn urplötzlich von hinten gepackt, in den Würgegriff genommen und sofort auf ihn eingeschlagen. Er habe versucht, sich zu befreien und davonzulaufen, sei aber nach einem frontalen Faustschlag ins Gesicht bäuchlings zu Boden gegangen.
Der Angeklagte habe ihm daraufhin erst den Mittelfinger der rechten Hand verdreht, ihm dann beide Arme auf den Rücken gezwungen, sich mit den Knien auf die Arme gesetzt und anschließend weiter mehrfach auf seinen Kopf eingeschlagen, schilderte der 58-Jährige. „Ich dachte, ich sterbe.“ Erst als er selbst um Hilfe nach der Polizei geschrien habe, habe sich sein Peiniger als Polizist zu erkennen gegeben.
Das einzige verbindende Detail der beiden Schilderungen bildeten die herbeieilenden anderen Polizisten – vom einen als Helfer bezeichnet, vom anderen als Retter. Auch sie werden in der Berufungsverhandlung erneut vernommen. Nächster Verhandlungstag ist der 9. Mai.