Bremen. Der Klub heißt Christlicher Sportverein Bremen (CSV), trainiert wird am Schwarzen Weg in Gröpelingen, in der Petrushalle. Doch damit ist erst einmal Schluss mit den direkten wörtlichen Beziehungen zum Christentum. Wir sind zu Besuch bei der zweitgrößten von sechs Abteilungen des Vereins, den Thai-Boxern, die ihre Sportart selbst Muay Thai nennen. Und als wir Katrin Demedts fragen, wie es denn so um die Religionszugehörigkeit in ihrer aus rund 70 Mitgliedern bestehenden Abteilung bestellt ist, muss sie nicht lange überlegen: „Höchstens eine Handvoll sind Christen, über 80 Prozent hingegen Moslems. Aber das ist noch längst nicht alles.“ Denn bei den Thai-Boxern in Gröpelingen haben sich Vertreter aus ungefähr einem Dutzend Nationen und etlichen Glaubensgemeinschaften eingefunden. Der Erfolgreichste, Ajith Jenason, kam vor sieben Jahren aus Sri Lanka, arbeitet in Bremen inzwischen als Anlagemechatroniker. Und ist außerdem schon zweimal deutscher Meister im Thai-Boxen geworden.
Diese in ihrer Zusammensetzung wohl einmalige Abteilung in der Bremer Region wäre gewiss niemals ohne den Türken Ali Coskun entstanden. Der ist vor 42 Jahren in Gröpelingen geboren und wurde zwischendurch nur mal für vier Jahre, zwischen dem zehnten und 14. Lebensjahr, zu Verwandten in die Türkei zurückgeschickt. Weil er nach Meinung seiner Eltern Gefahr lief, die türkische Sprache zu verlernen. Dann kehrte er – der Muttersprache seiner Vorfahren wieder mächtig – nach Bremen zurück und begann eine etwas verschlungene sportliche Laufbahn. „Zuerst habe ich beim Lüssumer TV gerungen, dann habe ich in Hastedt geboxt, aber auch schon in einer Sportschule Thai-Boxen kennengelernt“, erinnert er sich.
Der Zufall fügte es, dass der Vorstand des Christlichen Sportvereins einen neuen Boxtrainer suchte. Ali Coskun bewarb sich und schlug der Vereinsführung sofort vor, neben Boxen auch Thai-Boxen einzuführen. Denn diese Sportart, bei der die Gegner nicht nur mit den Fäusten, sondern auch mit Fußtritten attackiert werden, hatte es ihm vor allem angetan. Doch der Vorstand lehnte erst einmal ab. „Er fand das mit dem Treten zu gefährlich“, erläutert Ali. Und beschloss umgehend, Thai-Boxen dennoch – sozusagen nebenbei und auf eigene Verantwortung – zu unterrichten. Mit dem Erfolg, dass es im CSV bald keine Boxer mehr gab, sondern nur noch Thai-Boxer.
Vor drei Jahren wurde die Sparte offiziell gegründet und fand reges Interesse vor allem unter den zahlreichen Türken in Gröpelingen. Doch auch Katrin Demedts begeisterte sich für diesen Sport mit fernöstlichen Wurzeln, was wiederum indirekt ihrem Beruf zugutekam. Denn sie ist verantwortlich für die Pressearbeit im Bremer Jobcenter, dort ist Integration ein ständig wiederkehrendes Thema. „Ich wollte erstens etwas für meine Fitness tun. Aber mich hat auch die spezielle Problematik des Zusammenlebens der verschiedenen Kulturen interessiert. Damit hatte ich ja auch fast täglich zu tun“, sagt sie. Und hat den Worten Taten folgen lassen: Da sich unter den Thai-Boxern des Vereins inzwischen auch etliche Flüchtlinge aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum befinden, beginnt sie fast jeden Trainingsabend mit Deutschunterricht. „Ich kann kein Arabisch. Aber es funktioniert halbwegs“, sagt sie und freut sich, dass ihr vom Sozialamt Hilfsmittel wie Lehrbücher, Schreibmaterial und ein Flipchart zur Verfügung gestellt wurden. Weniger erfolgreich waren bisher die Bemühungen um neue Sportgeräte. Denn der Zustand des einzigen Boxrings ist schon recht beklagenswert.
So ist Selbsthilfe angesagt, Trainer Ali Coskun geht mit gutem Beispiel voran. Er kann Probleme lösen, das gehört sozusagen zum Job. Denn hauptamtlich ist der 42-jährige Sicherheitsbeauftragter in der Flüchtlings-Notunterkunft Falkenstraße, da stellen sich täglich neue Probleme. Und weil er zu jenen Menschen zählt, die auch begeistern und überzeugen können, gehören inzwischen etliche seiner Schutzbefohlenen zu den Thai-Boxern im CSV Bremen. „Das ist das Beste, was denen im Moment passieren konnte. Denn sie können hier ihre Aggressionen ablassen, schließen neue Kontakte und werden auf vielerlei Weise integriert. Und einige bekommen hier ihre ersten Erfolgserlebnisse. Für sie ist Thai-Boxen auch eine Therapie“, sagt Katrin Demedts.
Doch es geht bei den Thai-Boxern im CSV, zu denen auch eine Handvoll Mädchen gehört, nicht nur um Integration durch Sport. Ali Coskun verlangt auch Engagement und Leistungsbereitschaft, die Besten trainieren fast täglich. Dazu gehört neben dem 21-jährigen Ajith Jenason auch die erst 16-jährige Hilal Dön, ein hübsches, keineswegs athletisch wirkendes Mädchen mit türkischen Wurzeln, das in Deutschland aufgewachsen ist und im nächsten Jahr sein Abitur machen will. In Sachen Sport ist sie ihrem Trainer Ali Coskun gefolgt: Früher in Syke hat sie geboxt, jetzt gilt sie als eines der größten deutschen Talente im Thai-Boxen. Das hat sie bereits dreimal mit deutschen Meisterschaften in ihrer Altersklasse bewiesen. Von Ajith Jenason und Hilal Dön dürfte künftig also noch so einiges zu hören sein.