Eine Frau, gekleidet in einem weißen, im Wind wehenden Gewand, steht auf einer Wiese und blickt in die Ferne. Sie ist nachdenklich – verloren in ihren Erinnerungen. Mit diesem bildstarken Einstieg beginnt der Essayfilm "Warum bist du traurig, Mutter?" (Original: „Why are you sad mother?“), der derzeit im Haus Coburg in Delmenhorst zu sehen ist. Dieser Kurzfilm entstand speziell für die Ausstellung „Kindheit(en). Von Erinnerungen in der Kunst“, die bis September in der städtischen Galerie besucht werden kann. Zamarin Wahdat ist Co-Produzentin und Kamerafrau des Filmprojektes. Die Hamburger Filmemacherin und Oscar-Preisträgerin hat am Donnerstag von der Entstehung des Films und ihrem persönlichen Werdegang in der Filmbranche berichtet.
Entlang eines Gedichtes wird eine Mutter-Tochter-Beziehung thematisiert, die von Fluchterfahrungen geprägt ist. Zwischen Eltern und Kindern entsteht über die Jahre im neuen Land oft eine Lücke, erklärt Wahdat: "Die Kinder, die im neuen Heimatland aufwachsen, fühlen sich dort zu Hause – sie sprechen die Sprache im täglichen Umfeld wie etwa in der Schule und bauen einen Freundeskreis auf." Die Eltern haben hingegen viele Lebensjahre in ihrem Herkunftsland gelebt und müssen unter neuen Bedingungen komplett bei null anfangen. "Eine Distanz baut sich über die unterschiedlichen Erfahrungen auf, die Eltern und Kinder im neuen Land machen, auf", so die 34-Jährige. Gerade dann sei es wichtig, sich wieder anzunähern und zu versuchen, die jeweils andere Perspektive zu verstehen. "Dieses Verständnis hat man im Kindesalter aber meistens nicht und entwickelt dies erst in der Jugend", sagt sie. Wahdat ist 1992 als Kind mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet.
Das Gedicht beschreibt die innere Zerrissenheit einer geflüchteten Mutter – den Zustand, niemals anzukommen, und sich dauerhaft, "wie in einem Wartezimmer oder an einer Haltestelle", zu fühlen. Das Land, das Zuhause anderer, sei ihr fremd. "Sie hofft auf eine Rückkehr in ihre Heimat und sehnt sich nach dem Ort, der nicht mehr so wie damals existiert", erklärt Wahdat. In dieser Gedankenwelt würden sich viele Geflüchtete wiedererkennen, egal, aus welchem Land sie stammen und wo sie mittlerweile leben. "Es geht um das Gefühl, das viele Betroffenen teilen", so die Filmemacherin. Denn auch wenn die jeweiligen Länder verschieden sind, teilen sie ähnliche Erfahrungen.
Film in Delmenhorst entstanden
Der Kurzfilm entstand in Delmenhorst während eines Filmprojekts, der "Artist-Residency" von der Drehbuchautorin und Regisseurin Parwana Haydar am Hanse-Wissenschaftskolleg. Wahdat wirkte als Co-Produzentin und Kamerafrau mit. Dabei arbeiteten die beiden mit Aneta Palenga, Kuratorin im Haus Coburg und dem Nachbarschaftsbüro Hasport zusammen. "Die Idee war, in Delmenhorst Menschen aus Afghanistan zu treffen", erklärt Palenga. Das gestaltete sich aber schwieriger als gedacht, weil zu der Zeit Ramadan gefeiert wurde und zu dieser Zeit viele Menschen gerne daheim sind. Über das Nachbarschaftsbüro gelang es ihnen dennoch, Kontakte mit Familien zu knüpfen – wobei sie auch auf die Delmenhoster Schülerin Samira Teimori trafen. Sie spielt in dem Essayfilm die Rolle der Tochter: "Das war eine schöne Erfahrung für mich." Zuvor geschauspielert habe sie noch nie. Mit der Rolle konnte sie sich gut identifizieren, weil sie selbst 2015 nach Deutschland flüchtete. Die Figur der Mutter wird von Shayestah Wahdat, der echten Mutter von Kamerafrau Zamarin Wahdat, dargestellt. Ihr hat es in Delmenhorst sehr gut gefallen: "Ich war sehr beeindruckt, weil wir hier so vielen afghanischen Menschen begegnet sind."
Ursprünglich sollte das filmische Ergebnis eine Dokumentation werden. Während der Arbeit daran, haben verschiedenste Einflüsse den eigentlichen Plan geändert, erzählt Wahdat: "Dass sich der Film ein Gedicht einbezieht, hätte ich zu Beginn nicht gedacht."