„Sie glauben gar nicht, was das gerade für eine große Tanne war“, sagt Gerd Pleus und grinst. „Mindestens zwei Meter achtzig. Und sie wurde noch um 50 Zentimeter gekappt.“ Das Grinsen wächst zu einem Strahlen: „Doch das ist noch nicht alles. Die Tage ging ein 3,50 Meter hoher Baum raus. Den muss man erst mal aufstellen können!“
Freitagmittag, auf dem Hof Pleus in Stickgras herrscht die Ruhe vor dem Sturm. „Die Woche verlief verhältnismäßig ruhig“, sagt Betriebs-Chef Gerd Pleus. „Den großen Ansturm erwarten wir die letzten Tage vor Heiligabend.“ Bis zum letzten Moment können sich Kurzentschlossene auf dem Erdbeerhof durch weihnachtliches Immergrün wühlen, der Verkauf läuft bis Heiligabend um 12 Uhr. Und das Geschäft geht an diesem Tag. „Die Geschlagenen verkaufen wir dann mit Rabatten“, sagt der Landwirt. „Es gibt aber auch Kunden, die ihren Baum ganz frisch aus dem Wald haben wollen.“
Wald nennt Gerd Pleus das, was eigentlich die Plantage hinterm Hof ist. Auf rund 5000 Quadratmetern stehen Omorika, Blaufichte und Nordmanntanne dicht an dicht; gewappnet für den einen Moment: Das eigene Ende als üppig behangenen Christbaum zu erleben. Würde man von glücklichen Nadelbäumen sprechen, für Gerd Pleus wäre es genau dieses Bild. Seit Jahren ist es vor allem eine Sorte, die für Glanz in deutschen Wohnzimmern sorgt: die Nordmanntanne. 80 Prozent machen sie am Umsatz aus.
Das romantische Bild vom selbst geschlagenen Christbaum, der in archaischer Weise selbst erlegt wird, erfüllt sich zumindest in Stickgras kaum. „Der Großteil der Kunden sucht sich eine Tanne aus den geschlagenen aus“, sagt Landwirt Pleus. Nur wenige bestehen auf ein frisch abgeholztes Gewächs. Das wird in der Regel sowieso vom Hausherrn zersägt. Nachgefragt wird hingegen der Christbaum zum Ausgraben, dem nach dem Fest ein Fortleben im Garten beschieden ist. Zwei bis drei Prozent, schätzt Gerd Pleus, greifen inzwischen zur Recycling-Tanne.
„Mehr geworden ist auch die Nachfrage nach der Herkunft“, sagt Pleus. „Die meisten Kunden kommen zu uns, weil sie wissen, dass die Bäume direkt vom Hof kommen.“ Das ist nicht überall so. Laut der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald werden jedes Jahr vier Millionen Tannenbäume aus Dänemark importiert, vor allem große Bäume. 24,5 Millionen Bäume stehen nach Schätzung des Bundesverbands der Weihnachtsbaumerzeuger (BWS) insgesamt in deutschen Wohnzimmern. Als Symbol für familiäre Geborgenheit und heile Welt hat der Natur-Weihnachtsbaum laut BWS an Bedeutung gewonnen. Darüber hinaus berichteten die Produzenten über ein gewachsenes Interesse an einem zusätzlichen Baum für Garten, Terrasse oder Balkon. Der Trend geht also zum Zweitbaum. Sowieso: Der Tannenbaumabsatz in Deutschland, er ist stabil, frohlockt und jauchzt der BWS.
Weihnachten ohne Baum. Geht gar nicht. Sagt auch Anke Fischer. Seit fünf Jahren kauft sie ihren Weihnachtsbaum am Stand von Bernd Wiesner auf dem Kaufland-Parkplatz an der Stedinger Straße. Ihr Baum sieht möglichst jedes Jahr so aus: 1,80 hoch, schön voll, nicht zu buschig, Typ Nordmann. Wie die meisten Tannen, die Wiesner ins Netz schiebt. „97 Prozent“, sagt der Tannenbaum-Fachmann, „wollen eine Nordmann.“ Egal, in welcher Größe.
Auch er beobachtet den Trend in Richtung Zweittanne. „Ungefähr zehn Prozent unserer Kunden nehmen sich eine kleine, günstigere Rotfichte für den Balkon oder die Terrasse mit“, sagt er. Für den ökologisch bewussten Verbraucher werden außerdem „Bio-Tannen“ angeboten, die ohne künstlichen Dünger und chemische Behandlung aufgezogen werden. „Die gehen auch, sind wegen des höheren Preises aber nicht der Renner.“
Leihtannen gibt es bei dem Hoyaner nicht. Auch keine zum Wiedereinpflanzen. „99 Prozent der Tannen, die zu Weihnachten mit Wurzelwerk ausgegraben wurden, wachsen anschließend nicht wieder an“, erklärt er. „Es sei denn, es handelt sich um speziell im Topf gezogene Bäume.“ Auch Wiesner verkauft Christbäumchen im Topf. „Aber die wurden nur eingetopft. Eine längere Lebensdauer haben die vielleicht noch, wenn sie nach Weihnachten auf die Terrasse kommen“, sagt er.
Um möglichst lange was von ihrer Nordmann zu haben, hält sich Anke Fischer an die Tipps der Profis: Nach dem Kauf vom Netz befreien, damit sich der Baum entfalten kann, und in einen Eimer Wasser ins Kalte stellen. Die eigentliche Zeit als festlicher Christbaum verbringt die Tanne im Hartkunststoff-Ständer mit Wasserstandsanzeiger. „So bleibt sie mit regelmäßig Gießen richtig lange frisch.“ Und im Hause Fischer deutlich länger stehen als nur bis zum 6. Januar.
Für fast alle Familien in Deutschland ist der Tannenbaum wichtiger Bestandteil des Weihnachtsfestes. Woher die Tradition stammt, ist nicht eindeutig belegt. Die älteste Darstellung eines mit Sternen und Lichtern verzierten Tannenbaums zeigt ein Kupferstich von Lucas Cranach dem Älteren von 1509. Die ersten Belege eines dekorierten Weihnachtsbaums finden sich laut Forschungen der Uni Marburg 1570 in einer Chronik der Handwerkszunft Bremen. Von den Zünften aus soll sich der Brauch nach und nach in die Familien übertragen haben und verbreitete sich Anfang des 19. Jahrhunderts dann von Deutschland aus in ganz Europa. Ende des 19. Jahrhunderts schließlich kam er auch in den USA an.