Es sollte ein besonders schöner Tag werden, nun wurde es ein besonders schmerzhafter: Zwei Jahre lang zwang die Pandemie auch den Schachsport weitgehend zu Ruhe, und jetzt, wo nach langer Pause eine neue Bundesligasaison in Bremen startete, veränderte der Krieg in der Ukraine alles. "Dieser Krieg hat auch uns jetzt im Griff", sagte Werders Schach-Abteilungsleiter Oliver Höpfner am Sonnabend in Oberneuland, wo erstmals ein Spieltag in den Räumlichkeiten der Reedereigruppe Harren & Partner ausgetragen wurde. Denn drei Spieler der Bremer sind Ukrainer und stecken in ihrer Heimat fest, weil sie als Männer für die Landesverteidigung gegen die russischen Angriffe gebraucht werden.
Werders Vereinspräsident Hubertus Hess-Grunewald fand bewegende Worte: "Dass unsere drei Spieler unter Waffen rekrutiert werden, statt heute hier Schach zu spielen, ist eine bedrückende Vorstellung. Das zeigt auch, wie nah dieser Krieg ist, der Spieler betrifft, die zum Teil schon sehr lange zu unserem Verein gehören." Zahar Efimenko zum Beispiel spielt schon seit 2004 für Bremen, er machte Werder 2005 zum Meister beim legendären Sieg gegen Porz. Sein ukrainischer Landsmann Alexander Areshchenko ist seit 2006 Teil des Bremer Bundesligateams. Und eigentlich sollte an diesem Wochenende der dritte Ukrainer mit Werder-Kleidung ausgestattet werden, der 19 Jahre junge Neuzugang Kirill Shevchenko, der unter den Top-100 der Schachwelt geführt wird und von dem sich Werder versprach, dass er vielleicht auch so lange treu für Bremen spielen werde wie seine Kollegen.

Mit Flagge und Fotos der drei ukrainischen Werder-Spieler: Offizielle und Spieler demonstrierten vor dem Start der Schach-Bundesliga in Bremen gegen den Krieg.
Stattdessen zittern nun alle gemeinsam um das Leben der Spieler und ihrer Familien. Großmeister Shevchenko zum Beispiel harrt gerade im Westen der Ukraine mit seiner Familie aus, inmitten von russischen Raketen-Angriffen. „Gestern haben wir Waffen gekauft“, berichtete er am Freitag. In der Nähe der ukrainischen Stadt Winnyzja trainiert Shevchenko weiterhin täglich so gut es geht, auch wenn um ihn herum der Krieg wütet und immer wieder Sirenen heulen. „Wir wissen nicht, was morgen kommt“, sagte Shevchenko. Und er sei ein bisschen traurig, dass er zum Bundesligastart fehle. Doch jetzt gelte es, sein Land zu verteidigen, betonte er.
Weil Schweigen keine Option sei und man ohne diese Spieler nicht einfach zur Bundesliga-Tagesordnung übergehen könne, organisierte Werder zum Ligastart eine Protestaktion. Zwei Bretter blieben im Wettstreit mit dem Rekordmeister OSG Baden-Baden leer, so soll es auch an diesem Sonntag im zweiten Spiel gegen Deizisau sein. Ukrainische Fahnen und Sonnenblumen zieren die unbesetzten Schachbretter. Fotos der drei Ukrainer erinnern an die Kollegen. Hess-Grunewald dankte den Gegnern, dass sie diese Protestaktion mittragen und die beiden Bretter ebenfalls nicht besetzen.
Das alles ist natürlich ungewohnt, auch der Schachsport konnte auf einen solchen Krieg und die Konsequenzen nicht vorbereitet sein. Umso mehr freute es den angereisten Präsidenten des niedersächsischen Schachverbandes, Michael S. Langer, dass auf nationaler Ebene nun doch rasch Regelungen gefunden wurden, die alle Vereine akzeptierten. So bleiben Strafen für leere Bretter aus, zudem werden alle Gewinnpartien mit Mannschaftspunkten gewertet, unabhängig von der Anzahl der Bretter.
Insgesamt gibt es nach Angaben der Schach-Bundesliga mindestens neun ukrainische Spieler in den deutschen Teams. Den neuesten Ideen der Liga, ab dem dritten oder vierten Spieltag die ukrainischen Spieler wenn möglich per elektronischem Schachbrett aus ihrer Heimat zuzuschalten, steht Langer positiv gegenüber: "Die Protestaktion in Bremen und auch solche Ideen sind ein Signal an die Spieler. Sie werden nicht vergessen, und wir hätten sie in Zukunft gerne wieder dabei."
Der Sport zeige in diesen schwierigen Tagen, dass er verbinden könne, betonte Hess-Grunewald, der auch Werders ehemaligen russischen Schachspieler Daniil Dubov erwähnte. Der ist immer noch Werder-Mitglied und unterzeichnete in Moskau gerade den Friedensappell russischer Schachspieler gegen Präsident Wladimir Putin. "Diese großartige Haltung macht uns stolz und passt zu den Werten des SV Werder."
Das Sportliche rückte zum Ligastart in den Hintergrund, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Werder verlor zum Auftakt nach sechs Stunden mit 2:4 gegen Baden-Baden. Wichtiger war aber die Botschaft der leeren Bretter von Bremen.